Züüsili, Grüüsili, leckligs Hoor,
Schwarzi Giggili, rundes Ohr,
Rooti Lippel, gschliffini Zung,
Oh, mi Káttel isch nit dumm!
Grallá, wiá á Kátzli spitz,
Scharf wiá Essig isch si Witz,
Un des Müülwárk! Leider Gotts -
Keiner wott-s!
O jemineh o jemineh
Des Muschter duát im-á jeedá Weh!
O jemineh o jemineh
Des Muschter duát im-á jeedá Weh!

(traditionell, aus dem Elsaß)

Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung

s Olga - diskriminierter als d Olga?

Zum Artikel bei Mädchen- und Frauennamen

Die Karte zeigt die Ortschaften, in denen die Mädchen- und Frauennamen traditionell sächlichen Artikel haben, ‘die Olga‘ heißt dort also s Olgaa.

Das Verbreitungsfeld des sächlichen Frauennamens konzentriert sich im Breisgau nahe des Rheins; das Hauptverbreitungsfeld muß aber im Elsaß liegen, dort sagen die Leute s Süsann (Susanne), s Ivedd (Yvette), s Ghádrin (Catherine) usw. Eine ältere, aus der Mode gekommende Form für ‘Katherina‘ ist s Ghádel (siehe oben zitiertes Lied). Im Badischen sagt man eher s Gháder, doch auch hier gilt diese Namensform als altmodisch - wie alle Namen, die es in der “Hochsprache“ nicht in gleicher Form gibt.

Für die alemannische Großstadt Basel bezeugt Rudolf Suter die

"freilich stark im Rückgang begriffene Gewohnheit, die Namen kleiner Mädchen auch ohne Verkleinerungssilbe sächlich zu verwenden: ‘s Dòòredee‘ (Dorothea), ‘s Maaryy‘ (Marie), ‘s Maariann‘ (Marianne) usw. Im Sprachgebrauch des intimeren Familien- und Freundeskreises können dann auch Namen von erwachsenen oder gar bejahrten Frauen dieses sächliche Geschlecht beibehalten, zum Ausdruck besonderer Affektion: 'S Maaryy goot au schò gegen achzig.' "1

 Den sächlichen Artikel s bei Mädchen- und Frauennamen scheint es auch sonst hie und da im alemannischen Sprachraum zu geben, man hat es mir aus der Müllheimer Gegend, vom Hochrhein (Grenzach) und aus der Schweiz2 berichtet, dort zum Teil als ds.

Spuren einer sächlichen grammatischen Auffassung des Frauennamens oder der Frau finden sich in der Kaiserstuhlgegend auch in Ortschaften, wo der Frauenname im allgemeinen noch (oder wieder?) weiblich ist:

* In Endingen, Malterdingen, Wasenweiler, Schelingen und Wyhl sagt man häufig oder immer si (sein) statt ihrá: d Mariaa isch in dr Arnaa si Doochder. Dieses si kommt auch in Buchheim, Bötzingen, Neuershausen, Merdingen, seltener in Nimburg und veraltet in Umkirch vor; als mehr oder weniger häufiger “Ausrutscher“ wohl auch noch in weiteren Ortschaften. In Gottenheim ist belegt: in dr Godi sinem Vader (dem Vater der Patin).

* Obwohl in Endingen und in Wyhl der Mädchen- und Frauenname weiblich ist, sagt man zum Beispiel áás hed nid wellá mid, das heißt, “es“ wollte nicht mit, gemeint ist also etwa d Friidaa oder die Frau von dem und dem.

* Hie und da gibt es offenbar auch in d-Ortschaften Frauennamen mit s. In Malterdingen bezeugten meine beiden Gewährsfrauen die Namen s Doorli, s Draudel (beide Namen fangen mit D an). In Umkirch erinnerte ein Gewährsmann sich an s Doorli, s Roosili (beide Namen sind in der Verkleinerungsform); ähnlich in Neuershausen, dort nannten mir die Gewährsmänner s Reesli, s Annili. Diese Namen trugen ältere Frauen am Ort (und nicht etwa nur Mädchen).

* In etlichen Ortschaften, wo der Frauenname normalerweise weiblich ist, zum Beispiel in Endingen, Malterdingen, Eichstetten, Bötzingen, Waltershofen und Merdingen, heißt es s Ärnaas Gaardá (Ernas Garten). Das sagt man in Buchheim und Neuershausen zwar nicht, doch ist dort (wie auch in den anderen genannten Ortschaften) s Muáders Bedd (Mutters Bett) oder s Grooßilis Zimmer (Großmutters Zimmer) ein alltäglicher Ausdruck (gewesen). Dieses s stimmt mit dem männlichen und sächlichen Artikel im wessen-Fall überein (s Vaders Schdrimbf; seltener: s Máidlis Schuá); eine solche Konstruktion ist auch im Hochdeutschen möglich (‘des Vaters Strümpfe‘, ‘des Mädchens Schuhe‘).

