Der folgende Artikel erschien erstmals im Heft 2/4 2019 des Westen (Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft Der Westen, bestehend aus der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Erwin von Steinbachstiftung sowie der Erwin von Steinbach-Stiftung). Es folgt mit freundlicher Erlaubnis der Schriftleitung eine ungekürzte Wiedergabe:
Gedanken nach einer Aufführung der Oper „Das Schloß Dürande“
Von Dr. Rudolf Benl
Mit großem ideologischen
Aufwand und unter Verbrauch erheblicher aus öffentlicher Hand stammender Mittel
haben der Schriftsteller Francesco Micieli und der Dirigent Mario Venzago das
von Hermann Burte verfaßte Textbuch zu Othmar Schoecks Oper „Das Schloß Dürande“
von seiner angeblichen nationalsozialistischen Kontaminierung „befreit“.[1]
An die Stelle von etwa der Hälfte des von Burte stammenden Textes hat Micieli
Texte von Eichendorff und Selbstverfaßtes gesetzt. Venzago hat die musikalische
Stimmführung an den neuen Text – sagen
wir es einmal vorsichtig – angepaßt. Das Ergebnis war in den vergangenen Monaten
im Staatstheater Meiningen zu erleben, wo die Neufassung mehrmals aufgeführt
worden ist.
Der schweizerische Gesandte im
Deutschen Reich, Hans Frölicher, hat nach der Uraufführung der Oper, die 1943 an
der Staatsoper zu Berlin stattfand, bemängelt, die Sänger hätten nicht deutlich
genug artikuliert, so habe man vom Text nicht viel verstanden. Legt man diesen
Maßstab an die Meininger Aufführung an, so ist das gleiche Urteil zu fällen. Die
ganze Umdichterei war danach sinnlos, denn dem überwiegend aus Ausländern
(insbesondere – aber bei weitem nicht nur – bei den Hauptpersonen, Armand,
Gabriele, Renald) bestehenden Meininger Ensemble ist es 80 Jahre später
ebensowenig gelungen, den Text verständlich über den Orchestergraben hinweg in
den Zuschauerraum zu bringen. Ich habe am 30. Juni 2019 vielleicht fünf Prozent
des Textes verstanden, obwohl ich vorher sowohl den originalen Text von Burte
als auch die „Neubearbeitung“ gelesen hatte.[2] Erstaunlich
gut verstand ich, als eine der Nebenfiguren in beiläufigem Parlando-Ton eines
der schönsten Eichendorff-Gedichte (von Hans Pfitzner vor einhundert Jahren
angemessen vertont) herunterhaspelte (eine wahre Barbarei!): „Es kommt wohl
anders, als du meinst.“ Daß Eichendorff ein „größerer“ Dichter als Hermann Burte
war (was unbestritten sein dürfte), wurde dem Publikum bei der in Meiningen im
Vergleich mit der seinerzeitigen Berliner Aufführung wahrscheinlich noch
spürbareren Textunverständlichkeit also gar nicht deutlich. 1943 hatten von der
hervorragenden rumänischen Sopranistin Maria Cebotari und der Schwedin Rut
Berglund abgesehen nur deutsche Sänger, also Muttersprachler, mitgewirkt. Die Mühe
der Umdichterei hätte man sich unter diesem Gesichtspunkt ersparen können.
Versuche,
Opern, die unter einem angeblich schwachen Textbuch leiden, durch Umdichtung zu
„retten“ – bei Webers „Euryanthe“ ist es mehrmals versucht worden –, mußten stets
scheitern und müssen stets als in sich unkünstlerisch gewertet werden, weil Text
und Musik eine Einheit darstellen. Im Falle der Schoeck-Oper gilt das unbedingt.
Wenn jedoch vor zweihundert Jahren der Komponist selbst das von Helmina v. Chézy
verfaßte Textbuch der „Euryanthe“ als mißglückt empfand, kann gleiches im Falle
des „Schlosses Dürande“ gar nicht als Beweis gegen das Textbuch ins Feld geführt
werden. Zu zahlreich sind die Belege dafür, daß Schoeck Burtes Libretto
gebilligt hat.
