Bilderstürmerei in Deutschland

Im Frühjahr 2001 zerstörten die Taliban im afghanischen Bamian-Tal die bis zu 1.700 Jahre alten monumentalen Buddha-Statuen. Auf der ganzen Welt ging Entsetzen um ob dieser Barbarei - auch in Deutschland. Selbst deutsche Gutmenschen sahen hier den Dorn im Auge des anderen leichter als den Balken im eigenen.

Wie alle Bilderstürmer fühlten sich die Taliban im Recht. Mullah Mohammed Omar stellte die Statuen als "unislamisch" dar; die Abbildung von Gott und von Menschen verstößt gegen ihre Interpretation des Islam. Außerdem: "Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet." Und dieser Gott heißt Allah und nicht Buddha. Die Zerstörung der Statuen geschah daher zur Ehre des wahren Gottes, war eine Art Gottesdienst.

Wie die Taliban fühlt sich auch der deutsche Bilderstürmer im Recht, wenn er Zeugnisse aus der Geschichte, die ihm nicht genehm sind, aus der Öffentlichkeit tilgt - Kriegerdenkmäler, Grabstätten, Schul- und Straßennamen und anderes. Er tilgt ja nicht das Gute, sondern nur das Böse, das Nicht-Ganz-So-Gute, das Heute-Nicht-Mehr-Passende. Das Böse und Unpassende hat aber hierzuland einen anderen Namen, ein anderes Gesicht als in Afghanistan. Im Folgenden sind einige wenige der Benennungen aufgeführt, die man in Deutschland getilgt hat oder tilgen will:

Hermann Burte / Wilhelm von Scholz

"Die Tatsache, dass wir mit Scholz heute nicht übereinstimmen, dass wir ihn auch nicht zu einer Identifikationsfigur liften oder aufmöbeln können, kann mit Einschränkung nicht bedeuten, dass wir sein Gedächtnis vernichten, sein Grab einebnen und die letzten sichtbaren Spuren dieser Existenz einfach beseitigen. Das würde heißen, dass wir uns doch zum Richter dieser vergangenen Generationen aufschwingen. Im Gegenteil kann man sagen, es ist immer das Kennzeichen von totalitären Staaten gewesen, dass sie sich eine Vergangenheit so zurecht gemacht haben, dass sie unmittelbar passförmig mit der Gegenwart wurde. George Orwell hat das in seinem Roman "1984" ja auch beschrieben. Alles, was der Gegenwart in seinen Werten, Urteilen, Ansichten widerspricht, muss verschwinden. Insofern ist das letztlich ein totalitärer Zug, sich eine Vergangenheit so zurechtzumachen, dass man sozusagen in den Spiegel guckt und sich selbst bestätigt findet." (Prof. Dr. Aleida Assmann, Kulturwissenschaftlerin)

Agnes Miegel

In Neuenkirchen peitschte der Stadtrat gegen den Willen der großen Mehrheit der Anwohner und unter dem Beifall der Medien die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße durch. Eine "Beschwerdeschrift an den Rat gegen die Umbenennung der Agnes-Miegel-Strasse, versehen mit den Unterschriften von 58 der 76 Anlieger", blieb ohne Erfolg.

Otto Friedrich von der Gröben

"Geschichte ist kein Selbstbedienungsladen zum aktuellen Gebrauch. Die Straßennamen einer Stadt dokumentieren Denkweisen, Erfahrungshorizonte, Irrtümer und Scheingewissheiten der jeweiligen Epoche. Deshalb sind sie lehrreich. Zwei Diktaturen vollzogen im 20. Jahrhundert in Berlin en masse leichtfertige Umbenennungen, weil sie sich - jeweils unterschiedlich - als Sieger der Geschichte, als Wohlgesinnte sahen. Die gedankenlosen, gesinnungsstarken Straßenumbenenner der Gegenwart stehen in dieser Tradition. Selbstgewiss sehen sie sich auf der angeblich guten und sicheren Seite der Geschichte. Ihnen mangelt es an Demut. Ihnen fehlt die Fähigkeit, sich selbst als Menschen zu begreifen, die irren. Ihnen fehlt der Respekt vor den Nachgeborenen, die über viele Taten und Unterlassungen von uns Heutigen mit unverständigem Kopfschütteln oder mit Entsetzen urteilen werden." (Götz Aly, Historiker)

Hans Meiser

"Es ist gewiss eine der ganz großen Merkwürdigkeiten der Geschichte, dass Hans Meiser, dem ersten Landesbischof der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, der 1934 von den Nationalsozialisten aus Amt und Würden vertrieben werden sollte („Fort mit Landesbischof Meiser!“ stand 1934 überall in Nürnberg zu lesen), heute, 72 Jahre später, ausgerechnet von demokratischen Kräften dasselbe Schicksal zugewiesen werden soll."

