aus: Tägliche Rundschau, Berlin, 2. August 1912Ein deutsches Buch Wiltfeber, der ewige Deutsche Hermann Burte? Wer kennt ihn? Nur sehr wenige haben seine vor zwei Jahren erschienenen Sonette "Patricia" gelesen und damals schon gerufen: Ecce poeta! Und diese wenigen wiederholen jetzt den Ruf: Siehe, ein neuer deutscher Dichter! Damit viele sich scharen um den Dichter des Romanes "Wiltfeber, der ewige Deutsche", damit alle Deutschen die furchtbare Anklage hören, die dieser junge, unbekannte Badener erhebt und ach! mit soviel Recht erhebt; Deutsche! so warnt er, vergeßt eures Deutschtumes nicht! Ihr habt dem fremden Trieb in euch schon zu sehr nachgegeben! Wacht auf, wacht auf und besinnt euch auf euch selbst! Aber er klagt nicht nur an, er zeigt auch den Weg, den wir in den sozialen, politischen, geistigen, kulturellen, künstlerischen Bestrebungen, Kämpfen und Richtungen einschlagen müssen, den Weg, der zur Höhe, der uns zu uns selbst führt. Und er zeigt ihn ohne Rücksicht auf Parteienwesen und eigenes Schicksal, in außerordentlicher Männlichkeit und hochfahrender Leidenschaft, aus dem tiefsten Erleben heraus, mitleidend die Tragödie der Blonden, mit christlich-germanischer Erkenntnis- und Glaubenskraft. Und er wird dabei - er, der auf Glauben, Rasse und Macht schaut - nicht zum Parteimenschen, weder zum Antisemiten noch zum einseitigen Gegenwartspropheten, sondern er steht über den Dingen vermöge seines Künstlertumes, dessen Größe auch die Gegner seiner Weltanschauung in seinen Bann zwingen wird und dessen Leben fern ist von aller gewollten Pose, von allem äußerlichen Aristokratismus. Bei ihm herrscht innerste Notwendigkeit, innerste Einheit. Wiltfeber, der ewige Deutsche, heißt und ist der Heimatsucher, der, tiefster Tragik geopfert, seine Heimat nur in zwei Augenblicken wiederfindet, die gesuchte Heimat aber so verändert schaut, daß er verzweifelt zugrunde geht. Wiltfeber [...] hat in langen Jahren in der Fremde das ewige Deutschtum erkannt, das er in der Heimat, im Kindheitsparadies, noch zu finden glaubt. Aber auch hier ist alles verloren, geopfert dem Götzen Materialismus, dem Gleichmachergeiste. Er erkennt, daß er allein steht, er, der eine Welt zu geben hat, mit der er die deutsche Welt wieder aufbauen kann und will. Aus der kläglichen Welt der Einzelpolitik hebt sich nun das Werk heraus, hinauf in die Regionen reiner, aber deutscher Geistigkeit, in die Klarheit der Ideen- und Gefühlsluft, die um die Riesengipfel der Erlebnisse weht, in die Himmel deutscher Religiosität. Aus der Stofflichkeit entstrebt dies Werk in die Welt des ursprünglichen Schaffens; ein Neuschöpfer ist der Dichter. Was Frenssen in "Hilligenlei" einst unzulänglich in Angriff nahm: eine Erneuerung des deutschen Geistes, hier wird sie abermals versucht und meines Erachtens gegeben aus der Erkenntnis des deutschen Wesens heraus. Bäuerlicher Geist und bäuerliches Wirken sind der Boden, auf den der Dichter sich stellt. Der reine Christ, der alles abtut, was noch an seine judenchristliche Herkunft erinnern könnte, ist ihm das Ziel, das wir erstreben, dem wir uns entgegenbilden sollen. Die erste Morgenstunde des Johannistages leuchtet Wiltfebers Heimkehr: er findet die Geliebte in zauberhafter Schönheit wieder; er besucht den alten Jäger, ungebrochene Kraft und Natur lebt in ihm; er sieht beim Turnfeste, daß die gute Durchschnittsleistung das Wesentliche sein soll; im Gottesdienste sucht er vergeblich das Bekenntnis des reinen deutschen Christentums; bei den Stillen im Lande findet er nur leeren Jesulein- und Gefühlskult; das Schulfest zeigt ihm die Welt des egoistischen Philistertums und der Gewöhnlichkeit. Aber noch versinkt seine Kraft nicht: ein alter Pfarrer gesteht ihm, wie er den reinen Christ gefunden, deswegen aber nun um Amt und Brot gekommen sei; ein Bauer erzählt ihm, wie der Sozialismus, die Teilung der Macht ihn um sein Gut gebracht haben. Wiltfeber fühlt neuen Kampfmut; aber "Vorenthalten bleibt ihm der Kranz", den er beim Turnfeste erkämpft hat. Dieser Ruf wird ihm zum Symbol. Erkennend und verzweifelnd bricht er nieder. Sein Heldentum bricht zusammen, sein Ideal, der Väter Scholle zu pflügen, die treue Geliebte zu heiraten, versinkt; das "Großer Gott, wir loben dich" wandelt sich ihm in ein "Genieß und Stirb". In einem Gewitter erschlägt ihn der Blitz, als er seine adlige Freundin in den Armen hält, ihn, den gefallenen Helden. Burte sieht überall, daß es hohe Zeit am Tage ist, "daß einzelne unter uns sich besinnen und innehalten", denn das Wasser ist trübe in der Gegenwart, die Könige, die Befehlenden hört er nicht. "Und ich sehe nichts im Reiche, nichts, worauf ein Geistiger stolz sein könnte. Aber ehrlos wird, wer nichts verehren kann! Nun bleibt die Heimat als letzte Hoffnung; wenn diese versagt, was soll mir noch das Leben?" Als persönlicher Bekenner spricht Hermann Burte hier durch Wiltfebers Mund: "Sehet, so ist Wiltfebers Lehre: der Uebergott, welcher verschlingt alle Götter, wie die Schlange des Zehngebotemannes vertilgte die anderen Schlangen. Er ist wahrhaftiger Mensch und wahrhaftiger Gott, er ist: der Reine Christ, ja, der Reine Christ." Und: "Vernichtet die Menge um des Volkes willen, so meine ich es." Und: "Du bist der Mann aus deutschem Blute, aber deutsch heißt völkisch, und arisch heißt herrisch, und so bist du von den Deutschen der oberen Rasse, welche herrscht oder stirbt!" Und: "Wir sind verloren, Mart, wir Blonden: du weißt, was ich meine, wenn ich "blond" sage. Das begreift mehr in sich als eine Haarfarbe." Und: "Die Geistigen müssen herrschen, und das Volk muß gehorchen: Das ist das Ziel, zu welchem noch kein Weg ist." Und: "Das ist der neue Sinn, das ist der neue Geist. Völkisch müssen wir, herrisch sollen wir werden. Grüße dich Gott, alemannischer Geist!" Das sind so einige, wenige Sätze aus Burtes Geisterwelt. H. M. E. [Hanns Martin Elster] Weitere, inhaltlich ähnliche Besprechungen von Hanns Marin Elster finden sich in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, 11. März 1912 Zeitfragen,
25. März 1912 |