Schoeck hat
den Dichter schon geschätzt, bevor die gemeinsame Arbeit an der Oper begann. Am
22. September 1936 schrieb Schoeck an Burte: „Sie sind einer der Wenigen, die
mein Gesicht erstrahlen liessen, wenn Sie jetzt zur Tür hereinkämen. Also
hoffentlich darf ich das bald erleben!“ Es war Schoeck, der an Burte mit dem
Vorschlag, gemeinsam eine Oper zu schreiben, herantrat. „Wollen wir eine Oper
zusammen machen?! Ich hätte einen Stoff: ‚Das Schloss Dürande‘ von Eichendorff!“
Hans Corrodi, Freund und Biograph Schoecks, schreibt am 4. September 1937:
„Schoeck hat grosse Hoffnungen: Burte habe Erfahrungen auf dem Theater, das
Verse-Machen liege ihm“. Am 2. Januar 1938 schreibt Corrodi: „Von der
Zusammenarbeit mit Burte ist er befriedigt: Burte sei sehr schön auf seine
Wünsche eingegangen und habe sich gar nicht hochnäsig oder abweisend verhalten,
im Gegenteil habe er seine Vorschläge angenommen. Seine Verse seien sehr
geschickt und flüssig, er sei eben doch ein Dichter.“ Schoeck am 10. August 1938
an Burte: „Sie lasen mir auf der Fluh noch einige weitere Szenen vom IIIten. […]
Es war ja alles ausgezeichnet!“ Am 27. August 1938 über den dritten Akt: „bin
entzückt vom Text“. Am 18. November 1938 über den vierten Akt: „Ich bin
entzückt“. Noch 1954 über den dritten Akt: „Meiner Meinung nach ist dieser Akt
Burte nicht schlecht geraten.“ Im Frühjahr 1939: „Der 4te Akt ist herrlich
geraten“. Am 7. September 1940: „Aber es ist hässlich, wenn ausgerechnet wir
zwei miteinander zanken, wir, die doch wirklich einen guten Zusammenklang
bilden.“ Am 26. April 1941 neben harter Kritik an „üblen Flickversen“ doch auch
die Wertung, „die Verse seien flüssig, nicht erschwitzt, oft anschaulich,
lebendig, balladenhaft-volkstümlich, klangvoll, kurz und prägnant“. Hans
Frölicher, Gesandter der Schweiz in Berlin, nach der Uraufführung: „Das Textbuch
von Burte ausgezeichnet“. Zwei Tage später schreibt er von dem „schönen Text von
Burte“.
Die „Rechtfertigung“ ihrer
Eingriffe in Text und Musik glauben Micieli, Venzago et consortes in der
Behauptung zu finden, Schoeck habe den Text nachträglich bereits vorher
Komponiertem unterlegt. Daß ein Dirigent wie Venzago auf einen solchen abwegigen
Gedanken überhaupt kommen kann, ist erstaunlich. Er ist auch durch nichts
gedeckt. Wenn Schoeck ohne Textvorlage komponiert hätte, hätte er wohl nicht
mehrmals „mit Schmerzen“ (so am 11. Oktober 1937 Äußerung seiner Frau) auf Text
von Burte gewartet. 1941 sagt Schoeck, er habe einen großen Teil der Oper im
Sommer 1938 komponiert. „Die Skizzen wären viel rascher fertig geworden, wenn
ich nicht immer auf den Text hätte warten müssen“. Daß Schoeck „die wesentlichen
Themen“ schon hatte (wie er sich gegenüber Adolf Güntensperger äußerte), bevor
er den Text besaß, besagt bei einem Werk, das sich des leitmotivischen
Verfahrens Wagners bedient, nichts.[3] Auch Wagner fielen die Motive für einzelne Gestalten etwa des „Rings“
wohl schon bei der Konzeption des Ganzen ein, bevor die Verse der Dichtung
niedergeschrieben wurden. Und obwohl bei Wagner Dichter und Musiker ineins
fielen, folgte die Komposition der Dichtung nach. Um so mehr gilt dies für Opern,
bei denen Text und Musik von zwei verschiedenen Personen stammen. Die gut
dokumentierte Zusammenarbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zeigt
das deutlich.
Geradezu
eine Barbarei stellt die Plünderung von Eichendorffscher Lyrik zu Zwecken der
Textersetzung dar. Ein Band mit Eichendorffs Gedichten wird für Micieli zum
Steinbruch, was stellenweise geradezu komisch anmutende Wirkungen zeitigt, so
wenn durch dieses Verfahren der Hofrat Dryander aus „Dichter und ihre Gesellen“
plötzlich in der Pariser Kaschemme, in der der dritte Akt spielt, namentlich
genannt wird (weil das auch von Cesar Bresgen vertonte Gedicht „Mich brennt’s in
meinen Reiseschuh’n“ dem „Redner“ in den Mund gelegt wird). Solche
Sinnlosigkeiten gibt es zuhauf.
Fast
unerträglich wird es dort, wo Perlen der Eichendorffschen Lyrik geradezu
„verheizt“ werden. Den Spruch „Es kommt wohl anders, als du meinst“ hat Hans
Pfitzner wunderschön am Beginn seiner Kantate „Von deutscher Seele“ vertont. Bei
Micieli und Venzago wird er beiläufig, einer Nebenfigur in den Mund gelegt,
heruntergerattert. Der Vergleich tut weh. Ebenso schändlich ist das Gedicht
„Klage“, in einem Orchesterlied von Pfitzner erschütternd vertont, behandelt.
Von „dichterischen“ Eingriffen bleibt sogar Eichendorff selbst nicht verschont.
Von dem Spruch „Der Sturm geht lärmend um das Haus“, in Pfitzners
Eichendorff-Kantate eindrucksvoll musikalisch gedeutet, bleiben nur der erste
und der vierte Vers übrig, zwischen die beiden wird ein Burte-Vers geschoben:
haarsträubend sinn- und kulturlos!
