Dieter Geuenichs „Geschichte der Alemannen“

Teil 2

 von Harald Noth

 Dieter Geuenich behauptet in seiner 1997 erschienenen „Geschichte der Alemannen“, diese Geschichte sei mit der Gründung des „deutschen Reiches“ (10. Jahrhundert) zuende gegangen. Er greift daher jeden an, der eine wie auch immer geartete Kontinuität der Alemannen bis heute behauptet. Nicht genug damit: Er meint auch, den Anteil der Sueben im allgemeinen und der suebischen Semnonen im besonderen an der Konstituierung der Alamannen bestreiten zu können. In unserer ersten Folge im letzten AlemannenSpiegel meinen wir, Geuenich diesbezüglich widerlegt zu haben. Wir blättern nun in seinem Werk noch etwas weiter.

 Zusammengewürfeltes Mischvolk?

 Helga Schach-Dörges schreibt im 1997 erschienenen Sammelband „Die Alamannen“: „In den letzten drei Jahrzehnten wurde wichtiges archäologisches Material publiziert, das die Herkunft der Alamannen aus dem suebisch-elbgermanischen Raum belegt. Zu klären ist jedoch, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang nordgermanisch-skandinavische und ostgermanische Bevölkerungsgruppen an der Aufsiedlung Süddeutschland beteiligt waren.“ Schach-Dörges gibt damit den gegenwärtigen Stand der archäologischen Forschung wieder.[i]

Daß eine ins Gewicht fallende Zahl von Kriegern und Siedlern aus nicht-suebischen Stämmen an der ursprünglichen Bildung der Alamannen Fiebel aus dem alamannischen Reihengräberfeld in Weingarten/Oberschwaben beteiligt seien, scheint durch eine griechische Schriftstelle schon vorab festzustehen. Ein Asinius Quadratus soll die Alamannen danach als „zusammengewürfeltes Mischvolk“ charakterisiert haben. Ein Mann dieses Namens hat in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts tatsächlich gelebt und geschrieben, ist also ein Zeitgenosse der Anfänge der Alamannen. Freilich ist uns sein Werk nicht überliefert, wir finden ihn lediglich in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts beim Historiker Agathias zitiert. Dieser schreibt nämlich: „Die Alamannen sind - wenn man dem Asinius Quadratus folgen darf, einem Italiker, der die Verhältnisse und Geschichte der Germanen genau beschrieben hat - ein zusammengewürfeltes Mischvolk, und das drückt auch ihre Benennung aus.“[ii]. Geuenich weiß es und deutet es auch an, daß die Berufung des Agathias auf Asinius nicht als Beweis herangezogen werden kann. Dem Dresdener Historiker Matthias Springer scheint nämlich der Nachweis gelungen zu sein, daß Agathias das Werk des Asinius gar nicht gelesen haben konnte.[iii] Wer wann die Alamannen zuerst als zusammengewürfeltes Mischvolk bezeichnete - übrigens eine Bezeichnung mit abwertender Absicht[iv] - ist nicht auszumachen.

Geuenich aber bescheinigt dem Agathias, seine „Erklärung des Namens“ erscheine „durchaus zutreffend, wer auch immer der Gewährsmann von Agathias gewesen sein mag: Er kann diese Worterklärung eigentlich nur von einem Germanen vermittelt bekommen haben.“ (S. 20)

Da nun aber Geuenich bestreitet, daß die Teilnahme der Sueben an der Stammesbildung der Alamannen nachweisbar sei, so reduziert sich sein Begriff von der Konstituierung der Alamannen tasächlich auf die angebliche Definition von Asinius Quadratus, die er mit „zusammengespülte und vermengte Menschen“ wiedergibt. Diese Anschauung trifft aber wohl den Sachverhalt kaum, wenngleich sie dem Gefühl der heutigen Zeit entgegenkommt.

