Hermann Burte: Alte Linde in Kirchen

Hermann Burte: Alte Linde in Kirchen, Aquarell

 

Hermann Burte:

Im Dorf am Rhein

Als ich in das Dorf am Rhein kam,
War mir vieles fremd und neu.
Alles schien mich anzuschweigen,
Und ich schaute stumm und scheu.
Jeder Baum im braunen Lande,
Jeder Giebel in der Luft 
Barg mir ein geheimes Wesen, 
Sandte seinen sondern Duft.
Wachend, schlafend, träumend, denkend,
Drang ich zu den Dingen vor.
Langsam bangsam schwand das Fremde,
Und Verwandtes kam empor.
Die Gesichter, die Gestalten,
Ihre Bräuche, ihre Art
Haben mir als Ahnenerbe
Viel des Meinen offenbart.
Wie sie sprachen, wie sie schrieben,
Wie sie standen beim Gebet,
Ihre Wünsche, ihre Ziele,
Alles hat mich angeweht,
Und ein längst dahin Gelebtes
Stieg empor mit neuem Drang,
Unbewußt mein Tun umschwebend,
Wenn ich mit den Dingen rang -
Und der Fremde wurde Nachbar,
Und der Gegner kam mir nah,
Daß ich mich in ihrer Mitte
Als der Ihren einer sah.
Im Exile, fern der Hauptstadt,
Wo mich Kunst und Bühne mied,
Wurde Heimat mir und Himmel
Meines Lebens tiefes Lied.
Lieben mußte ich die Menschen,
Schweigend ehren, was sie tun -
Und wenn ich von ihnen scheide,
Will ich zwischen ihnen ruhn!

Aus: Hermann Burte: An Klotzen, Rhein und Blauen. Gedichte.
Herausgegeben von der Hermann-Burte-Gesellschaft e.V. 1963
"Das Dorf am Rhein", das Burte besingt, ist Efringen-Kirchen.