Im Jahr 1959 lösten die Ehrungen zum 80. Geburtstag des Dichters und Malers Hermann Burte am 15. Februar eine internationale Diskussion aus, bei der ARD, „Spiegel“, „Süddeutsche Zeitung“, „Basler National-Zeitung“ und der New Yorker „Aufbau“ mit Schärfe gegen diese Feiern zu Felde zogen. (1) Daraufhin diktierte der betagte Dichter seiner Sekretärin Magdalena Neff die folgende Stellungnahme, die hier zum ersten Mal veröffentlicht wird. (2) Die meisten der von ihm hier besprochenen Anwürfe waren in einem Artikel des Spiegel vom 1. April 1959 enthalten.
Die von Hermann Burte kritisierten Methoden seiner Gegner spielten nicht nur 1959, sondern auch in den Medienkampagnen 1978/79 und 1989/90 gegen Burte eine große Rolle; auch die Ausstellung "Hermann Burte und der Nationalsozialismus" 2007 in Lörrach und zum großen Teil auch die begleitende Presseberichterstattung zeichnete sich durch eine selektive Darstellung von Burtes Leben und Werk aus. Das lyrische Werk Burtes umfasst ca. 1.700 Seiten; die Polemik seiner Gegner konzentriert sich auf Sätze aus kaum zehn dieser Gedichte und auf Sätze aus dem Roman Wiltfeber (1912).
In der Sitzung des Müllheimer Gemeinderats am 28. November 2007, als die Abschaffung der Benennung "Hermann-Burte-Straße" beschlossen wurde, brachten die Antragsteller Sätze aus dem Gedicht "Entscheidung" (siehe unten Punkt 2). Die Badische Zeitung berichtete darüber am 30. November 2007: "Dass Burte Nazi war, sei eindeutig bewiesen, betonte Myriam Egel. Sie zitierte den Dichter zum Thema Juden: "Einer muss weichen, sie oder wir" und "Mord hält am Leben". Aus diesem Gedicht hatte schon der Spiegel vom 1. April 1959 zitiert, in einem Artikel, der von seiner Demagogie her an die Zeiten erinnert, die er zu bekämpfen vorgibt. Dieser politische Stil ist vielleicht kein Zufall:
In der Spiegel-Redaktion saßen damals zwei ehemalige hochrangige Nazis vom Fach; einer von ihnen, der ehemalige SS-Hauptsturmführer Georg Wulff, wurde 1959, im Jahr des Burte-Artikels, stellvertretender Chefredakteur des Magazins und blieb es bis zu seinem Ausscheiden 1979 (3). Zusammen mit seinem Spiegel-Redaktions-Kollegen Dr. Horst Mahnke war Wulff - beide hatten den gleichen SS-Rang - beim Sicherheitsdienst (SD) tätig gewesen; der Ruf des Spiegels als "ausgezeichnetes Recherchemagazin" war "ganz wesentlich in seiner personellen Ausstattung mit ehemaligen NS-Geheimdienstlern" begründet (4); zu seinen Serienschreibern hatten schon Rudolf Diels, von April 1933 bis April 34 Chef der Gestapo (5), und der ehemalige SS-Hauptsturmführer Kriminalrat Dr. Bernhard Wehner, ehemaliger Leiter einer Dienststelle im Amt V des Reichssicherheitshauptamts (6) gehört.
Es soll aber Mahnke oder Wulff nicht unterstellt werden, dass sie sich ins Markgräflerland begeben hätten, um den anonymen Burte-Artikel zu fabrizieren. Das Material oder der Artikelentwurf dürfte von örtlichen Zuträgern nach Hamburg geschickt worden sein. In der "National-Zeitung" in Basel hatte Rolf Dietrich Bäuerle schon am 8. März 1959 die Zitate gebracht, die unten in Punkt 1 bis 4 besprochen sind. Doch hatte er nicht die Dreistigkeit besessen, wie der Spiegel Burte einen "Mord-Barden" zu nennen. Wer die Zusendung in der Hamburger Redaktion bearbeitete, ist nicht bekannt.
Es gab Zeiten im Spiegel, in denen stattliche Hechte durchaus Schonung erhielten - ausgerechnet Gestapoveteran Rudolf Diels hatte 1949 die Serie "Die Nacht der langen Messer" geschrieben, die über die Gestapo handelte und sie in Schutz nahm. Doch 1959 scheint das Hamburger Magazin die Gelegenheit gerne ergriffen zu haben, sich an einem kleinen Fisch - Hermann Burte - auszutoben und sich als Antifa-Blatt zu profilieren.
Hermann Burte: Antwort auf Schmähschriften
Eine Gruppe von jungen Leuten, die nach den Feiern zu meinem 80. Geburtstag Schmähschriften gegen mich losgelassen haben, befolgt eine sehr einfache, aber ungerechte Methode: Man reisst aus dem Zusammenhang meiner Sätze einzelne Stücke, ja, einzelne Worte heraus und unterstellt ihnen einen Sinn, den sie im Zusammenhang des Ganzen niemals haben.