Dieter Geuenich führt dann weiter Bruno Boesch[v] an, der das Wort Alamannen mit „Menschen oder Männer insgesamt, im Gesamten genommen“ übersetzt habe. Er läßt ihn also in seinem Sinne sprechen, bricht das Zitat aber genau dann ab, wenn Boesch die Sueben als „Kern“ dieser Wandergemeinschaft“ bezeichnen will. Falls Alamannen eine Selbstbezeichnung war, so Boesch, meint sie die Sueben und die zu ihnen gestoßenen Scharen, den ganzen Verband also.

Eine andere Deutung übergeht Geuenich ganz, und zwar die von Mathias Springer, auf den er sich ansonsten in vielem beruft. Springer meint, das Wort Alamannen sei ursprünglich kein Stammesname, sondern habe „Kriegergenossenschaft“ bedeutet. Der eigentliche Stammesname der Alamannen, ihre Selbstbezeichnung, sei Sueben. Im Prinzip hätten auch andere als suebische Kriegsscharen sich „Alamannen“ nennen können.[vi] Wenn dem so wäre, so folgere ich, wäre der Name Alamannen denkbar ungeeignet, etwas über die Bildung des Stammes auszusagen.

Wie dem auch sei - das wohl sehr ungenaue und herabsetzende Bild vom zusammengewürfelten Mischvolk hat sich in den letzten Jahrzehnten gerade in der südbadischen Öffentlichkeit durchgesetzt. Hier zwei plastische Belege: Einmal das Gedicht „Alemannespiegel“ von Gerhard Jung, das unten abgedruckt ist, zum andern die Überschrift der Badischen Zeitung von 1992 über einen Vortrag von Klaus Poppen, dem Präsi der Muettersproch-Gsellschaft.

.Badische Zeitung, 12. 12. 1992, Ausriss 

Sie zeigen, daß führende Vertreter der (südbadischen) Alemannen sich neuen Auffassungen von Wissenschaftlern durchaus öffnen, freilich dabei von einigen der „sibe gschiiti Sibegschiiter“ auch mal hereingelegt werden können. Das erklärt wohl auch, daß Gerhard Jung in seinem Gedicht ein bißchen übers Ziel geschossen ist. Klaus Poppen hat sich vermutlich differnzierter ausgedrückt, als die Überschrift und der Artikel es wiedergeben. Daß durch redaktionelle Überschriften Inhalte falsch gewichtet werden, ist leider eine alltägliche Erscheinung.

Alemannenspiegel

Do! Lueg iine in de Spiegel, / däno sihsch si d Alemanne: / Chratzete us Hundert Pfanne, / zämmegschuuflet in ei Tigel; / Brösmeli vu hundert Brocke, / Spil - us hundert Charte gmüschlet - / zsämmebäppt un zämmebüschlet / zum e zaihe Völkermocke.

Sibe gschiiti Sibegschiiter / häns erforscht, woher mir chömme: / s wär e Stamm us hundert Stämme / heimetlosi Hungerliider; Strandguet wär s vo de Germane / ohni "Volksstolz", ohni Gwüsse, / dummi Chaibe, wo nit wisse / recht woher - nit recht wo ane!

Hän kei Staat gha un kei König, / nit emol en eige Ländli; / nit emol e Postamentli / für en eige Denkmol! / Des isch wenig. / Umegschupft un billig g'handlet / hät mer si - so sait de Spiegel - / iigspeert! Trennt mit Grenzerigel - / arg viil hät sich dra nit gwandlet.

 Schwarzi Schof un wißi Neger / sin si hüt no, d Alemanne, / Chratzete us hundert Pfanne. / Mir egal! / Do ghör i ane! Un i sag: Grad eineweger!

Gerhard Jung, in: Proscht Gürgeli, 1983 

 

Legten die Siedler im Südwesten ihre Kultur ab?

