aus: The Times, London, 30. 10. 1912 THE OLD AND THE NEW GERMANY Hermann Burtes Wiltfeber, der ewige Deutsche Englischer Originaltext hier Dass das eine gute Neuigkeit ist (wenn wir es als Neuigkeit betrachten), kann nur mit beträchlichen Vorbehalten gesagt werden; aber sie ist sicher symptomatisch und sehr aufschlussreich für den, der moderne Tendenzen in der deutschen Literatur verfolgen will. Wir stellen fest, dass der Autor irgendwo am Beginn seiner Karriere ist. Äußerlich ist sein Buch ein seltsamer Mischmasch von Stilen und Motiven verschiedener literarischer Schulen. Wir erkennen die leidenschaftliche Erregung der Romantik, wir hören das schwerfüßige Stapfen des Teutonen durch den Morast des „Naturalismus“ und fangen ein Echo des Sturm und Drang auf. Der Held spricht rücksichtslos und entschlossen, wie wir es nur selten in der Dichtung vorgefunden haben; es gab nichts Vergleichbares seit den Tagen von Wilhelm Meister (...). [... since the days when Wilhelm Meister sent his mistress to sleep over the Puppenspiel.] Er beginnt damit, die Grabsteine in einem Dorffriedhof in einer Länge von dreieinhalb Seiten anzusprechen. Dann lässt er sich in viel größerer Ausführlichkeit über Deutschland und die Demokratie aus, über eine Jugendfreundin. (...) Als Wiltfeber eine Predigt hört, die er nicht billigt (...), antwortet er einer pietistischen Gemeinde offen und versucht sie unter das Banner Nietzsches und des Antichrist zu scharen. Es bedarf eines Blitzschlags, um ihn am Ende zu stoppen. Aber seine Rede, wie auch Nietzsches eigene, ist eine gute Rede; es gibt kaum eine Seite ohne scharfsinnige und nachdenklich machende Bemerkung, und es ist alles, wie gesagt, sehr symptomatisch; der Autor ist das Munstück wirklicher Kräfte in der deutschen Welt von heute. Die Handlung spielt zwischen einer Mitternacht und der nächsten. Der Held war das intelektuelle Wunderkind seines Dorfes gewesen; er geht neun Jahre in fremde Länder, studiert, beobachtet, relaiviert; am Eingang des Buches ist er zurückgekehrt und hofft, sein Vaterland zu entdecken. Er braucht nicht lange, um zu entdecken, dass das alte Deutschland tot ist und dass das neue Deutschland - besser tot wäre. Die bereits erwähnte Ansprache an die Grabsteine wird herausgefordert, als er den erbärmlichen, pompösen Plakatstil der neueren Denkmäler mit der Würdigkeit und Einfachheit der alten vergleicht. Was hat das zu bedeuten? Wo sind die Handwerksmeister heute? Es war Rosseau, erklärt er, der sie vernichtet hat.
„Der
Selbstbeflecker von Genf hat aus seinem unreinen Munde den Pesthauch in
die Welt geschnauft, an dem sie siechten und eingingen, als er schrie: Zurück
zur Natur!
Überall findet er die gleiche Geschichte wiederholt. Eine feines und eindringliches Kapitel beschreibt den Abgang der alten patriarchalischen Ordnung von einem glücklichen deutschen Bauernhof und das Treiben des neuen, aufrührerischen, gemeinen Geistes, neidisch Rechte heischend, Pflichten gegenüber unbekümmert. Die Bürokratie wird heftig angegriffen: „Aber Zeit wäre freilich, hohe Zeit, daß wir Geistigen zum Angriff übergingen. Das beamtete, versorgte, festbesoldete Volk verdirbt Wissenschaft, Kunst, Glauben, alles Geistige; in allem, was sie denken, steckt das Amt und färbt und filzt und bricht die Kanten. Die Wahrheit ist bei den Edeln und Freien, und alles, was großes je geschaffen wurde in diesem Lande, geschah trotzdem und jenseits der Gehaltsklasse.“ Die moderne Architektur in Deutschland mit ihrer gedankenlosen Unstimmigkeit und ihrem prahlerischen Heischen von Bewunderung ist der Gegenstand von Wiltfebers besonderem Abscheu - er bemerkt richtig, dass jemand sich von schlechter Architektur nicht wie von schlechten Büchern, schlechten Bildern oder schlechten Spielen entfernen kann, und der Anblick der Bauwerke um ihn herum verdirbt allein schon „das Blut“ der Nation. Er versucht voll Hoffnung, sich mit der Körperkultur-Bewegung zu verbinden, die zur Zeit so modern ist und nimmt an einem Turnfest teil, wo er alle außer einem Preis gewinnt. Als der Hauptpreis überreicht werden soll, wird er zu seinem Erstaunen einem anderen Teilnehmer überreicht. Er führt das auf einen gemeinen Hass auf Überlegenheit zurück, obwohl wir stark vermuten, dass es an der verzweifelten Entschlossenheit des Preiskommitees liegt, ihm keine Gelegenheit bieten zu wollen, eine Rede zu halten. Die deutsche Reichsidee ist eine andere der Kräfte der Stunde, deren geistige Möglichkeiten er prüft, nur um sie mit Hohn zu verwerfen; das meiste in Deutschland ist zweitklassig, denkt er, aber „alles was reichisch ist, ist drittklassig.“ Durch all seine Versuche und Vorwürfe zieht sich der Faden eines persönlichen Durchlebens. Er ist einerseits fasziniert von einem prächtigen Bauernmädchen, mit welchem er sich zu einem gesunden Leben auf der Scholle niederlassen könnte und andererseits von einer adligen Dame, die seine Hilfe in mysteriösen politischen Angelegenheiten zu wünschen scheint. Er trifft die falsche Wahl, und dann kommt der Blitzschlag. Dieses Buch wird hier nicht mit der Absicht diskutiert, des Dichters Ansichten über sein Land und seine Landsleute zu kommentieren. Diese erscheinen uns sehr übertrieben und einseitig. Aber das Buch ist ein Beispiel für eine Denkart, die sich im jungen Deutschland immer mehr verbreitet. Sie trübt einiges vom materiellen Glanz und Reichtum, den das Reich so offensichtlich erreicht hat, seit Deutschland die Träume seiner Patrioten und Dichter vor 43 Jahren verwirklicht hat. Die Dichter von heute sind jedenfalls nicht ganz zufrieden mit den Ergebnissen. Und man sollte nicht, wie es leider geschieht, vergessen, dass alles, was dank Bismarcks meisterhafter Ausnutzung der Gelegenheiten ermöglicht wurde, ohne die Dichter vergangener Tage nicht hätte erreicht werden können. Die Nachfolger wollen es nicht ungeschehen machen, sie zeigen freilich den starken Wunsch, dass es anders gemacht wird. Übersetzung aus den Englischen H.N. 2011 |