1. Da findet sich z. B. die Zeile in einem meiner Bücher: "Durch Leiber hinzupflügen wie durch Schollen ..." und die Pamphletisten sind rasch bei der Hand, dieser Zeile eine politische Deutung zu geben und an Vorgänge zu erinnern im Kriege, die dem Dichter ebenso peinlich sind wie ihnen. In Wahrheit steht diese Zeile in dem Sonett 113 der "Patricia" (7): Der Dichter schaut auf eine Bühne, wo die menschlichen Gestalten ihr Empfinden und ihre Handlungen auswirken. Dabei steigen ihm gewisse Gedanken über die Masse Mensch auf, deren einer in dieser Zeile gefasst ist, weil der Dichter die Masse Mensch etwa so sieht wie der Bauer einen Acker, den er pflügen muss. 1910 erschienen, kann diese Zeile niemals einen politischen Sinn haben, sondern nur einen individuellen, dichterischen, dramatischen. Sie ist entstanden in der Seele des Autors, der sich über Mensch und Drama klarzuwerden suchte.
2. Ein Gedicht aus "Anker am Rhein" (8) hat den Schmähschriftlern ebenso dazu gedient, durch Herausreissen einzelner Ausdrücke dem Ganzen, einen völlig entgegengesetzten und bedenklichen Sinn zu geben. Die Zeilen des Gedichtes, um die es sich handelt, heissen:
"So steht die Sache:
Einer muss weichen -
Hier gilt die Losung:
Sie oder wir!Kann von uns beiden
Einer nur leben
Seinem Gesetze -
Dann wir, dann wir!Ungerecht bin ich,
Einseitig denke ich,
Schaudernd erkenne ich:
Leben ist Raub!Mord hält am Leben!
Schau die Natur an -
Frass oder Fresser,
Volk, musst du sein! -"
Auf diesem Gedicht beruht der Name "Mord-Barde", den mir der "Spiegel" und seine Gesinnungsgenossen anzuhängen versuchen. Aber richtig betrachtet sind die Sätze des Gedichtes unabstreitbare Tatsachen. Die Natur besteht durch den Mord, der Stärkere tötet den Schwächeren und frisst ihn. Jedes Lebewesen steht vor der Frage, Frass oder Fresser zu sein. Diese harten Sätze auszusprechen, ist das Recht des Dichters, ja, seine Pflicht. Er schaudert vor dem Mord zurück, aber er erkennt ihn als den mächtigen Beweger des Lebens und spricht die Wahrheit darüber unbekümmert aus. Wer will, kann bei Nietzsche und Spengler ähnliche Gedankengänge finden.
3. Der "Hans-zuck-aus-der-Luft"! Dieses im Grunde komische Gedicht ist eine Variante des bekannten "Struwelpeter"-Verses vom "Hans-guck-in-die-Luft", der in die Wolken schaut und in das Wasser fällt. Es war für den Tag geschrieben und ist in der Freude über die deutsche Luft-Überlegenheit entstanden. Es kam mit dem Tag und ging mit dem Tage wieder hin, als diese Überlegenheit der Deutschen schwand. (9) Die verletzende Zeile des Gedichtes:
"Der dich ermorden will, der Schuft,
Den darfst du ruhig morden!" -
entspricht den Tatsachen des Krieges und ist eigentlich selbstverständlich.
"Töten, ohne selbst getötet zu werden", sagt der englische Admiral Fisher: "ist der Sinn des
Krieges!" - Auch dieses Gedicht soll mich
natürlich zu einem "Mord-Barden" stempeln, kann es aber nicht, da die Wirkung des Mordens
in der Welt lediglich festgestellt, aber nicht verherrlicht ist.
4. "Das Beste in der Welt ist der Befehl!" ist eine wesentliche Zeile aus dem Buche "Wiltfeber", das 1912 erschien, lange vor der Zeit, ehe Hitler auftrat. Natürlich ist hier unter dem Wort: Befehl der geistige Impuls verstanden, den Denker und geistige Führer in die Menschheit rufen: Plato, Bacon, Kant, Schopenhauer. Mit dem militärischen Befehle haben diese geistigen Offenbarungen nichts zu tun. Es ist also unsinnig und bösartig, diesen Satz mit irgendeiner militärischen Aktion des Krieges zu verbinden. Die Pamphletisten sollten besser lesen und besser verstehen lernen!
5. Zu diesen
Beispielen, durch herausgerissene Stellen, falsch gedeutete Zitate den Menschen vorzusetzen,
kommen heftige Anschuldigungen
und Verleumdungen von anderer Seite, die vom Kindischen bis zum Senilen gehen.