 Der sächliche Artikel bei Frauennamen ist auch in seinem geschlossenen Verbreitungsgebiet im Westen durch das Hochdeutsche bedrängt; etwa in Breisach ist er beinahe schon verdrängt - dort sagen meist nur noch ältere Leute (und meist nur noch zu älteren Frauen) s Ärnaa, s Leen, s Sofii usw. Auch in einigen anderen Ortschaften ist die Neigung, zum weiblichen Artikel überzugehen, bemerkbar. Und zwar besonders bei den Namen jüngerer Mädchen, zumal wenn die Namen nicht alemannisiert sind oder gar nicht traditionell sind. Das müßte nicht so sein: die Eltern könnten ebensogut s Nadiin sagen wie d Nadiin, ebensogut s Fanessaa wie d Vanessaa, ebensogut s Ghärschdiin wie d Ghärschdiin.

Als Ursache der Verdrängung kommt, wie bei so vielen anderen Eigenheiten des Alemannischen, die Macht des hochdeutschen Spracheinflusses in Frage, die Macht ständiger hochdeutscher Berieselung. Aber auch das Empfinden der Betroffenen selber spielt eine Rolle: Wenn Frauen in eine der s-Ortschaften zuziehen, dann stellt sich die Frage, wie sollen die Ortsansässigen sie nennen. Wird der einheimische Held sich getrauen, seine zugezogene Braut s Brigidd statt d Brigidde zu heißen? Und wird sie es akzeptieren?

 Steine des Anstoßes

Es gibt Frauen und Männer, die den sächlichen Artikel bei Mädchen- und Frauennamen für unzeitgemäß, für ein Zeichen einer Minderberechtigung der Frau halten. Ein ähnliches Problem gibt es im Hochdeutschen. Gerade in fortschrittlichen Kreisen sehen viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller es kritisch, daß das Männliche im Hochdeutschen eine Art grammatisches Leitgeschlecht ist

Wenn nicht ausdrücklich von Frauen die Rede sein soll, wird im Hochdeutschen normalerweise die männliche Wortform genommen: ‘Lehrergewerkschaft‘, ‘Studentenwerk‘, ‘Arbeiterwohlfahrt‘, und dies, obwohl auch Lehrerinnen, Studentinnen oder Arbeiterinnen Mitglieder, Mitarbeiterinnen oder Ansprechpartnerinnen dieser Organisationen sind. Mehr noch: Wenn Frauen von Frauen oder von einer gemischten Gesellschaft sprechen, sagen gewöhnlich auch sie an entsprechender Stelle ‘man‘, ‘jedermann‘, ‘jemand‘, ‘niemand‘ und “macht mal einer das Fenster auf?“.

In fortschrittlichen Kreisen dagegen ist man/frau zum Teil dazu übergegangen, beide Geschlechter aufzuführen, wie ich es hier und im nächsten Satz nachmache.

Bei manchen hochdeutschen SchriftstellerInnen ist das Männliche von vorneherein negativ belegt: Eine Frau fragte mich zum Beispiel in einer (damals noch geteilten) norddeutschen Großstadt einmal: “Warum heißt es denn ‘die Bombe‘? Das müßte doch ‘der Bombe‘ heißen!“ (das Thema war ‘die Atombombe‘). So liegt das Problem im Hochdeutschen.

Die grammatischen Geschlechter im Kaiserstühlerischen

 Im Alemannischen liegen die Dinge etwas anders. Zwar sagen die Kaiserstühler auch Lährer, Schdüdándá, Arbáider, selbst wenn Lährerná, Schdüdándinná, Arbáiderná dabei sind. Aber das Leitgeschlecht ist im Alemannischen bei unbestimmten Wörtern und Fürwörtern oft sächlich:

* Wir sagen á mánks (mancher, manche), á Granks (ein Kranker, eine Kranke), á Jungs (eine junge Person), á Frámds (ein Fremder, eine Fremde), gháins vu báidá (keine, keiner von beiden) usw. usf.

* Gute Dialektsprecher sagen zwar zwee Mánner oder zwoo Fraüá, wenn aber ein Mann und eine Frau gemeint sind, sagen sie keineswegs das männliche zwee, sondern das sächliche zwái.

