Hermann Burte im Urteil von Zeitgenossen

Am 28. 2. 1917 schieb Walther Rathenau, jüdischer Schriftsteller, Politiker und Präsident der AEG, im seinem Brief an Fritz von Unruh über Hermann Burte:

"Der Verfasser des Wiltfeber (...) ist ein Mensch von starker Begabung, bei dem ich freilich mir nicht ganz klar darüber bin, ob seine Zukunft auf dichterischem, rednerischem oder politischen Gebiet zu suchen sein wird. (...) In dem Roman, von dem sie sprechen, einem Werk von Gehalt und jugendlicher Unausgeglichenheit, sind die eingesprengten Reden und politischen Betrachtungen von eigenartiger Kraft. (...) Als Mensch trägt er die gleichen Züge kräftiger ländlicher Frische, die seine Arbeit erfreulich macht; eine Mischung aus Ungebärdigkeit und Schmiegsamkeit, wie sie dem guten alemannischen Schlage zu eigen ist. (...) Den Menschen habe ich gerne, denn er verdient Vertrauen; jede Förderung, die ihm zuteil würde, wäre als Dienst an dem zeitgenössischen, an kräftigen Menschen nicht reichen geistigen Deutschland zu danken und mir eine Freude." (1)

Prof. Otto von Greyerz, Literaturhistoriker und Verfasser verschiedener Arbeiten zum Berner Dialekt und zum Dialekt allgemein, schreibt 1924 in den "Schweizerischen Monatsheften" über Burtes alemannischen Gedichtband Madlee:

„Dem alemannischen Badenerland ist in Hermann Burte ein Mundartdichter von so starker und üppiger Eigenart entstanden, daß man alle Vergleiche aufgeben muß. (...) Dieses Buch Madlee ist eine ganze Welt für sich, mit knappen Rezensentensätzen nicht zu erschöpfen. Es ist eine alte Welt, weil altes, untergehendes Volkstum darin lebt, und ist eine neue Welt, weil eine neue, nie gesehene Kunst darin erwacht. Es ist ein Buch voller Widersprüche, Kühnheiten und Gewagtheiten, strotzend von Geist und Leben, in der ganzen deutschen Mundartdichtung einzigartig.“ (2) mehr ...

Der Dichter Rainer Maria Rilke schrieb am 2. 10. 1924 in einem Brief an den Maler Edmund v. Freyhold über Burtes Entwicklung als Lyriker (Burtes "Flügelspinnerin" erschien 1913):

"Ich habe inzwischen in dem Jahrbuch (auf 1924) 'Die neue Dichtung', die Gedichte Burtes gelesen und wiedergelesen. Sie hören nicht auf, mir den größten Eindruck zu machen; ich meinte doch einen Begriff von der Bedeutung Hermann Burte's mir entwickelt zu haben: Diese stämmigen und doch, wo es darauf ankommt, so zart biegsamen Gedichte übertreffen ihn bei Weitem. Sie steigern und verändern ihn durch eine Eigenschaft, die zuzusprechen voller Verantwortung ist, durch eine innere Großheit, die in dem Autor der 'Flügelspinnerin' noch nicht erkennbar war. Ein Gedicht wie diese 'Himmlische Ernte', ist ein allgemeiner deutscher Besitz, ein Gut von solcher Reinheit und Gnade, daß es für sich allein ausreicht, den gründlichen Reichtum des Dichters für immer zu erweisen." (3)

Der Dichter Kurt Tucholsky bemerkte 1929 über Burte:

„Wenn Baby die Tintenflasche ausgetrunken hat, geben Sie ihm einen Bogen von Hermann Burtes Löschpapier zu essen. Dieses Mittel wird von den Kleinchen erfahrungsgemäß gern genommen, und auch durchnäßte Erwachsene profitieren häufig davon. Gepflegte Kinder in gutbürgerlichen Haushalten sollten von Zeit zu Zeit diese Kur machen – der kleine Steppke, den Sie hier im Bilde sehen, weiß seit seiner Geburt nicht, was Feuchtigkeit ist. Kein Volk ohne Löschpapier! Hermann Burte & Hans Grimm, Löschpapier en gros.“ (4)

Der Völkische Beobachter, das von Hitler herausgegebene zentrale Parteiblatt aus München, schreibt am 18. November 1932 über Burte:

"Dass der Dichter des 'Wiltfeber' und 'Katte' sich heute im Dickicht autoritärer Phraseologie verfangen hat und sich nicht wiederzugebende Beschimpfungen des erwachten Deutschlands leistete (...), das ist eins der traurigsten Kapitel aus der jüngsten Vergangenheit, auf das wir in anderem Zusammenhang noch eingehend zu sprechen kommen müssen."

