Ein Waterloo nach dem anderen ... Am 1. 12. 2000 schrieb Jürgen Busche, damaliger Chefredakteur der Badischen Zeitung: "Sebnitz könnte als das Waterloo der deutschen Presse in die Geschichte eingehen. Zeitungen, Fernseh- und Rundfunkanstalten, fast könnte man sagen: alle, haben durch Verbreitung einer Geschichte, deren Text vor Scheußlichkeiten strotzte, an der Herstellung eines Bildes mitgewirkt, das ebenso falsch ist wie möglicherweise die Geschichte selbst." Der Napoleon, der Feldherr, dem damals fast alle gefolgt sind, war die Bild-Zeitung. Das Blatt hatte den tragischen Tod eines Kindes im Sebnitzer Schwimmbad am 13. Juni 1997 als rassistisch motivierten Totschlag dargestellt. BILD titelte am 23. 11. 2000: "Neonazis ertränken Kind". 50 Rechtsradikale sollten ein ausländisch aussehendes Kind unter den Augen von 300 Badegästen gefoltert und schließlich ertränkt haben. Die taz schrieb am 24. 11. 2000: "Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord". Die Empörung ging über die Süddeutsche Zeitung und viele andere bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die in der Schlagzeile behauptete: "Die ganze Gruppe lachte und guckte zu". Dass in Sebnitz niemand außer gekauften Zeugen so recht an die Sache glauben und sich zu Verurteilungen hinreisen lassen wollte, wurde der Stadt für einige Tage zum Verhängnis. Sie geriet unter den Verdacht der stillem Mitwisserschaft und des Duldens des vermeintlichen Verbrechens, sie schien der ideale Sumpf zu sein, in dem Neonazis gedeihen. Nicht nur die Medien, auch hohe Politiker der Republik bis hin zum Kanzler schalteten sich ein, um den anscheinend wenigen, allzu wenigen Aufrechten in dieser Stadt beizustehen. Bundeskanzler Gerhard Schröder empfing die Mutter des Kindes, Renate Kantelberg-Abdulla. Der Stadtpfarrer, der nicht mitspielte, wurde von der Evangelischen Landeskirche beurlaubt. Doch bald darauf stellte sich heraus, dass die Republik falschen Anschuldigungen auf den Leim gegangen war; die Mutter des kleinen Joseph Abdulla hatte sich mit dem Tod des Kindes nicht abfinden können, Verschwörungstheorien gesponnen und Zeugen beeinflusst. Es blieb schließlich dabei, was die Staatsanwaltschaft - auch sie war in den Geruch der Begünstigung von Rechtsradikalen geraten - schon kurz nach dem Tod des Kindes festgestellt hatte: Sein Tod hing mit einer Herzmuskelerkrankung zusammen; die bis zu 50 Rechtsradikalen, die sich im Schwimmbad zusammengerottet haben sollten, waren frei erfunden. Um in Sebnitz wieder gut Wetter zu machen, besuchte Bundespräsident Johannes Rau am 15. 12. die Stadt und traf sich mit drei jungen Männern, die wegen Mordverdachts tagelang inhaftiert gewesen waren. Wohl um den Medien-Gau klein zu machen, beehrte das Staatsoberhaupt auch die Mutter Josephs. Im August 2001 besuchte auch Gerhard Schröder Sebnitz; der Tenor beider Besuche war: Wir machen den "Kampf gegen Rechts" schon recht, in diesem Fall ist uns halt mal eine Panne passiert. Doch Entgleisungen in diesem Kampf finden regelmäßig statt - so etwa bei den Kampagnen gegen Filbinger/Oettinger und Eva Herman. Außerhalb von Sebnitz und Sachsen war nach wenigen Wochen und Monate dieses Waterloo wieder vergessen. Ein neuer Medien-GAU fand statt: Am 11. September 2001 stürzten sich Selbstmordattentäter ins WTC und rissen 3000 Menschen mit in den Tod als ob dies nicht schlimm genug wäre, rundete man auf 6000 auf. Der amerikanische Präsident kündigte einen Krieg an, wie es ihn noch nie vorher gegeben habe. Deutschland kündigte seine uneingeschränkte Solidarität mit den Vereinigten Staaten an, in der Öffentlichkeit bis hinein in die Schulen stand man zu Gedenkminuten stramm. Die Presse und die Seh- und Hörmedien machten sich fast einmütig zum Sprachrohr des Feldherrn, viele Titelseiten hätte man für offizielle Mitteilungsorgane des Pentagon halten können. Nachdenkliche Stimmen, sofern vorhanden, mussten sich auf den hinteren Seiten, in den Feuilletons und Kulturteilen verstecken oder versuchen, auf den Leserbriefseiten durchzukommen. Der Kadavergehorsam Schröders und Fischers steckte an. Es gab keine Opposition im Parlament, die Schwarzen und Gelben wetteiferten mit Fischröder um die ersten Plätze in der Gefolgschaft von Bush. Die Grünen, die man - lang ist's her - als Opposition der Straße in Erinnerung hatte, regierten und marschierten mit, nur wenige Parlamentarier sträubten und windeten sich anfänglich, so auch ein nennenswerter Teil der Basis, der aber bald resignierte und sich anpasste. So gab es nur wenige öffentliche Stimmen gegen den geplanten Kreuzzug von Bush, der in Afghanistan beginnen und so oder anders auf alle Brutstätten des Bösen auf der Welt ausgedehnt werden sollte. Eine dieser Stimmen war der Fernsehmoderator Ulrich Wickert; er verglich das Denken Bushs in bestimmter Hinsicht mit dem von