* Das hochdeutsche 'man' geht sprachgeschichtlich tatsächlich auf das althochdeutsche Wort für ‘Mann‘ zurück, so auch die Wörter ‘jemand‘, ‘jedermann‘, ‘niemand‘. Der Ursprung des alemannischen mr (man) und niámá (niemand) ist gleichwohl das althochdeutsche (altalemannische) Wort für ‘Mann‘ oder eine Wortverbindung mit ‘Mann‘. Aber wie die weitere Entwicklung dieser Wörter beweist, legten die Alemannen keinen Wert auf die gedankliche Verbindung mit ‘Mann‘; sie ist in den heutigen Wörtern fast nicht mehr sichtbar. Unser mr (man) ist im Gleichklang mit mr (wir); niámá kommt auch in der Form niámes oder niámed vor. Unser Wort für ‘jemand‘, eber, hat gar keine Wurzel in ‘Mann‘, es geht auf das mittelhochdeutsche (mittelzeitalemannische) 'etwer' zurück, hat also Ähnlichkeit mit ‘irgendwer‘.

Neben dem männlichen gibt es im Alemannischen also auch ein sächliches, besser gesagt ein neutrales oder unbestimmtes grammatisches Leitgeschlecht. Das sächliche Geschlecht ist im Kaiserstühler Alemannischen keineswegs nebensächlich und so sind auch die Frauennamen keineswegs mit einem nebensächlichen Geschlecht bedacht.

Das Alemannische bräuchte den Vorwurf der Vorherrschaft des Männlichen in der Sprache weniger zu fürchten als das Hochdeutsche. Doch sind gegenüber einer ideologischen Wertung der grammatischen Geschlechter sowieso grundsätzliche Zweifel angebracht:

* Zahlreiche Wörter haben im Lauf der Jahrhunderte ihr Geschlecht geändert: Im Mittelalter hieß es zum Beispiel ‘der bluome‘, heute d Bluám (die Blume). Dr Schnágg scheint im ganzen Breisgau männlich zu sein, aber wenige rheinnahe Orte haben d Schnágg (vgl. Karte 31, S. 358). Beim Iil (bei der Eule) sind die Verhältnisse gemischt; man trifft ihn auch als d Iilá an (vgl. §56, S. 476). Auch beim Áágerschd (Elster) ist die alemannische Sprachgemeinschaft gespalten (vgl. Karte 1, S. 8), ungefähr die Hälfte der Ortschaften sagt d Áágerschdá. Es ist m.E. auch keine Gesetzmäßigkeit unter dieser Vielfalt erkennbar.

* Natürlich stimmen auch in den einzelnen indogermanischen Sprachen die grammatischen Geschlechter nicht überein, sehr zum Leidwesen zahlloser Oberschüler zwischen Ural und Atlantik, ja noch darüber hinaus. So ist ‘der Mond‘ zum Beispiel im Französischen weiblich, ‘die Katze‘ dagegen männlich. Und warum liebt der moderne Mensch das Englische so? Sicher auch, weil im Englischen die meisten Wörter sächlich sind; Schülerinnen und Schüler brauchen auf das Auswendiglernen der Artikel keine Mühe zu verwenden; das männliche und weibliche grammatische Geschlecht spielt im Englischen nur noch im Zusammenhang mit menschlichen Personen eine Rolle.

* Wenn aus dem grammatischen Geschlecht des Frauennamens auf eine Diskriminierung oder Nicht-Diskriminierung der Frau geschlossen werden könnte, müßte sie sich ja in verschiedenen Gesellschaften nachweisen lassen:

- Zum Beispiel in islamischen Gesellschaften herrscht, aus westlichem Blickwinkel gesehen, eine starke Unterdrückung der Frau. Sie müßte sich dann auch in der Sprache nachweisen lassen. Um es vorwegzunehmen: die meisten Sprachen sind in den Grundzügen viel älter als der Islam. Das Türkische etwa kennt gar kein grammatisches Geschlecht, zum Beispiel ‘arkadas‘ heißt ‘Freund‘ und zugleich auch ‘Freundin‘. Wenn Sie unbedingt wissen wollen, ob ‘arkadas‘ eine Frau oder ein Mann ist, müssen Sie umständlich nachfragen. Auch sonst wird nicht leichtfertig verraten, ob ein Mann oder eine Frau im Spiel ist: Zum Beispiel ‘sie ist da‘ heißt das gleiche wie ‘er ist da‘ oder ‘es ist da‘: ‘buradadir‘.

