Stellungnahme zur Besprechung meiner “Geschichte der Alemannen“ durch Harald Noth in Alspi 98/1 und 98/2.

Die Lektüre meines 1997 im Kohlhammer-Verlag Stuttgart erschienenen Taschenbuchs hat den “Kaiserstühler Autor“ Harald Noth nicht nur “zum Stirnrunzeln“ gezwungen, sondern zu einer 12 Seiten (28 Spalten mit 2 ganzseitigen Abbildungen) umfassenden “Widerlegung“ veranlaßt. So sehr ich mich einerseits freue, daß das kleine Büchlein eine solch eingehende Besprechung gefunden hat, so sehr bedaure ich andererseits den polemischen Ton und die vor allem zum Ende hin unwissenschaftliche Art der Auseinandersetzung, obwohl der Rezensent betont: “An einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der alemannischen Geschichte haben wir das größte Interesse“. Mein Versuch, die Schriftzeugnisse als Historiker kritisch zu beleuchten, der in der wissenschaftlichen Fachwelt durchweg Zustimmung gefunden hat, wird von Noth als “Angriff“ auf die heutigen Alemannen interpretiert: “Auch wir Alemannen möchten uns Alemannen nennen“, denn “wer sich zusammengehörig fühlt, darf sich auch einen verbindenden Namen geben... So streitet auch schon lange niemand mehr den Amerikanern der USA ab, ein Volk zu sein"

Abgesehen davon, daß wohl kaum jemand ernsthaft die Bewohner der USA als ein “Volk“ bezeichnen wird - womöglich als das Volk der Indianer? - geht es mir nicht um eine Mißachtung all derer, die überkommenes Brauchtum pflegen und die Mundart zu bewahren versuchen. Im Gegenteil: Diese Bestrebungen möchte ich nachdrücklich unterstützen, und wer mich näher kennt, weiß um meine Vorliebe für Land und Leute am Ober- und Hochrhein. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte von Bad Säckingen, Denzlingen, Freiburg, Lahr, Reichenau, Sexau, St. Gallen, Vörstetten usw. dürften davon ebenso Zeugnis ablegen wie meine stets gut besuchten Vorträge im gesamten “Alemannenland“ - übrigens auch auf Einladung von Klaus Poppen vor der Muettersproch-Gesellschaft! Allerdings wissen die meisten Leser und Hörer sehr gut zwischen wissenschaftlicher Methode und emotionaler Heimatliebe zu unterscheiden.

An dieser Fähigkeit scheint es dem Rezensenten jedoch zu mangeln. Und so ufert seine kritische Auseinandersetzung mit meinem Buch, die streckenweise durchaus lesenswert ist, am Ende zu einer Haßtirade des “unterdrückten Alemannen“ gegen “die allgemeine hochdeutsche Herrschaftskultur“ aus (Alspi 98/2, S. 18). Beim Blick auf die “gesellschaftliche Wirklichkeit im Südwesten“ macht er “einen Gegensatz von einheimischer Bevölkerung und kultureller Hierarchie“ aus. “Namentlich in Südbaden ist“ seiner Meinung nach “das Geistesleben weitgehend von Nichtalemannen beherrscht. Die kulturellen Positionen sind oft von Norddeutschen oder anderen Deutschen besetzt ... Auf der anderen Seite fühlen sich viele Alemannen ... von dieser Schicht unterdrückt. Das Gefühl der Unterdrückung...kommt der Herrschaft nicht zupaß, sie bemüht sich daher, alemannisches Bewußtsein madig zu machen oder auszulöschen“. Dementsprechend empfindet es Noth als Ungeheuerlichkeit, daß “Historiker wie Dieter Geuenich - sein westmitteldeutscher Akzent weist ihn als Franke aus - an der Universität in Freiburg i.B., der inoffiziellen Hauptstadt des badischen Alemannenlands“ lehren durfte.

Der Ton, der hier angeschlagen, und die Emotionen, die mit einer solchen Art der Auseinandersetzung geweckt werden, bereiten den Nährboden für fremdenfeindliche Aversionen, die unlängst anderenorts einen Phantasten zu mörderischen Sprengstoffattentaten im Namen einer “bajuwarischen Befreiungsfront“ veranlaßt haben. Ich kann die Leserinnen und Leser des Alemannenspiegels nur nachdrücklich vor solchem Gedankengut warnen. Der Inhalt eines Buches sollte für seine Bewertung Maßgeblich sein und nicht die Herkunft oder Mundart des Autors. So wurde es am Hoch- und Oberrhein,wo schon Erasmus von Rotterdam eine Wirkungsstätte fand, stets gehalten, und dies wird auch hoffentlich zukünftig so bleiben.