Wenn Geuenich eine generalstabsmäßige Planung der Landnahme sicher zurecht ausschließt, so führen doch seine Ausführungen in die Irre, in denen es heißt: „Jedenfalls ist das romantisch verklärte Bild von einem Volk, das wie die Israeliten auf dem Weg in das gelobte Land (...) auf Wanderschaft geht, um dann, am Ziel angelangt, unter traditionsbewußter Beihaltung der alten Sitten und Trachten, Sozialstruktur und Rechtsordnung, Wirtschafts- und Lebensweise, Religion und Sprache „Land zu nehmen“, nicht mehr aufrecht zu erhalten.“ (S. 12). Gewiß haben die Einwanderer, entsprechend ihrer heterogenen Zusammensetzung, keine einheitliche Kultur gehabt. Sie haben bei der Ansiedlung im Südwesten sicher auch keine gleichmacherischen, kulturimperialistischen Zielsetzung im Auge gehabt, wie etwa die christliche Mission oder der islamische Fundamentalismus heute. Sie werden aber ihre Kultur auch nicht an der mittleren Elbe und den benachbarten Gebieten zurückgelassen haben. Kein Auswanderer kann das und tut das. Da aber die Zuwanderer im Hauptteil aus einem begrenzten Raum und einem begrenzten Stammesverband kamen, wird die Kultur der verschiedenen Personenverbände, wenn nicht einheitlich, so doch auch nicht grundverschieden gewesen sein. Helga Schach-Dörges geht sogar so weit, zu sagen: „Nach jetzigem Kenntnisstand waren bis gegen Ende des 4. Jh. an der alamannischen Etnogenese Germanen mehrerer elbgermanischer Stämme von der Prignitz und Altmark im Norden bis Westböhmen beteiligt. Alle gehörten zum sehr einheitlich geprägten suebischen Kulturkreis.“ [vii]  Im neuen Umfeld wird sich an mitgebrachter Kultur gehalten haben, was haltbar war. Es wird in einem gewissen Grad zu einer kulturellen Vereinheitlichung der eingewanderten Bevölkerung gekommen sein - und natürlich auch zur Vereinheitlichung mit der Vorbevölkerung. Kriegszüge, Binnenwanderungen und schließlich politischer Zusammenhang werden dazu beigetragen haben. Daß der eine oder andere Unterschied, der sich heute in der Alemannia findet, seine Wurzel schon in der Völkerwanderungszeit haben könnte, wo die kulturelle Verschmelzung vielleicht nicht in jedem Aspekt zur Gleichheit geführt hat, ist nicht auszuschließen.

Wie alt ist der Name Alamannen?

Bisher ging man davon aus, daß die erste (überlieferte) Nennung des Namens Alamannen um 213 durch Cassius Dio geschah. Geuenich schreibt nun, die betreffende Schrift von Cassius Dio sei nur in einer späteren Abschrift erhalten, „in die der Name der Alemannen nachträglich eingefügt worden ist“. (S. 18f). Das sei, so Geuenich, durch M. Springer und L. Okamura nachgewiesen.

In der Tat weist Matthias Springer[viii] nach, daß Cassius Dio nicht Alamannen geschrieben haben kann. Die betreffenden Urtexte sind nicht erhalten, sondern nur byzantinische Abschriften aus dem 10. Jahrhundert, von denen wiederum ein Teil 1634 von Valesius herausgegeben wurden. Valesius interpretierte das Alambannos der byzantinischen Abschriften als „Alamannos“. Spätere Herausgeber übernahmen den Irrtum. Eine weitere Falle war die Verwechslung von Germanikia, einer Stadt in Kleinasien, mit „Germania“ schon durch die Byzanthiner. Man projezierte daher - im 10. Jahrhundert schon - einen Bericht von Cassius Dio von Kleinasien nach Germanien. Das Jahr 213 als Zeitpunkt der ersten Erwähnung der Alamannen kann man nach den in dieser Hinsicht überzeugenden Ausführungen von M. Springer getrost ad acta legen.

 Die erste zuverlässige Nennung der Alamannen - wir folgen jetzt wieder Geuenich - wäre dann erst um 289 durch Mamertinus geschehen, also 20 Jahre nach der Überschreitung des Limes. Geuenich stützt damit seine heute kaum noch angezweifelte These, daß die Alamannen eben nicht als fertiger Stamm in den Südwesten kamen. Diese Quelle spricht jedoch keineswegs davon, daß sich die Alamanni sich soeben erst zusammengefunden hatten, sondern sie zählt sie zu den barbariae nationes, zu den Barbarenstämmen, die „ganz Gallien mit dem Untergang bedrohten“.[ix] Auch die nächste zeitgenössische Nennung (Mamertinus, 291) läßt an alles andere als an eine lockeren Verband von Siedlergruppen denken. Wieder ist von „Stämmen“[x] die Rede, die zu den Waffen greifen.

