Globalisierung und regionale Kultur

Globalisierung der Gesellschaft

Die Welt befindet sich in einer turbulenten Entwicklung. Ein Single-Haushalt im kleinsten alemannischen Nest Baden-Württembergs, des Elsass', der Schweiz oder Vorarlbergs besitzt heute mehr elektrische, elektronische Geräte als noch vor 50 Jahren das ganze Dorf mit duzenden Großfamilien. Das Leben läuft manchmal schon weitgehend ab nach dem Motto: Nimmi schaffe, nimmi bucke, numme no uf s Gnepfli drucke! Die Entwicklung wird von vielen begrüßt, wenige wollen zurück zu den alten oder fort zu neuen, anderen Zeiten. Die Entwicklung hat ihren Ausgangsort und ihr Vorbild: Die Vereinigten Staaten von Amerika.

Wie die Europäer den Amerikanern hinterherlaufen, so streben auch die Menschen der armen Völker ein Leben wie in den reichen Ländern an. Über eine Milliarde Chinesen wollen ihr Auto, ihre Waschmaschine und ihr Handy haben, Abermillionen Afrikaner sehnen sich zwischen HunDer Verfasser 1984 in Dapango/Togoger, Arbeitslosigkeit und der Versteppung ihrer Länder danach, eine Stereoanlage zu kaufen und die Trommel wegzuwerfen.

Es gibt Globalisierungsgewinner und -verlierer. Die Verlierer machen den Großteil der Menschheit aus. Derzeit müssen 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Das Verlieren ist oft, aber nicht immer auf den ersten Blick sichtbar. Das Abholzen der Urwälder etwa bringt zunächst Arbeit und Geld und damit Zugang zu den Waren des Nordens. Langfristig bringt es aber Versteppung, Hunger, Klimawandel. Die Verlierer versuchen, der Verelendung zu entrinnen und in die reichen Zentren zu gelangen.

Auch in den reichen Ländern wächst, inmitten allen Wohlstandsschrotts, eine öffentliche und private relative Armut heran. Die industrielle Produktion findet zunehmend in vollautomatisierten, fast menschenleeren Hallen statt, die noch arbeitsintensive Herstellung wird ins Ausland verlagert. Die Software-Industrie, die Programmierer, das Personal in Banken und Versicherungen, bisher unter den Globalisierungsgewinnern, erledigen sich selbst: ihr Produkt bzw. ihr Arbeitsmittel, der Computer, ist drauf und dran, einen Großteil ihrer Arbeit zu übernehmen. Führende Bosse der Weltwirtschaft haben schon unverhohlen von einer 20:80-Gesellschaft der Zukunft gesprochen. 20 Prozent der arbeitsfähigen Weltbevölkerung würden ausreichen, um die Weltwirtschaft im Schwung zu halten. Die anderen müsse man halt bei Laune halten. Wie jetzt schon. Hiesige Arbeitslose haben meist ihren eigenen Fernseher zur Ablenkung; in den Asylantenheimen muss man sich oft vor einem gemeinsamen Gerät scharen. Aber dies tut man viel lieber, als in der verlassenen Heimat ein schweres Leben zu führen. Während gewöhnliche Arbeitslose ohne Perspektive sind, sucht man hochqualifizierte Techniker im Ausland. Sie im eigenen Land heranzubilden, gelingt nicht. Die Erziehungskatastrophe herrscht - der Wille und das Geld, um zu erziehen und zu bilden, sind nicht da bzw. werden nicht bereitgestellt. Der Staat nimmt immer weniger Steuern ein, weil die Konzerne ihre Produktion ins Ausland verlagern und die Gewinne, auch die inländischen, am Fiskus vorbeimanövrieren und auf dem internationalen Finanzmarkt anlegen. "Vater Staat" wird zunehmend handlungsunfähig - nicht nur wegen Geldmangels, sondern auch weil immer mehr Kompetenzen an die EU abgegeben wurden - an eine anonyme Bürokratie, die im Interesse der Groß- und der Hightech-Industrie herrscht. Über allem aber steht der internationale Finanzmarkt. Er wird von keiner Regierung kontrolliert, geschweige denn besteuert, er kann aber jeder Regierung Bedingungen diktieren, sie in die Knie zwingen - und er tut es auch. Anonyme Spekulanten - Bank-, Investmentfonds- und Versicherungsmanager - sind die obersten Herren der Welt. Dieser alles dominierende Finanzmarkt fiel nicht vom Himmel, sondern er wurde durch die "zielstrebige Politik von zumeist demokratisch gewählten Regierungen und Parlamenten" geschaffen, allen voran durch die G7-Staaten. Jetzt ist der Geist aus der Flasche und packt seine Befreier am Kragen, darunter auch die politische Kaste in den mitteleuropäischen Ländern