- Wenn der sächliche Artikel beim Frauennamen zum Nachteil der Frau wäre, müßte sich dies in den betreffenden Ortschaften ja nachweisen lassen. So müßte es d Maarii in Eichstetten (d-Ort) besser haben als s Maarii im benachbarten Bahlingen (s-Ort).

In Ihringen nennt man Frauen im mittleren Alter und älter meist noch s ... . Mädchen und jüngere Frauen werden oft schon als d ... bezeichnet. Die Tochter wird von ihrem Mann, ihren Bekannten und von ihrem Chef schon d Sasgjaa genannt; die Mutter nennen alle noch s Efeliin. Ob es der Saskia wohl besser geht als im Eef? Wir können Wohlergehen nicht objektiv messen, wir müssen nach äußeren Erscheinungen gehen:

Nach ihrer Scheidung zieht d Sasgjaa mit drei Kindern am Hals wieder zu ihren Eltern, zum Efeliin und zum Sebb. Ihr Ex-Mann zieht nach Freiburg zu dr Schagliin (Jaqueline). So weit, so schlecht. Die endgültige Antwort auf die Frage, wer das bessere Lebenslos gezogen hat, s Efeliin oder d Sasgjaa, müssen wir schuldig bleiben.

Die Annahme, daß der sächliche Artikel bei Frauennamen ein diskriminierender Zug im Alemannischen sei, ist wohl nicht haltbar.

Auch im elsässischen und im rheinnahen Kaiserstühler Alemannisch war der Artikel bei Frauennamen im Mittelalter noch weiblich. Der sprachliche Brauch, das Mädchen (s Máidli) ‘es‘ (áás, s) zu nennen, wird sich später auch auf den Vornamen ausgeweitet und ins Erwachsenenalter hinübergerettet haben, sodaß jetzt auch eine Erwachsene s Eefli, s Olgaa usw. heißt.

Der sächliche Frauenname wird in den betreffenden Ortschaften verwendet, wenn seitens des Dialektsprechers oder der Dialektsprecherin Vertrautheit oder die Bereitschaft zu Vertrautheit besteht. Wer es als einheimische oder zugezogene Frau nicht schätzt, s ... geheißen zu werden, kann es sich natürlich verbieten, wie man sich auch verbieten kann, geduzt zu werden ...


1 Rudolf Suter, Unser Baseldeutsch, Basel 1989

2 Beispiele aus der Schweizer Dialektliteratur:

aus: (Hg.: Christian Schmid-Cadalbert u. Barbara Traber), gredt u gschribe, Eine Anthologie neuer Mundartliteratur der deutschen Schweiz, Aarau 1987:

- “Anneli hets ghäisse, Anneli. ... Wenns guet gangen isch, het s Anneli e Stund in der Wuche frei gha.“ (Helene Bossert, Basel-Land)

- “Mängisch han i mi gfrogt, wieso dr Liebgott mi vorgseh het für dr Otti i sir letschte Zit z begleite. Wieso het Är s Sofi vor ihm lo schtärbe?“

(Wie in den betreffenden Kaiserstühler Ortschaften hat im folgenden und unten im letzten Beispiel auch der Rufname eines weiblichen Haustiers sächlichen Artikel:

 - “Und s Miggi schloft und schloft. Wenn äs einisch nümme do isch, wott i kei nüii Chatz meh.“) (Ernst Burren, Solothurn)

- "Ja, es het g‘angschtet, ds Luggi vo Wysseflueh, und de albe wieder mit sech gschumpfe, wil es wien es dumms Babi tüegi. Schliesslech syg es doch vor zäche Jahr muetterseelenallei ga Amerika gfloge, für dert sy Tochter Trixli und däm sy Familie z‘bsueche ..." (“Ja, es hatte Angst, das Luggi von Wyssefluh, und hat drum mit sich geschumpfen, weil es sich wie ein Baby benimmt (“tüegi“ = ‘tue‘, vgl. ADH Seite 118). Schließlich ist es doch (so sagt es zu sich selbst) vor zehn Jahren mutterseelenallein nach Amerika geflogen, um dort seine Tochter Trixli und dem seine Familie zu besuchen ...“) (Susy Langhans-Maync, Bern)

aus: Adolf Winiger, Verzell de Chind Cschichtli, Muttenz 1980:

- “Au s Monika, es Drittklassmeitli, hed gwösst, dass mer zum Wasser uus muess wenns blitzt.“ ("Wenn s Liseli geschter scho kalberet hätt ..." (“Wenn das Liseli gestern schon gekalbt hätte ...“)) (Adolf Winiger, Luzern)