Während Geuenich bei Cassius Dio die streng textkritische Untersuchung von Springer gelten läßt, stützt er sich jedoch im nächsten Augenblick schon auf die Historia Augusta, eine Quelle, die, wie Geuenich selbst schreibt, um 400 von einem anonymen Fälscher zusammengestellt wurde. Er ergänzt seine Angabe über die erste Nennung der Alamannen nämlich durch ein Zitat aus der Historia: Alamannos, qui tunc adhunc Germani dicebantur. Die Alamannen seien also bis dahin ( der Leser muß meinen 289) Germanen genannt worden. Die Stelle in der Historia bezieht sich aber auf Proculus, der kurz vor 280 die „Alamannen“, wie es heißt, „aufrieb“. Wenn der anonyme Autor um 400 sagt „Alamannen, die bis dahin Germanen genannt wurden“, so peilt er nur grob über den Daumen. Er spricht nämlich in seiner ganzen Historia von Alamannen, auch schon in Teilen, die 213[xi] und 268[xii] betreffen. Der Eindruck, daß der Name Alamannen um 280 oder gar 289 neu sei, wird - gegen Geuenich - durch die Historia Augusta bei näherem Hinsehen nicht bestätigt.

Die alamannische Landnahme - mit Zustimmung der Römer?

Geuenich schlachtet diese zweifelhafte Quelle weiter aus: Es heißt dort in einem angeblichen Schreiben von Kaiser Probus an den Senat: „Ganz Germanien, soweit es sich erstreckt, ist unterworfen; neun reges (Könige) von verschiedenen gentes (Stämmen?) haben sich flehend vor mir, vielmehr Euch, zu Füßen geworfen. Alle Barbaren pflügen nun für Euch, dienen Euch und stehen im Kriegsdienst gegen die Stämme weiter im Inneren des Landes...“ Probus regierte von 276-282.

Geuenich münzt diese Stelle auf die Alamannen: „In dieser Schilderung, auch wenn sie vielleicht nicht zeitgenössisch ist und die unter Probus entstandene Situation vermutlich günstiger darstellt, als sie wirklich war, könnte (...) durchaus ein zutreffendes Bild von einer vertraglich geregelten Koexistenz der Römer mit den neuen rechtsrheinischen Nachbarn gezeichnet sein.“ (S. 23) Die Alamannen, so meint Geuenich, „können durchaus mit Zustimmung der Römer, möglicherweise sogar unter vertraglichen Bedingungen (Hans Ulrich Nuber), das von Rom aufgegebene ehemalige Provinzgebiet besiedelt haben.“ Die Alamannen hätten damit als römische Förderaten, Verbündete und im weitesten Sinne Söldner die Bühne der Geschichte betreten.

Das Geschichtsbild schlägt hier in das andere Extrem um: Die Alamannen überennen das Dekumatland nun nicht mehr organisiert und im Sturm, sondern bekommen es, von den Römern besiegt und vertraglich gebunden, als Wohnplatz angewiesen.

