Die Katastrophe des Deutschen im Elsass

Zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gehört auch die weitgehende Auslöschung der deutschen Sprache im Elsass. Diese Tatsache wird freilich nur selten so scharf formuliert.

Dagegen wurde die Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten und ihren osteuropäischen Siedlungsgebieten sowie die Spaltung Deutschlands lange Jahre als brennendes Unrecht benannt - durch Teile der deutschen Politik und auch durch die Opfer, die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge selbst. Dagegen aufzubegehren passte lange in die politische Großlandschaft, in der Europa in zwei Blöcke aufgeteilt und die Bundesrepublik Deutschland Teil des amerikanisch dominierten, westlichen Blocks war. Ein Protest gegen das Zurückdrängen des Deutschen im Elsass hätte dagegen Frankreich, eine der Besatzungsmächte und späterer Partner der Bundesrepublik, brüskiert. Er hätte gerade auch die Elsässer in eine schwierige Lage gebracht, die an ihrer deutschen Sprache festhalten wollten. Die schärfste Waffe der Franzosen war nämlich, das Deutsche als Sprache des ehemaligen Feindes, des Nationalsozialismus, hinzustellen und dem Sympathien für diesen Feind zu unterstellen, der am Deutschen festhalten wollte. Ein großer Teil der Elsässer setzte sich dieser Gefahr aber gar nicht aus und bemühte sich recht und schlecht, sich in der Sprache des neuen/alten Herrn zu debrouillieren. Den Jüngeren wurde massiv nachgeholfen:

Foto: Bäckereischild im Elsass

In der Schule war Deutsch nach 1945 verboten und auch die lokalen Varianten, der elsässisch-alemannische und der elsässisch-fränkische Dialekt wurden verfolgt. Das ging soweit, dass auch auf dem Pausenhof derjenige die Schandtafel umgehängt bekam, der beim Elsässisch-Sprechen erwischt wurde, auf welcher stand: "Il est chic de parler français" (Es ist schick, französisch zu sprechen). Wenn der mit dem Schild Gedemütigte aber einen anderen denunzierte, bekam jener es an den Hals. Es erschienen zwar noch (und dies bis heute) Zeitungen auf Deutsch - viele Alte wären sonst weitgehend vom verschriftlichten Geistesleben und gerade auch von der staatlichen Propaganda abgeschnitten gewesen. Aber die Jugend- und Sportseiten sowie die Todesanzeigen durften auch in diesen Zeitungen nur auf Französisch erscheinen, wodurch wegen der ersten beiden Sparten die Jugend automatisch den französischen Ausgaben zugetrieben wurde.

Wer ein Volk spalten und beherrschen will, muss es seiner Jugend entfremden - im Elsass gelang das trefflich. Dass Kinder und Jugendliche heute noch Deutsch bzw. einen elsässischen Dialekt als Muttersprache sprechen, ist eine große Seltenheit. Wobei wie gesagt die Mehrheit der Elsässer keineswegs sich gegen die französische Herrschaft sträubte und die sprachliche Umpolung widerstandslos hinnahm.

Es gab aber von Seiten von Sprachgesellschaften und einer autonomistischen Partei Widersetzlichkeit. Eine der Gesellschaften war und ist intellektuell und eher linksgrün ausgerichtet und pflegt eine latente Feindschaft gegen das Deutsche: Die Erinnerung an das nationalsozialistische Unrecht wird hier gerne gepflegt und der elsässische Dialekt vom Hintergrund der deutschen Standardsprache abgeschnitten; letztere als eher etwas Fremdes begriffen. Und dies, obwohl das Elsass im Mittelalter und in der frühen Neuzeit einmal ein wichtiger Impulsgeber der Entwicklung der allgemeinen deutschen Sprache war. Man hat eine nostalgische Beziehung zum alten Dialekt, sieht ihn aber als Sprache des Vergnügens, "langue de plaisir" (Adrien Finck) und immer weniger als eine Sprache, um deren Erhalt gekämpft werden muss. Die andere Sprachgesellschaft weiß, dass der elsässische Dialekt ohne enge Beziehung zur deutschen Standardsprache verkümmern und veralten muss. Wie dem auch sei: Die Würfel sind gefallen, um einen Buchtitel von André Weckmann abzuwandeln. Den alemannischen und fränkischen Dialekten im Elsass wird nach Menschenermessen in Zukunft auch im besten Fall nicht viel mehr als ein Nischendasein beschieden sein; die hochdeutsche Standardsprache wird im besten Fall in der Schule als Fremdsprache gelehrt und kann nicht mehr aus einem Dialektfundament schöpfen. Wer die Leistungsfähigkeit der französischen Schule im Fremdsprachenunterricht kennt, weiß, was dabei herauskommt.

Dass die Elsässer die Ausmerzung ihrer alten Sprache in der Mehrheit ergeben hinnahmen, mag zum Teil an ihren Volkscharakter liegen, den sie mit den Verwandten auf der rechten Seite des Rheins teilen. Allerdings: Das Elsass als französische Provinz hatte schon eine lange Geschichte, die 1648 begann, als der französische König durch Verträge und Annexionen immer weitere Teile des Elsass unter seine Herrschaft brachte. Frankreich beschränkte sich lange darauf, politisch zu herrschen, die sprachliche und ökonomische Struktur und die entsprechenden Verbindungen in die deutschen Kleinstaaten wurden lange nur wenig angetastet; die französische sprachliche Durchdringung blieb auf die Verwaltung und Oberschicht beschränkt. 1871 wurde das Elsass wieder deutsch, 1918 wieder französisch und 1942 noch einmal deutsch, 1945 wieder französisch. Mit diesen Einverleibungen war jedes Mal eine rigorose Unterdrückung der Sprache des anderen verbunden. In der französischen Phase 1918 - 1940 entwickelte sich ein starker elsässischer Autonomismus, der sich auch gegen die sprachliche Unterdrückung wandte. Freilich stieß auch die Einverleibung 1871 durch das preußisch dominierte und 1940 durch das nationalsozialistisch dominierte Deutschland bei vielen Elsässern auf Ablehnung. Daran konnte Frankreich nach 1945 bei der endgültigen Ausmerzung des Deutschen anknüpfen.

Andererseits lebt immer noch ein bewusster oder unbewusster Widerstand; als Beispiele unter vielen seien hier nur das Passionsspiel in Masevaux und die elsässischen Gottesdienste genannt - ich hatte am 17. Mai 2018 die Freude, eine Messe auf Elsässisch im Straßburger Münster erleben zu dürfen. Möge ein Wunder geschehen und es zu einer Rückbesinnung kommen - durch eine Jugend, die fragt: Warum heiße ich Meier, Weymann, Oberlin ..., warum heißt mein Dorf Kientzheim, Pfaffenhofen ..., warum sind die Inschriften schon vor 1871 deutsch?