Erich Hoepner

"Am 8. Januar 1942 wurde Erich Hoepner von Adolf Hitler wegen „Feigheit und Ungehorsam“ unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen, nachdem er in der sowjetischen Winteroffensive einen Durchhaltebefehl ignorierte und den taktischen Rückzug seiner Einheiten angeordnet hatte. (...) Während des gescheiterten Attentats- und Umsturzversuchs des 20. Juli 1944 befand sich Hoepner, der bei Gelingen des Planes als „Oberbefehlshaber im Heimatkriegsgebiet“ vorgesehen war, im Bendlerblock. Dort wurde er in den frühen Morgenstunden des 21. Juli verhaftet. (...) Hoepner wurde im ersten Prozess am 7. und 8. August 1944 beim Volksgerichtshof wegen Verrats am Volke vor Gericht gestellt. (...) Den Vorsitz führte während der Dauer der Prozesse der Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler persönlich. Am 8. August verurteilte dieser Hoepner zum Tode. Das Urteil wurde noch am gleichen Tag im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee auf ausdrücklichen Befehl Hitlers durch Erhängen, statt wie sonst bei Offizieren üblich durch Erschießen vollstreckt." (Wikipedia)

Paul von Hindenburg

"Der neue Bildersturm auf Hindenburg ist ein Akt des billigsten Antifaschismus; diesmal ohne Faschisten. (...) daß er in weiten Teilen der Bevölkerung einmal als über den Parteien stehender Repräsentant gesehen wurde, davon zeugen die Hindenburgstraßen. Sie umzubenennen, wäre ein Versuch, die Geschichte nachträglich umzuschreiben." (Sabrina Moritz)

 

Der Bildersturm hat vor allem dort Erfolg, wo die Politik entscheidet und das Volk nicht gefragt wird. In den Fällen von Paul von Lettow-Vorbeck und Ernst Moritz Arndt wurden Umbenennungen aufgrund von Befragungen ganz oder zweitweise ausgebremst, im Fall der Lettow-Vorbeck-Allee Hannover auch durch eine Strafanzeige.

Paul von Lettow-Vorbeck

Bei einer Befragung von 348 Anwohnern der Lettow-Vorbeck-Allee in Hannover hatten sich 192 (55 Prozent) Angeschriebene „eindeutig gegen eine Umbenennung“ ausgesprochen. Nur 13 Personen (vier Prozent) waren eindeutig für eine Namensänderung. mehr ... mehr...

Im Mai 2010 hat ein Enkel von Lettow-Vorbecks, Hans Caspar Graf zu Rantzau, Strafanzeige wegen Rufmords gestellt. Er wirft dem Oberbürgermeister Hannovers und anderen Stadtpolitikern Verletzung des Paragrafen 189 im Strafgesetzbuch vor: Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. mehr ...

Bei einer Umfrage von saarbruecker-zeitung.de sprachen sich bis zum 4. 12. 2009 über 70% (= 108 Nutzer) gegen die diskutierte Umbenennung der Von-Lettow-Vorbeck-Straße in Saarlouis aus, nur knapp 30% dafür. mehr ...

Ernst Moritz Arndt

23 Prozent der rund 12.300 Köpfe zählenden Greifswalder Studentenschaft haben in der ersten Urabstimmung der Greifswalder Uni-Geschichte ihr Votum abgegeben – das klingt nicht viel, ist aber für studentische Verhältnisse ein fast schon sensationelles Ergebnis. Soll, so lautete die Frage, um die es ging, die Hochschule den Namen Ernst Moritz Arndt ablegen und nur noch Universität Greifswald heißen? 1216 Studierende antworteten mit ja, 1398 mit nein.  mehr ...

Mit der Entscheidung des Senats der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald vom 17. 3. 2010 wurde das Entnennungsbemühen eines Greifswalder grün-linken Bündnisses mit 22:12 Stimmen endgültig abgelehnt.