Wenn es wahr wäre, müßte es akzepiert werden. Es spricht allerdings nichts dafür. Der Autor der Historia Augusta hätte um 400 die Alamannen als solche nennen können, wenn er sie gemeint hätte; er hat sie an anderen Stellen, wie oben schon gesagt, sehr wohl genannt. Ob das aber den Wahrheitsgehalt des angeblichen Berichts von Probus gesteigert hätte, ist fraglich. Der anonyme Schreiber operiert mit gewaltigen Zahlen. So habe Probus 400 000 (fast eine halbe Million!) über den Rhein vorgedrungene Germanen getötet und die restlichen über den Neckar und die Schwäbische Alb zurückgeworfen. Außerdem habe er durch Verhandlungen mit den neun reges 16000 Rekruten als barbarische Hilfstruppen bekommen.[xiii] Diese Schilderung, in der Geuenich einen wahren Kern vermutet, spricht jedoch gegen ihn: Ein Förderatsvertrag mit den Alamannen, mit 9 reges, würde eine gewisse Organisation bei den Alamannen voraussetzen, die dem Bild Geuenichs von einer Besiedlung durch Gruppen unterschiedlichster Herkunft und ohne gemeinsame Führung (und sei es nur eine kollektive) widerspricht. Auch die nicht unbegründete Vermutung von Historikern, die Besiedlung des Dekumatlands in den ersten Jahrzehnten sei sehr inkonstant gewesen, ein Teil der Kriegerscharen hätte sich nach Beutezügen sogar wieder nach Mitteldeutschland zurückgezogen[xiv], macht es schwer, an einen Vertrag von alamannischen reges mit den Römern zu glauben.

In den ersten zeitgenössischen Berichten ist von alamannischem Förderatentum jedenfalls nicht die Rede: „Als alle die Barbarenstämme ganz Gallien mit dem Untergang bedrohten und nicht nur die Burgunder und Alamannen, sondern auch Chaibonen und Eruler (...) in jähem Ansturm in diese Provinzen eingebrochen waren, welcher Gott hätte uns da wider alles Erwarten Rettung gebracht, wenn Du nicht dagewesen wärest?“[xv] So heißt es in der oben schon erwähnten Lobrede des Mamertinus auf Kaiser Maximianus um 289, also wenige Jahre nach Probus. Zwei Jahre später hören wir vom gleichen Redner: „Die Burgunder haben das Gebiet der Alamannen besetzt, aber es nur unter eigenen Verlusten errungen. Die Alamannen haben Land verloren, aber wollen es wiedergewinnen... Nicht nur diese und andere Stämme, zu fürchten wegen ihrer Kraft und ihren Waffen, benutzen ihr Vertrauen auf ihre wilde Kraft zum eigenen Verderben...“[xvi]

Im 4. Jahrhundert, zumindest in seiner Mitte, waren Verträge zwischen Alamannenfürsten und der römischen Herrschaft allerdings keine Seltenheit; in kaum für möglich zu haltender Schnelle wechselten sich hier Krieg, Frieden, Bündnis, Bruch des Bündnisses durch die Alamannen und wieder Krieg ab. Die Bereitschaft der Römer zu Bündnissen änderte sich in den 60er Jahren mit Kaiser Valentinian: Er erklärte die Alamannen zu den „Feinden der ganzen römischen Welt“.[xvii]

Ist die „Geschichte der Alemannen“ objektiv?

Wir haben nun versucht, Dieter Geuenich ein Stück zu folgen. Er ist Professor für die Geschichte des Mittelalters an der Universität Duisburg und gehört dem wissenschaftlichen Beirat des Alemannischen Instituts in Freiburg i.B. an. Zuvor lehrte er an der Universität in Freiburg i.B., der inoffiziellen Hauptstadt des badischen Alemannenlands. An einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der alemannischen Geschichte haben wir das größte Interesse. Auch jeder Wissenschaftler verfolgt ein Interesse, wenn er seiner Arbeit nachgeht; daß er etwa unparteiisch über der Geschichte stünde, darf höchstens ein Kind glauben. Daß er vielleicht nicht über sein Interesse spricht, heißt nicht, daß es nicht existiert.

Geuenich stützt sich hauptsächlich auf das römische Schrifttum. Bei der Auswahl und Interpretation der Quellen beginnt die Parteinahme. Das ist unweigerlich so, es war so in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, und es ist heute so. Geuenich vertritt im Bemühen, sich von alten Sichtweisen über die Alamannen abzugrenzen, das andere Extrem. Einstmals legte man Wert auf das Finden einer alten Identität, auf die man stolz sein konnte. Die einen hatten es mit dem Germanentum, andere mit dem Alemannentum, wieder andere mit beidem. Heute sind regionale Identität und regionale Wurzeln eher verpönt; angesagt sind Europäisierung, Globalisierung, Multikulti. Immer werden Wunschbilder aus der Gegenwart in die Vergangenheit projeziert, sei die Gegenwart nun 1900, 1933 oder 1997. So kommt es zu ganz unterschiedlichen Geschichtsbildern.