Da soll der Professor Heuss geschrieben haben, Burte ist ein brutaler Romantiker, ein bramarbasierender
Nationalist. Darauf ist zu erwidern, dass Burte im "Wiltfeber" geradezu ein Anti-Bramarbas ist,
erfüllt von Sorge und tiefen Ahnungen über das künftige Schicksal von Volk und Reich, ohne deren Verherrlichung. Dar
Ausdruck "brutaler Romantiker" ist unmöglich: Ein Romantiker ist nicht brutal, und ein wirklicher Brutaler kann kein Romantiker
sein.
Mit dem Buche "Madlee" vor Augen zu schreiben: "Burte hat auch alemannische Verse geschrieben
..." ist derart niedrig und schäbig, dass es den Schreiber belanglos macht! Die so schön angebrachte und tiefsinnig erscheinende Phrase vom
"Canossa-Gang" das Dichters zu Prof. Heuss, entspricht wiederum nicht den Tatsachen: Burte brachte
Heuss zwei alemannische Bücher, "Madlee" und "Die Seele des Maien", und wollte ihm damit einen Begriff geben von der Dichtung, wie sie im Volk und Land seiner Heimat lebt. Es ist auch verlogen, dass
Prof. Heuss dem Überbringer der Bücher die Türe gewiesen habe, im Gegenteil, er schrieb
ihm einen freundlichen Brief und bedankte sich für die empfangenen Bücher. (10)
Im Chore der Schmähschriftler stellen sich mit der Zeit seltsame Käuze ein: Einer von ihnen
schrieb, der Spiegel habe unfair
gehandelt, wenn er ein jetziges Bild von dem Dichter bringt. Man hätte Bilder aus der Kampfzeit zeigen müssen! Dazu muss Burte herzlich lachen und bekennen, dass auch er wie alle
Welt im Alter nicht kräftiger und schöner geworden ist. -
Ein junger Lörracher, seines Zeichens
Referendar beim Bundestag, teilt der Welt mit, dass Burte sich dem Kriegsdienst 1914 entzogen habe mit den Worten, er habe einen Kopf zu
verlieren. In Wahrheit ist Burte wie jeder andere ausgemustert worden, mehrere Male, und dann zu einer Freiburger Feldkompanie versetzt worden, von wo ihn der Befehl einer höheren militärischen Stelle an die Postüberwachung in Freiburg versetzte. Dort
fand der Dichter in den Professoren Martin Heidegger, Hans Adolf Bühler,
Friedländer und in dem Maler Edmund von Freyhold Kameraden, mit denen er seine Pflicht tat. Aber es scheint Leute zu geben, die im Schwung einer gut geheizten Hetze glauben, gegen den verhassten
alten Dichter alles sagen und schreiben zu können, was ihnen in die Feder kommt und auf das Papier
geht, ganz ohne Rücksicht auf Tatsachen und Wahrheiten. Der Ausdruck
"Mord-Barde" erscheint gewissen Leuten so prachtvoll, dass sie ihn gar
nicht missen wollen, auch wenn er hundertmal nicht zutrifft. Aber die meisten Schüsse der
Pamphletisten verfehlen ihr Ziel vollständig, weil Hass und Neid den Schützen in die Augen traten, und Burte kann lachend und unverletzt
sagen:
"Ungefährlich ist das Gift
Des Pfeiles, der daneben trifft!"
In einem kleinen Aufsatz des "Freiburger Wochenspiegels": "Die Hämlinge und der Dichter" ist für den Menschen guten Willens eigentlich alles notwendige gesagt, und der Dichter Burte kann seinen Weg ruhig weitergehen, dichten, malen, sinnen, lachen, denn das Gewusel der Unzuständigen reicht nicht an ihn empor. Wenn die Welt schon wirr ist, muss der Dichter im Senkel sein!
24. 4. 1959
(nach Diktat von Hermann Burte / M. N.)
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(1) wörtlich zitiert aus der Badischen Zeitung vom 22. 3. 1978
(2) Dokument aus dem Hermann-Burte-Archiv Maulburg; hier veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis der Hermann-Burte-Gesellschaft
(3) Otto Köhler: Rudolf Augstein. Ein Leben für Deutschland. München 2002, u. a. S. 272 u. S. 236
(4) Christian Sonntag in der Rezension des oben genannten Köhler-Buches im "Archiv für Sozialgeschichte online".
(5) Otto Köhler, a.a.O., S 232ff
(6) Otto Köhler, a.a.O., S. 246ff
(7) Patricia, die Bogenspannerin. 154 Sonette. Berlin 1910
(8) Hermann Burte: Anker am Rhein. Eine Auswahl neuer Gedichte. Leipzig 1938
(9) abgedruckt im Völkischen Beobachter, 6. 7. 1940
(10) Die Episode mit Heuss ist im Spiegel vom 1. 4. 1959, S. 30, zurechtgezimmert. Der freundliche Brief vom Theodor Heuss an Hermann Burte ist vollständig wiedergegeben in: Paul F. Wagner: Hermann Burte und seine Zeit, Binsen 1990.