Zusammen leben!

Für eine wohlwollende Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in Elsaß-Lothringen

Ein Kommentar von Th.-Karl Goschescheck (Rot un Wiss Nr. 212, Juni 1995)

 Ob das uns nun gefällt oder nicht, ob es welche unter uns gewünscht oder bekämpft haben, Elsaß-Lothringen ist ein pluralistisches Land, ein multikulturelles Land geworden. Seit dem Anfang des Jahrhunderts sind Bevölkerungsgruppen anderer Herkunft, anderer Religion gekommen, um sich niederzulassen - manchmal sind sie sogar angesiedelt worden. Sie sprachen und sprechen andere Sprachen als die unsere. Man hat sie „immigrés“ genannt. Ich selbst bevorzuge den Begriff, den man in unserer Sprache benutzt: „Gastarbeiter“, ein Wort, in dem gut das doppelte Konzept zum Ausdruck kommt, das damit verbunden wird: danach sind die Menschen gekommen, um zu arbeiten und sie sind unsere Gäste. Heute sind ihre Kinder und Enkel hier geboren und leben hier. Es sind keine Ausländer mehr. Sie kennen kein anderes Vaterland als dieses hier und es ist tatsächlich ihrs, so wie es unseres ist.

 Unser Land ist auch ihres ...

Alle Kampagnen, die glauben machen wollen, daß man diese Situation rückgängig machen kann, haben keinen Sinn und sind kriminell in dem Sinne, daß sie unnötigerweise unsere Unterschiede aufbauschen. Sie lösen keines der Probleme, mit denen unser Land konfrontiert ist, aber sie führen zweifellos zu den Entgleisungen und Gewaltakten, die man anderswo kennt. Davon wollen wir nichts.

 Eine fremde Macht zwingt ihre Sprache auf ...

Heute dominiert eine fremde Macht unser Land und zwingt uns nicht nur seine Gesetze, sondern auch seine Sprache, seine Kultur auf, als die allein seelig machenden Mittel der Zivilisation, und dies mit einem Zynismus, der alle Grenzen des Akzeptablen überschreitet. Demgegenüber wollen wir mit Klauen und Zähnen unsere jahrtausendalte Sprache und Kultur in unserem Land verteidigen, die von über 100 Millionen Menschen in Europa geteilt wird. Das ist unbestreitbar unser Recht. Dennoch müssen wir aufpassen, das wir dem jetzigen „alles französisch“ nicht ein „alles deutsch“ entgegensetzen. Wir dürfen nicht Monsieurs Tourbon des Deutschtums werden. Das, was wir für die mehrheitliche Bevölkerungsgruppe in Elsaß-Lothringen mit vollem Recht verlangen, gilt auch für die nationalen Minderheiten, die in unserem Land leben: für die Türken, Araber, Italiener, Spanier, Roma, Portugiesen, Polen, Kroaten ... und vor allem für die Franzosen.

 Zusammen leben und dabei unsere Unterschiede respektieren ...

Gegenüber dem franko-französischen Konzept der Ausgrenzung müssen wir den Willen verteidigen, zusammenzuleben bei gleichzeitiger Achtung unserer Unterschiede - das wäre eine viel positivere Haltung, als sich zu fragen, ob man vor dem Islam Angst haben muß, einer Religion, die dank der jetzigen konfessionellen Situation und dank dem Artikel 25 der Verfassung einmal die vierte offizielle Religion von Elsaß-Lothringen sein könnte (neben dem Katholizismus, dem Protestantismus und der jüdischen Religion).

Machen wir uns nichts vor: wenn die muselmanischen Bürger von Elsaß-Lothringen von morgen ihre Religion ausüben wollen, müssen Moscheen gebaut werden - da ist nichts besonderes dabei.

Und so müssen alle ethnischen Gemeinschaften auf unserem Boden eine Reihe von besonderen Gemeinschaftsrechten zuerkannt bekommen, hauptsächlich das Recht auf den Gebrauch ihrer Sprache. Für die frankophone und französische Gemeinschaft scheinen die Bedingungen zur Zeit wohl ausreichend erfüllt zu sein und es wird nicht in Frage kommen, da irgend etwas zu ändern, zu beschneiden; das Französische wird im übrigen offizielle Sprache im Elsaß bleiben, niemand stellt das in Frage - zahlreiche Elsaß-Lothringer sind französischsprachig. Für die deutschsprachige Gemeinschaft, deren Interessen wir vertreten wollen (und der wir entstammen), wollen wir natürlich die gleichen Rechte erlangen und dies auf ganz natürliche Art, indem nämlich das Deutsche offizielle Sprache wird ... Des weiteren - Gerechtigkeit ist nicht teilbar - müssen wir uns dafür einsetzen, daß türkische, italienische, spanische, potugiesische, polnische, kroatische ... Schulen eröffnet werden.

Das Elsaß-Lothringen, das wir morgen wollen, wird ein offenes und tolerantes Gebiet sein, wenn nicht, wird es eine kleine, französische Provinz bleiben.

(Übersetzung: H. Noth. Der Artikel erschien unter der Chefredaktion von Gabriel Andres; Th.-K. Goschescheck ist seit dem Rücktritt von G. Andres neuer Herausgeber von Rot un Wiss).