Bei Geuenich - sein westmitteldeutscher Akzent weist ihn als Franke aus - kommt noch hinzu, daß er, wie schon die römischen Geschichtsschreiber, von außen über die Alemannen bzw. Alamannen schreibt. Die heutigen, traditionsbewußten Alemannen sind ihm suspekt. Darüber läßt er zu Beginn und am Schluß seines Buches keinen Zweifel. Wessen Interessen vertritt Geuenich mit seiner Position?

Die gesellschaftliche Wirklichkeit im Südwesten weist viele Widersprüche auf, ein wichtiger davon ist der Gegensatz von einheimischer Bevölkerung und kultureller Hierarchie. Namentlich in Südbaden ist das Geistesleben weitgehend von Nichtalemannen beherrscht. Die kulturellen Positionen sind oft von Norddeutschen oder anderen Deutschen besetzt, vereinzelt sind darunter auch an die allgemeine hochdeutsche Herrschaftskultur assimilierte Alemannen. Auf der anderen Seite fühlen sich viele Alemannen, ob sie sich als solche bekennen oder nicht, von dieser Schicht unterdrückt.

Das Gefühl der Unterdrückung, das sich immer wieder, wenn auch selten klar artikuliert, kommt der Herrschaft nicht zupaß, sie bemüht sich daher, alemannisches Bewußtsein madig zu machen oder auszulöschen. Historiker wie Dieter Geuenich sagen uns (ohne es so deutlich zu formulieren): „Wie könnt ihr euch als Alemannen unterdrückt fühlen, es gibt euch doch als solche gar nicht!“ Die alamannische Geschichte wird um 746 beendet, auch die Geschichte davor wird vorsichtshalber so beleuchtet, daß es scheinen muß, als sei da eigentlich nie nichts gewesen. „Es gibt euch nicht nur heute nicht, ihr wart eigentlich nie mehr als zusammengelaufenes Volk. Wenn es ein Alamannien gab, so nur als fränkische Provinz!“ Das ist die Suggestion von Geuenichs Buch. Eine über 1700 jährige Geschichte ist zwar, wie in Teil 1 ausgeführt, für ein Volksgruppenbewußtsein nicht nötig. Dennoch streitet man sie den Alemannen ab. Sicher ist sicher.


[i] Helga Schach-Dörges: „Zusammengespülte und vermengte Menschen“. Suebische Kriegebünde werden sesshaft. in: Die Alamannen. Herausgegeben vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg. Stuttgart 1997. S. 79

[ii] Quellen zur Geschichte der Alamannen. Sigmaringen. Heft I., S. 80

[iii] Matthias Springer: Der Eintritt der Alemannen in die Weltgeschichte. in: Abhandlungen und Berichte des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden. Band 41. Berlin 1984. S. 114ff, bes. S. 122ff

[iv] Geuenich, S. 20 und schon Boesch, siehe nächste Anmerkung

[v] Brune Boesch: Name und Bildung der Sprachräume. in: Wolfgang Hübner (Hg): Die Alemannen in der Frühzeit. 1974

[vi] Springer, wie oben, S. 130f

[vii] H. Schach-Dörges (wie oben) S. 85

[viii] Springer, wie oben, S. 100ff

[ix] Quellen II, S. 22

[x] Quellen II, S. 23

[xi] Quellen II, S. 37

[xii] Quellen II, S. 41

[xiii] Geuenich, S. 28 und Quellen II, S. 42

[xiv] vgl. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Erster Band, Zweite Auflage 1973, S. 145

[xv] Quellen, I, S. 22

[xvi] Quellen, I, S. 23

[xvii] Vgl. Geuenich, S. 54f und Quellen I., S. 70

 

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