Der Anteil der Arbeitenden an der Bevölkerung sinkt immer mehr; zur Arbeitslosigkeit kommt hinzu, dass die  Leute immer weniger Kinder und ein immer längeres Leben als Rentner haben. Die Zahl der Steuer- und Rentenversicherungszahler nimmt ab. Die Vergreisung der Gesellschaft sucht man durch Einwanderung auszugleichen. Aber dieser Prozess erfasst auch die Einwanderer nach ein, zwei Generationen. Einheimische Familien (dazu zählen auch ehemalige Einwanderer) sind in der Regel zu relativer Armut verurteilt. Kinder sind vom Standpunkt des "immer schneller, immer mehr, immer besser" Produzieren aus gesehen unrentabel, die Arbeitskraft von heute muss unabhängig, flexibel sein. Die Familie mit Kindern wird daher kaum für förderungswürdig gehalten. Die Politiker und die medialen Trendsetter dieses Systems können sich daher auch kaum für sie begeistern, manche gerade noch für die Homo-Ehe. In einer Gesellschaft, in der sich alles am Preis bemisst, wählt man lieber die billigere Variante: Einwanderung von Fachkräften, deren Ausbildung in ihrer Heimat schon gezahlt wurde.

So, wie die Welt sich in Gewinner und Verlierer spaltet, verschärft sich auch im Inland ein Gefälle zwischen einer kleinen Schicht, die die modernen Techniken beherrscht und einer breiten Masse, die sie nur konsumieren kann. Oder auch nicht. Im Altenheim, wo manches erfolgreiche Leben in bitterer Einsamkeit, in Obhut familienfremder, nicht immer einfühlender Pflegekräfte zu Ende geht, bleibt der meiste Technikschrott außen vor; ein vielleicht vorhandenes Vermögen wird verschlungen. Die turbulente Entwicklung führt nicht nur draußen in der Welt, sondern auch daheim zu altbekannten und zu neuen Formen der Verelendung.

The promised land?

Die Fürsprecher der Globalisierung behaupten, die Verelendung der Welt läge nicht an der Globalisierung selbst, sondern daran, dass sie sich noch nicht genug durchgesetzt hätte und dass sie nicht genug genutzt würde. Die neoliberale Wirtschaftsverfassung müsste in den armen Ländern überall durchgesetzt und die Tore für (ausländische ) Investoren und moderne Techniken geöffnet werden. Dann könne der Aufstieg beginnen.

Die Länder und ihre Bevölkerung, die sich darauf eingelassen haben oder einlassen mussten, können ein Lied davon singen, ein bitteres Lied. Aber selbst wenn diese Verheißung ernst gemeint wären, könnten sie nicht in Erfüllung gehen: Würde die Milliarde Inder in klimatisierten Wohnungen leben und online Erst- und Zweitwagen ordern, in den Urlaub fliegen und die Armen aller Kontinente mit ihnen, dann würde die (Um-)Welt kollabieren. Was sie jetzt schon schleichend tut. Gehäufte Sturm- und Hochwasserkatastrophen jetzt auch in Mitteleuropa sind erste Anzeichen dafür. Der Energieverbrauch ist ein deutliches Indiz für das Leben wider die natürliche Umwelt. Die US-Amerikaner stellen ungefähr 4,5% der Erdbevölkerung, verbrauchen aber jeweils über 25% der Weltförderung an Erdöl, Gas und Kohle (Die Zeit, 11. 10. 2001). Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch Primärenergie (Öleinheiten) ist in den USA 8,1 (Tendenz steigend); in Frankreich 4,3; in Deutschland 4,0; in der Schweiz 3,5 und in Österreich 3,2 Tonnen (Öleinheiten). Ein Chinese braucht im Schnitt 0,6 Tonnen. Das ist aber für die Apologeten der Globalisierung kein Thema. 