Am 10. November 1935 notierte der Dichter Thomas Mann in sein Tagebuch:

„Ärger über alemannisches Blutgeschwätz des Schriftstellers Burte, der Verständnis für Deutschlands 'Wiedergeburt' verlangt. Es ist zu dumm. Wo ist etwas in und an Deutschland, was ein Dichter als 'Wiedergeburt' empfinden und bezeichnen dürfte?“ (5)

Am 1. Dezember 1936 notierte Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch:

"Abends Deutsches Theater 'Katte' von Burte. Das Stück ist ein Attentat auf die Tränendrüsen. Zu sentimental. (...) Ich lerne Burte kennen. Keine Leuchte. Ein alemannischer Spießer." (6)

Am 20. September 1937 äußerte sich Joseph Goebbels noch einmal über ein Burte-Stück - ein Drama von 1913; der ursprüngliche Titel lautete "Herzog Utz":

„Abends Deutsches Theater. „Herzog und Henker“ von Burte. (...) Das Stück ein unerträgliches Vers- und Wortgeklingel ohne Substanz in Problem und Haltung. Das Ganze uns weltenweit fern. Ich habe keinen Geschmack daran." (7)

Im Februar 1939 schrieb Emanuel Stickelberger, Dichter und Vorsitzender des Basler P.E.N.-Clubs, an Hermann Burte zu seinem 60. Geburtstag:

"Wann immer Du bei mir ankehrtest und im Kreise von Dichtern und Malern als ihr Größter aus Madlee und Ursula - beide noch im Entstehen - kostbare Proben darbotst oder an Gesprächen über Menschen und Dinge in Deiner anregenden Weise teilnahmst, stets wurden Geist und Gemüt bereichert.
Wenn einer seit Hebel, dann hast Du das Gefühl der alemannischen Zusammengehörigkeit geschaffen oder, wo es bewußt vorhanden war, gestärkt. Mögen daran politische Belange, die unsere beiden Völker jedes für sich zur Sammlung aufrufen, nichts ändern! Diese Völker, sie verstehen sich nicht mehr wie früher. Aber Du liebst Basel und die Schweiz, wir lieben Dein Markgräfler Reb- und Webland, wir lieben Deine Madlee. Diese Liebe eint uns." (8)

Prof. Wilhelm Altwegg, Präsident der Basler Hebelstiftung, schrieb am 12. Februar 1954:

"Mit dem Bande Ihrer köstlichen 'Madlee' haben Sie sich als ein ebenbürtiger neben den Unvergleichlichen und für uns immer größer Werdenden gestellt (...). Einen Ebenbürtigen dürfen wir Sie nennen, gerade weil Sie nie in der bloßen idyllischen Hebelnachahmung stecken geblieben sind, sondern weil Sie in unserer eigentlichen Muttersprache, dem unverfälscht kernigen Alemannischen mit all seiner Kraft unsere heutige Zeit und Ihr eigenes Wesen in den Bereich der Poesie gehoben und sie darin bleibend aufbewahrt haben." (9) 

Der jüdischstämmige elsässische Dichter Nathan Katz schrieb am 3. 8. 1958 an Hermann Burte:

"Ich denke oft mit Freude an die Zeit zurück (wieviel Jahre sind seither verflossen!), da ich in Lörrach mit Ihnen zusammenkommen durfte. Ihr herrlicher alemannischer Gedichtband 'Madlee'  hat immer neben den Gedichten Hebels den Ehrenplatz in meiner Bibliothek." (10)

Der Novellist Friedrich Franz von Unruh schrieb anlässlich von Burtes 80. Geburtstag im Februar 1959:

"Viel geliebt - viel gehasst
Unbequem,
Ungenehm
Seiner Zeit ein leidiger Gast.
Inmitten der Krittler und Richter
Unantastbar: ein Dichter" (11)

Rupert Gießler, Chefredakteur der "Badischen Zeitung", schrieb im Nachruf auf Burte am 24. 3. 1960:

"Das Gedenken an einen Dichter, der nach mehr als 80 Lebensjahren vom Tode heimgeholt wurde, muß dem dichterischen und künstlerischen Werk gelten, das den Wesensgehalt dieses Lebens bildete und darstellte. Denn die dichterische Existenz erfüllt und vollendet sich im Werk. Darum sollte beim Tode Hermann Burtes, dessen größte Leistung die Erneuerung der alemannischen Sprache im Gedicht war, nicht vom äußeren Leben und vom Auf und Ab des äußeren Schicksals dieses Dichters, nicht von den schlimmen politischen Irrwegen, die er unter der Diktatur gegangen ist, und von den peinlichen Irrtümern, denen er verfallen war, die Rede sein, sondern im Licht des Todes der Blick auf das gerichtet werden, was der Künstler in ihm, der Meister des Wortes geleistet hat, was das Bleibende über dem Vergänglichen ist. -" (12)

Gießler, der im Dritten Reich als ehemaliger Zentrumsmann und Herausgeber der Freiburger Tagespost und auch wegen seiner jüdischstämmigen Ehefrau Bedrückungen erlitt, fährt in seinem Nachruf weiter unten fort:

"Heute jenen Roman 'Wiltfeber' zu würdigen, fällt schwer, weil er uns in seiner Sprache und seinem Gehalt so fern ist. Von seiner Entstehungszeit (vor dem Ersten Weltkrieg) aus muß man es verstehen, daß dieser Ruf in eine oberflächliche, saturierte Welt hinein ihm das große Echo gab. Wie ein Aufschrei klang damals die Klage Wiltfebers, die Richard Dehmel einen 'Verzweiflungsschrei' nannte. Der nahe Donner des Ersten Weltkrieges und der folgenden Jahrzehnte grollte schon darin. Insofern, nicht in irgendwelchen später hervorgezerrten Details, war das Buch ein prophetisches, ein den Wandel der Welt ahnendes Buch, wie auch andere Dichter jener Zeit hinter die scheinbar so glänzende Oberfläche schauten und die drohenden Abgründe prophetisch erkannten. Die darin, neben Schönheiten der Landschaftsschilderungen, vertretenen Thesen sind heute überholt.-
     Jenen Zwiespalt, an dem der denkende Dichter des Wiltfeber litt, hat Hermann Burte als Lyriker überwunden. Das Buch Wiltfeber schließt mit einer grellen Dissonanz in Blitz und Donner. Um so reiner blüht aus Burtes alemannischen Gedichten das Wort des heimatlichen Wesens. War der Wiltfeber eine Posaune, so sind die alemannischen Mundartgedichte, die zuerst im Band 'Madlee' gesammelt erschienen, eine Tat der Gestaltung, ein Gesang von der herben und innigen Melodie des Alemannenlandes. Es ist das Bleibende am Schaffen Hermann Burtes, daß er mit seinen Gedichten der alemannischen Mundart in unserem Jahrhundert neue Würde und Größe gegeben hat. Diese Gedichte, die den Atem der alemannischen Landschaft und die ursprüngliche Kraft und Echtheit der reinen Sprache haben, sind Burtes reinstes und gültigstes Werk, und seine sprachschöpferische Leistung, die auch neue Worte aus der technischen Zivilisation in die dichterische Mundart eingeschmolzen hat, ist von keinem anderen in der Mundart erreicht worden. Diese alemannischen Gedichte sind heute lebendig in Volk und Heimat.-
    Neben dieser bleibenden Tat des Dichters mag,  da das Werk des Toten nun zu prüfen ist, manches andere zurücktreten: seine hochdeutschen Gedichte, seine sprachstarken Übersetzungen, seine Dramen, vom vielgespielten 'Katte' über den 'Simson' zu den mythischen Schauspielen, wie 'Mensch mit uns'. Wer lieber in Burtes Dramen und Gedichte hineinhört, vernimmt daraus einen verborgenen, oft von der sinnlichen Kraft der Gebärde überdeckten Ton einer innerlichen Religiosität. Wie in 'Katte' fragt Burte immer wieder nach der Bewährung des Menschen vor Gott und nach der ewigen Gerechtigkeit.-
    Schließlich war Burtes, des Heimatsuchers, Ziel im tiefsten immer die ewige Heimat. Ein Gedicht 'Fall und Ziel' endet mit den Verszeilen: 'Doch liegt ein Heil in allen / In Apfel, Mensch und Stern: / Er wird nicht tiefer fallen, / Als in die Hand des Herrn." (12)

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(1) Walther Rathenau: Briefe. Teilband II. Düsseldorf 2006, S. 1623

(2) Schweizerische Monatshefte für Politik und Kultur, 3. Jahrgang, November 1923, Heft 8

(3) zitiert in: Der Markgräfler. Freie deutsche Zeitung für das schaffende Volk in Stadt und Land. 15. Hornung 1929

(4) Kurt Tucholsky: Das Lächeln der Mona Lisa. Rowohlt Verlag, 1929 - zitiert nach Artikel Hermann Burte, Deutsche Wikipedia, Stand 29. 3. 2009

(5) Thomas Mann: Tagebücher 1935–1936. S. Fischer Verlag, 1977 - zitiert nach Artikel Hermann Burte, Deutsche Wikipedia, Stand 29. 3. 2009

(6) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 3/II, München 1966, S. 271f

(7) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 4, München 2000, S. 320

(8) Hermann Burte. Zum 60. Geburtstag des Dichters am 15. Februar 1939. Lörrach 1939, S. 34

(9) Auszüge aus Dokumenten im Nachlaß von Hermann Burte. Hermann-Burte-Gesellschaft (Hg.), Lörrach 1978, S. 39

(10) Raymond Matzen: Der Markgräfler Hermann Burte und der Sundgauer Nathan Katz. In: Das Markgräfler-Land, Band 2/1999, herausgegeben vom Geschichtsverein Markgräflerland e.V., Schopfheim 1999, S. 128

(11) Hermann Burte 80 Jahre. Offenburg 1959, S. 42

(12) Rupert Gießler: Hermann Burtes Werk. Zum Tode des alemannischen Dichters. Badische Zeitung, 24. 3. 1960

www.hermann-burte.de