Auf die Bemühungen von Venzago,
Micieli und ihren „Mitstreitern“, im Textbuch von Burte Spuren der sogenannten
Lingua Tertii Imperii (LTI), also der „Sprache“ des Dritten Reiches, zu finden,
näher einzugehen lohnt sich nicht. Wer Burtes Text liest, mag ja das Urteil
fällen, er sei sprachlich mißlungen (was auch für die Libretti der meisten
Verdi-Opern gälte), Spuren des Nationalsozialismus wird er darin aber, wenn er
unbefangen liest und nicht in der Absicht, zu finden, was er finden möchte und
finden zu müssen meint, darin nicht entdecken. Der Briefwechsel der
Protagonisten, der in dem von Thomas Gartmann herausgegebenen Sammelband
wiedergegeben wird, macht aber deutlich, daß man mit genau dieser Absicht an das
Textbuch herangegangen ist. Obwohl man sich ständig wechselseitig über den
Schellenkönig lobt und auch mit der gegenseitigen Charakterisierung „genial“
nicht sparsam umgeht, sind die Äußerungen von wirklichem Sachwissen über die
Zeit des Dritten Reiches und des zeitlichen Umfeldes desselben unbeleckt. Sie
stellen ein einziges Zeugnis der Peinlichkeit dar. Offenbar genügt es den
politisch Korrekten schon, wenn eine Oper zwischen 1933 und 1944 in Deutschland
uraufgeführt worden ist, um sie ihnen als „nationalsozialistisch kontaminiert“
erscheinen zu lassen und dann von ihnen an den ideologischen Pranger gestellt zu
werden.[4]Doch wahrscheinlich hätte es ohne den bewußten
ideologischen Hintergrund die Fördermittel nicht gegeben, womit über Jahre hinweg
das „Projekt“ der „Entnazifizierung“ von Schoecks Oper finanziert wurde.
Abbildung: Das Libretto 1943, Seite 1
Was in Meiningen schließlich zu hören und zu sehen war, war das dürftige Ergebnis sich aufblähender Wichtigtuerei, dürftig insofern als man von dem „neuen“ Text kaum etwas verstand und, da die Oper völlig unbekannt ist, keiner der Zuhörer erkennen konnte, worin nun die „Umkomponierungsleistung“ Mario Venzagos bestand. Schließlich fehlte der Vergleichspunkt. Man hörte nur schöne spätromantische Musik, von Sängern und Orchester gut vorgetragen. Im Textbuch wurde für das Werk in verlegener Weise eine zweifache Titelei abgedruckt. Einmal heißt es, einigermaßen korrekt: „Libretto von Francesco Micieli unter freier Verwendung von Texten von Joseph von Eichendorff, auf der Basis des originalen Opernlibrettos von Hermann Burte“, auf der Folgeseite dagegen: „Libretto von Francesco Micieli“. In der Außenwerbung war jedoch ausschließlich Micieli als Librettist genannt worden, waren der Name von Burte, von dem die ganze dramaturgische Einrichtung sowie fast die Hälfte des Textes stammten, und der von Eichendorff, der sich gegen den Mißbrauch seiner schönsten Verse nicht hatte wehren können, unterschlagen worden. Jeder mag sich darüber seine eigenen Gedanken machen.
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[1]
Zum Folgenden siehe: Zurück zu Eichendorff! Zur Neufassung von Othmar Schoecks
historisch belasteter Oper „Das Schloss Dürande“. Hrsg. von Thomas Gartmann,
Zürich 2018. Daraus stammen auch alle Zitate.
[2] Sogenannte Übertitel wurden oberhalb der Bühne angezeigt, ein seit Jahrzehnten in deutschen Operntheatern eingeführter musik- und kunstwidriger Brauch, der das Gesamtkunstwerk in Musik und Text, in Bühne und Buch auflöst. Der Eindruck muß aber als Gesamtheit gewonnen werden oder wird überhaupt nicht gewonnen. Ich habe in Meiningen darauf verzichtet, oberhalb der Bühne „mitzulesen“.
[3] Ein in der großen Opernliteratur fast einzig dastehender Fall einer vor der Betextung komponierten Melodie ist das Schlußduett des „Rosenkavaliers“. Hofmannsthal mußte bei der Texterstellung die schon vorliegende Melodie zugrunde legen.
[4] Da die Schranken nun einmal niedergerissen sind, werden wohl auch andere Werke, die nach 1933 uraufgeführt worden sind, politisch korrekter Umarbeitung anheimfallen. Einige zum Beispiel der Bühnenwerke von Richard Strauss bieten sich an. Und man wird bei den während dieses Jahrzehnts uraufgeführten Werken nicht Halt machen. Wir leben in totalitären Zeiten.
Siehe auch: Harald Noth: "Das Schloß Dürande" - eine Oper wird ausgeschlachtet