Auch in Europa müssten die rückständigen, stagnierenden Gegenden und Wirtschaftszweige die modernen Techniken nur einführen und nutzen, um auf den grünen Zweig zu kommen, sagen sie. Das ist eine Neuauflage des alten liberalen Leitsatzes: Jeder ist seines Glückes Schmied. Ein Kuchen kann aber nur einmal gegessen werden: Wenn es dem Breisgau gelänge, dank Internet, moderner Werbung usw. der sächsischen Schweiz die Touristen abzuwerben, gingen eben die Sachsen leer aus. Wenn im Verteilungskampf modernere oder aggressivere Mittel eingesetzt werden, bleibt es doch ein Verteilungskampf mit Gewinnern und Verlierern. Auf der Ebene der Individuen gesehen: Schwache, Lahme, Blinde, Alte - alle ihres Glückes Schmied? Muss jeder nur recht strampeln? Dann braucht es keiner solidarischen Gesellschaft. Darauf wollen die neoliberalen Politiker und Wirtschaftsbosse hinaus.

Wenn die Dritte Welt die Art Wohlstand erringen würde, die in den reichen Ländern herrscht, würde die Welt zerbrechen - also wäre es besser, die armen Länder kämen nicht hoch? Nein. Die Welt leidet auch schon unter der Lebensart in den wenigen reichen Ländern. Die Klimakatastrophe hat sich schon jetzt angebahnt, noch bevor im Tschad oder in Malawi ein einziger Computer steht. Die reichen Länder müssten sich zu einer Selbstbeschränkung durchringen, die in den armen Ländern Schule macht. Es müsste Mode werden, im Winter die 2-Zimmer-Küche-Bad-Single-Wohnung nicht auf 25 Grad zu heizen und nicht im T-Shirt hinein sitzen zu wollen. Es müsste gehen mit weniger Wohlstandsschrott und mehr Geist.

Wachstum, bis die Erde zusammenkracht? Mehr zum Thema hier (Externer Link).

Globalisierung des Geistes

Aber Selbstbeschränkung ist so ziemlich das letzte, wozu der moderne Mensch bereit ist. Er will jetzt und sofort sich jeden materiellen Wunsch erfüllen. Dazu gehören auch scheinbar kulturelle Wünsche. Doch die modernen audiovisuellen Medien, derer man sich dann bedient, sind oft Einbahnstraßen. Man singt, musiziert, tanzt nicht mehr und spielt nicht mehr Theater, sondern erlebt alles nur noch aus dem Sessel. Man kann sich, etwa bei Computerspielen, der Illusion hingeben, als sei man aktiv, man bewegt sich aber nur in den Bahnen, die durch die Software vorgegeben sind. Es ist eine Frage der Mode: Man will es so, weil alle es so wollen. Die eigene Umwelt zersiedelt, betoniert, zerstört man und jettet immer weiter hinaus in die Welt, um unberührte Flecken zu finden. Und zertrampelt auch dort die gewachsene Natur und Kultur. Und zerstört durch die Fliegerei die Ozonschicht. 

Man pflegt die eigene Sprache nicht mehr, übt die eigene Religion nicht mehr aus, schätzt die eigene, überkommene Kultur gering. Denn nicht sie bringt den Fortschritt, sie scheint ihm eher im Weg zu stehen. Der American way of life, den der moderne Mensch will und lebt, hat seine eigene Kultur - die amerikanische. Man betet das Goldene Kalb aus Amerika an.

Alternative zur Globalisierung - Regionalisierung

Die Globalisierung ist die vorherrschende Tendenz, doch der Ansatz zur Alternative existiert und wird gelebt. Überall, wo die regionale Identität verteidigt wird, wo die regionalen Kulturen hochgehalten und gelebt werden, wo eigene politische und wirtschaftliche Strukturen erhalten und ausgebaut werden. Mehr darüber hier.