Hitler; er musste dann Abbitte leisten, um im Amt bleiben zu dürfen. Auch ein Waterloo. Hier in der Region traten so unterschiedliche Menschen wie der Kabarettist Matthias Deutschmann und der aus Oberbergen am Kaiserstuhl stammende Religionsphilosoph Eugen Biser oder der Künstler und bekennende Elsässer Tomi Ungerer auf. Alle nannten sehr deutlich Ross und Reiter; sie nannten den Staat beim Namen, der den Krieg und nicht den Frieden will. Auch auf der Straße fanden sich einige hundert Menschen zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Bombardierung Afghanistans ein (Foto: am Siegesdenkmal in Freiburg). Kaum ein Jahr später musste die Regierung von damals um ihren Wiedereinzug ins Parlament bangen. Im Wahlkampf versuchte sie dann, verlorene pazifistische Wähler wiederzugewinnen und machte sich zum europäischen Vorkämpfer gegen die amerikanischen Kriegspläne im Irak (nach dem Wahltag wurde es wieder still). In Freiburg in Breisgau war der Höhepunkt des rot-grünen Wahlkampfs eine Demonstration gegen einen NPD-Aufmarsch. 15.000 Menschen demonstrierten, das -zig-fache als bei den Friedensdemos nach dem 11. September. Aber Krieg und Frieden waren auf dieser Demo kaum ein Thema. Gernot Erler, stellvertretender SPD-Vorsitzender und der Experte der Fraktion für Außenpolitik, ist gleich hinter Schröder und Fischer Mitträger und Mitverantwortlicher für die neuen deutschen Kriegsbeteiligungen. Er errang bei den Freiburger Wählern mit Unterstützung der Grünen ein Direktmandat. Die grüne Kandidatin Kerstin Andreae hatte in Freiburg dazu aufgerufen, ihm die Erststimme zu geben. Herta Däubler-Gmelin und zahlreiche pazifistische Wähler gingen Schröder und Fischer erneut auf den Leim. Die Justizministerin meinte, wieder frei sprechen zu können und übte schonungslose Kritik an Bush. Die Wähler nahmen die Rhetorik des Kanzlers für bare Münze. Sie wählten Schröder und Fischer, die Däubler dann nach der Wahl von den Regierungsbänken verwiesen. Hinter dem breiten Rücken Schröders fasste auch einige Presseorgane wieder Mut: Harsche Kritik am Rambotum Bushs war nun bis auf die Titelseiten auch solcher Blätter gelangt, die nach dem Elften stramm gestanden waren. Aber der Geist, den man mit der "uneingeschränkten Solidarität" mit aus der Flasche gelassen hatte, ist draußen. Krieg ist wieder hoffähig. Und es scheint, dass nicht alle, die nach dem Elften hinter Bush, Schröder und Fischer standen, dies aus Opportunismus taten. Denn einige gingen mit der wahlkämpferischen Friedensrhetorik der Regierung ins Gericht und forderten Krieg statt Blabla - Krieg unter dem Segen der UNO. Doch hier muss ich die Regierung einmal in Schutz nehmen: Inzwischen hat die Bundesregierung den USA die Nutzung der amerikanischen Militärbasen in Deutschland erlaubt, für den Fall dass der Irak angegriffen wird - egal, ob mit oder ohne UNO. Auch durch Awacs-Aufklärungsflüge über der Türkei werden deutsche Soldaten der US-Armee flankierende Dienste leisten. Die Grünen, die einst gegen harmlose Truppenparaden im Inland demonstrierten, haben ihre verteidigungspolitische Sprecherin zu einer der beiden Vorsitzenden gewählt. Keine Woche nach ihrer Wahl wird auch privates Glück gemeldet: Bei einer militärischen Zeremonie in Mazedonien wurde Angelika Beer feierlich von einem Offizier gefragt, ob sie ihn zum Mann haben wolle. Der Vater von sieben Kindern will sich extra für sie scheiden lassen. Die Vorsitzende der Grünen antwortete - wie in allen entscheidenden militärischen Fragen der letzen anderthalb Jahre - mit einem feierlichen Ja. Der künftige Gatte von Frau Beer ist einer von zur Zeit 10.000 deutsche Soldaten in diversen Auslandseinsätzen - das größte Kontingent nach den Amerikanern. SPD-Fraktionschef und Verteidigungsminister Peter Struck will, wie die Presse kürzlich meldete, die Zahl der Krisenreaktionskräfte - der im Ausland einsetzbaren Truppen - von derzeit 65.000 auf 150.000 erhöhen; die Gesamtstärke der BW bleibt dabei unverändert. Härter könnte es ein Kriegsminister einer Stoiber-Regierung auch nicht bringen. Nur dass dann die rot-grüne Basis auf die Straße gehen würde. Soeben wird gemeldet, dass Joschka Fischer eine deutsche Zustimmung im UNO-Sicherheitsrat zu einem Krieg gegen den Irak nicht ausschließen kann ... Möge unserem Land dieses selbstgewählte Waterloo, dieser Kniefall vor der aggressiven Supermacht, erspart bleiben ... Journalisten und Politikern, die nicht mitmarschieren, und den Lesern, die in der Presse nach Wahrheit suchen, ist der Pisa-II-Test gewidmet, den ich im Februar 2002 verfasste. Der Test beginnt beim Vietnamkrieg; die Frage, wer die erste Atombombe warf, bleibt dem Leser, der sich dem Test unterzieht, jedoch erspart. 31. 12. 2002, leicht überarbeitet 21. 11. 2008 Harald Noth Jo, ich will dr Pisa-Friidenstescht mache. Nai, mir längts, ich will |