Der Raum, den mir die Redaktion dankenswerterweise zur Entgegnung eingeräumt hat, ist mit diesen grundsätzlichen Bemerkungen leider bereits ausgefüllt. Sie erschienen mir jedoch ungleich wichtiger als die Darlegung der sachlichen Gegensätze, etwa bei der Interpretation der Aussagen des (Nichtalemannen!) Ammianus Marcellinus, dessen Namen Noth nicht einmal richtig zu schreiben vermag (Aspi 98/1, S. 10, S. 12 und Fußnote XV wird er stets Amminian(us) genannt).*

Dieter Geuenich

* Anmerkung von Harald Noth: Danke für den Hinweis auf die korrekte Namensschreibung. Wurde in der Internet-Ausgabe meines Artikels berücksichtigt.


 
Quod erat demonstrandum

Was zu beweisen war

Wer als Mann über die Frauenbewegung schreibt und dabei ordentlich vom Leder zieht, muß sich eine weibliche Widerrede gefallen lassen, auch wenn sie die Bemerkung enthält: „Wiedereinmal sprechen die Herren der Schöpfung über uns ..." Eine solche Bemerkung allein ist nicht ungeheuerlich, impliziert kein Redeverbot oder Lehrverbot für Männer.

Meine Bemerkung über Geuenich, daß er als Franke „von außen“ über die Alemannen schreibt, sollte die Leserin, der Leser im letzten Alspi noch einmal im Zusammenhang nachvollziehen. Empfinde ich es wirklich als „Ungeheuerlichkeit“, daß Professor Geuenich als Nicht-Alemanne im Alemannenland lehren durfte, wie derselbe jetzt - scheinbar untermauert durch Zitatsplitter - behauptet? Und enthält mein Text wirklich die „Haßtiraden“, von denen Geuenich spricht? Die Leserin, der Leser wird finden, daß beides frei erfunden ist, unterstellt ist. Diese Unterstellungen sind aber die Grundlage, auf der Geuenich mir vorwirft, ich bereite „den Nährboden für fremdenfeindliche Aversionen, die unlängst andernorts einen Phantasten zu mörderischen Sprengstoffattentaten im Namen einer „bajuwarischen Befreiungsfront“ veranlaßt haben.“ Vor solchem Gedankengut warnt dann Geuenich die Leserinnen und Leser des AlemannenSpiegels. Wie nett! Härter geht es fast nicht mehr. Quod erat demonstrandum. Diese Methode von Geuenich ist es, die ich mit meiner Artikelfolge nachweisen wollte.

Harald Noth

 

Ein Wort der Redaktion

Korrekte Zitier- und Schreibweise sind zwar eine unabdingliche Voraussetzung für eine solide Diskussion, darüber hinaus aber für das momentan Zentrale ohne Belang. Es ist müssig darüber zu streiten, wie man lateinische Namen korrekt zu schreiben habe.

Denn es geht heutezutage nicht um formale Aspekte, von Bedeutung ist vielmehr der Inhalt. So ist die Frage „Alamannen oder Alemannen?“ interessant, wichtig ist hingegen, wie laut man in sogenannt deutschsprachigen Ländern nachdenken darf über Begriffe wie Identität, kulturelle Eigenständigkeit, Abgrenzung, Heimat usw.

In einem Umfeld, das Mulitkulturalismus als Prämisse jeglichen Diskurses über Ethnie aufs Banner geschrieben hat, kann das bewusste Einstehen für die eigene Kultur nur einen verdammt schweren Stand haben.

Lästige Minderheiten

An einem kürzlich in Schottland abgehaltenen Historikerkongress, an dem VertreterInnen aus rund dreissig europäischen Nationen teilnahmen, zeigte sich eine innereuropäische Grenze: während in den westeuropäischen Staaten vor allem der gesamteuropäische Gedanke forciert wird („Was verbindet uns?“), ist in Osteuropa das Nationale, um nicht zu sagen Nationalistische, vorrangig („Welchen nationalen Freiheitshelden gilt es zu feiern?“). Beiden Teilen Europas gemein ist die Tatsache, dass Minderheiten höchstens als Störfaktor, kaum je als Bereicherung wahrgenommen werden. Das geht sogar soweit, dass der Zürcher Geschichtsprofessor Jörg Fisch unter dem Titel „Selbstbestimmung das Opium der Völker“ schreibt!

„Selbstbestimmung“ ist im heutigen Sprachgebrauch so peinlich wie „Penis“ vor 30 Jahren war: schmutzig, unanständig, so ein Wort sagt man nicht!

Sowieso Nazi!

Erschwerend kommt hinzu, dass für Deutschsprachige die Betonung der eigenen Kultur nicht selten einem politischen Selbstmord gleichkommt. Seit der Faschismus, namentlich in der nationalsozialistischen Ausprägung, dermassen viel Elend über die Menschen brachte, sind zahlreiche Begriffe und Inhalte zum Tabubereich erklärt worden. Wer einen Moment lange zu fest die eigene Identität verteidigt, setzt sich sogleich dem Verdacht der Rechtslastigkeit aus. Nicht selten reicht daher bereits der Hinweis auf den Faschismus um also verlangende AlemannInnen sogleich mundtot zu machen. Welcher normal denkende Mensch will schon freiwillig ein Faschist sein?!

Das alemannische Paradebeispiel für diese Taktik ist das Elsass mit dem nur allzu bekannten Ergebnis: besser ein150%-Franzose als ein „verdächtiger“ 10%-Auch-noch-Alemanne.

Nationalismus?

Was eine Sprache, was ein Dialekt ist, das ist eine (macht-) politische Frage. Wir müssen in dieser jüngsten Zeit in Ex-Jugoslawien erleben, wie schmerzhaft der Prozess der Nationenbildung ist. Hätten die Mächtigen dieser Erde nicht dermassen Angst, ihren Besitz und Einfluss zu verlieren, die Albaner wären längst in einem Staat vereint, und auch die übrigen jugoslawischen Republiken hätten nicht derart blutig für ihr Recht kämpfen müssen.

Interessanterweise wirft man stets jenen Nationalismus vor, die sich für eine eigenständige Wahl der staatlichen Zukunft aussprechen - dabei sind doch wohl eher diese die Nationalisten, welche die freie Wahl aus Eigennutz verhindern wollen, und sei es um den Preis eines Krieges oder gar Völkermordes.

Vor diesem Hintergrund ist es für den ALEMANNENSPIEGEL ganz klar, dass alle Menschen unveräusserliche Grundrechte haben, egal, woher sie stammen.

Nur, diese ja allenthalben geäusserte Plattitüde hilft im jeweils konkreten Fall nicht weiter. Wenn Entscheidungen zu tatsächlichen Situationen gefragt sind, wenn nur eine Möglichkeit von vielen denkbaren tatsächlich durchführbar ist, dann helfen Worthülsen nicht mehr weiter. So ist es denn mehr als nur verständlich, wenn Harald Noth -wie Prof. Geuenich das negativ vermerkt - tatsächlich die Verärgerung packt.

Verantwortung der Intellektuellen

Schauen wir uns doch einmal die Situation des Alemannischen nüchtern an. Wenn im Elsass nicht sehr rasch sehr radikale Änderungen zum Guten erfolgen, haben wir das zweifelhafte Vergnügen, Zeitzeugen des Aussterbens dieser Sprache zu sein. In den Walsergebieten Norditaliens ist derselbe Prozess noch verstärkt gültig, teilweise bereits vollendet. In der Schweiz, Liechtenstein und im Vorarlberg bewirkt die verbreitete Verwendung der deutschen Sprache in allen denkbaren Lebensbereichen, bzw. die politisch-wissenschaftliche Gleichgültigkeit der alemannischen Sprache gegenüber, eine drastische Aufweichung und Verflachung der alemannischen Sprache. Und auch im deutschen Teil der alemannischen Kultur stellen wir eine starke Bedrängung durch die deutsche Sprache fest.

Dass einen hier gelegentlich die schiere Wut packt, sollte nicht weiters erstaunen. Dass hingegen solche Exzesse wie der “bajuwarische Freiheitskämpfer“ unsinnig und kontraproduktiv sind, versteht sich von selbst. Von daher ist jeder Vergleich - auch nur schon „andeutungsweise“ - zwischen einem engagierten Alemannen, dem die eigene Sprache und Kultur mehr wert ist als ein Lippenbekenntnis, und einem „Freiheitskämpfer“ der genannten Art mit aller Entschiedenheit zurück zu weisen.

Es ist andererseits leider Gottes nicht zuletzt der universitäre Forschungs- und Lehrbereich, welcher sich sehr schwer tut mit politischen Begriffen wie „Selbstbestimmung“, „Heimat“ usw. So schrieb unlängst ein Zürcher Geschichtsprofessor in einer der grössten Schweizer Tageszeitungen, dass Selbstbestimmung Gift sei für die Völker und sie sich eben wohl oder übel an die bestehenden Grenzen zu halten hätten.

Haben Sie sich schon mal überlegt, wo der Staat sich für seine angestammte Sprache engagiert? Wieviele selbstständige alemannische Forschungsinstitute gibt es? Wenn Sie über einen Internetzugang verfügen, suchen Sie mal spasseshalber einen Vergleich mit „deutsch“, „französisch“, „catalan“, usw.

Hübscheli süferli

Wenn gewisse Fragen auch noch Berührungsängste auslösen mögen und zu engagierten Disputen führen, so bleibt vor allem eines wichtig, dass die Forschung in unseren Landen endlich über alamannische Fragen hinauswächst zu den alemannischen Fragen.

An der Schwelle zum 3. Jahrtausend dürfen auch die gewohnt vorsichtigen und bedächtigen Alemannen den alemannischen Forschungsschritt ins 2. Jahrtausend wagen ...

Rogé Eichenberger