Versuchter Rufmord an einer demokratischen Stimme

(zuerst erschienen in Der Alemannenspiegel, 97/4, Giswil 1997)

Die elsässisch-lothringische Zeitschrift Rot un Wiss erscheint seit 22 Jahren mit nunmehr über 230 Nummern - und wurde 22 Jahre lang von den herrschenden Medien im Elsaß geschnitten, totgeschwiegen. Kein Wunder, denn das Blatt kämpft für die Dezentralisierung Frankreichs, für sprachlichen, religiösen und politischen Pluralismus, für soziale Gerechtigkeit, für ökologische Verantwortung, gegen Rassismus und für internationale Solidarität - dies im allgemeinen; im besonderen auch für eine elsaß-lothringische Selbstverwaltung (innerhalb der Grenzen Frankreichs). Diese Ausrichtung von Rot un Wiss wird jeder bestätigt finden, der sich die Mühe macht, einmal einige Nummern des Blattes zu lesen. Leider ist dies nicht für alle ganz einfach: Die deutschsprachigen Artikel im Blatt, die einmal gut die Hälfte ausmachten, werden zur Zeit immer rarer. Ab und zu sind auch Gedichte auf Elsässisch oder Fränkisch (Lothringisch) zu finden.

Hinter Rot un Wiss steht die Union du Peuple Alsacien / Elsässische Volksunion, eine Gruppierung, die in einigen Kreisen auch zu Wahlen antritt und dort einige wenige Prozente erzielt, in einigen Ortschaften aber auch gute Ergebnisse hat.

Das Totschweigen dieser kleinen Bewegung fand im Frühjahr 97 ein jähes Ende, als Gabriel Andres, der Chefredakteur von Rot un Wiss, vor Gericht gestellt wurde. Den Dernières Nouvelles d'Alsace war der Prozess eine Schlagzeile wert, die die halbe Titelseite füllte; und das andere große Blatt, L'Alsace, schrieb: „Negationisme au sujet du Struthof?" Der Vorwurf war also: Leugnung von Tatsachen im Zusammenhang mit dem KZ Struthof, er bezieht sich auf den Text von eh (Eduard Haug) im Kasten, den Andres in Rot un Wiss im März 95 abgedruckt hatte. Haug war inzwischen verstorben, der Herausgeber Andres wurde zur Verantwortung gezogen. Die jakobinische Justitz verurteilte Gabriel Andres zunächst zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

>> Es wird auf dem Struthof ein Galgen gezeigt. Der frühere Abgeordnete Camille Dahlet, dem gewiß nicht die geringste Sympathie für den Nationalsozialismus nachgesagt werden kann, schreibt in Nr. 4 seiner tapferen "Grünen Hefte" (1951, S. 5) von den beiden Struthof-Galgen, daß sie "nach dem Abzug der Nazihenker im französischen Konzentrationslager Struthof verfertigt wurden, und von denen der eine dort aufgestellt, der andere als corpus delicti germanici in ein Pariser Museum verbracht worden ist". Elsässische Zimmerleute aus Ingweiler und Offweiler hätten diese Arbeit verrichtet. Ehemalige Häftlinge aus der Zeit nach 1945 haben das bestätigt. Sie behaupten auch, die heute gezeigte "Gaskammer" sei keine, zu ihren Zeiten hätte es diese nicht gegeben. Stimmt das, dann hat diese jedem Besucher gezeigte Kammer keine Existenzberechtigung im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft. In deren Zeichen müßten die Behauptungen unparteiisch untersucht werden. Nur unparteiisch festgestellte Tatsachen, ob sie nun für den einen oder für den anderen unangenehm sind, ganz gleichgültig, dürften in diesem Zeichen als Wahrheit weitergereicht werden. Nur auf Wahrheit kann Freundschaft gegründet werden, nur auf Wahrheit kann sie dauerhaft bestehen. eh <<

(In: Rot un Wiss, Nr.209, März 1995)

Wenn man den inkriminierten Artikel ohne jedes Wohlwollen interpretiert, kann man tatsächlich zur Vermutung kommen, der Schreiber (also Eduard Haug) habe Tatsachen im Zusammenhang mit dem Struthof leugnen wollen. Diese extreme Interpretation ist in der französischen Öffentlichkeit geschehen; Gabriel Andres hat sie zur Kenntnis genommen und ist als Verantwortlicher von Rot un Wiss zurückgetreten. Er hätte, wie er und die Redaktion von Rot un Wiss erklärt, diesen Artikel nie publizieren dürfen. Denn Rot un Wiss verurteilt „toute forme de dérive vers l'extremisme de droite, vers la xénophobie et vers l'antisemitisme", verurteilt also jede Form des Abgleitens in Rechtsextremismus, in Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. So erklärte es die Redaktion anlässlich des Urteils; das Blatt hatte aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten häufig gegen den Rechtsextremismus geschrieben und gewirkt und hat auch nie rechtsextreme Positionen vertreten.

 

Die Faschismuskeule

Der Faschismusvorwurf ist ein politisches Kampfmittel, das in Deutschland von manchen Linken, in Frankreich verso Elsaß aber von einem breiten politischen Spektrum benutzt wird. Das geht so: Positionen und Strömungen, die mit dem Totalitarismus gar nichts zu tun haben, werden ihm als wesenseigen zugeschrieben und werden bekämpft, wenn sie in der modernen Politik auftauchen. So ist es zum Beispiel mit der alemannischen Sprachpflege in Baden geschehen.

Die Vorgeschichte ist diese: Der deutsche Faschismus hat sich aus der deutschen Vergangenheit bedient, hat verschiedene Elemente herausgegriffen und sie für sich zurechtgebogen. So ist zum Beispiel der alemannischen Landnahme nach 260 eine generalstabsmäßige Organisation angedichtet worden, man hat einen Eroberungskrieg daraus gemacht, in der Art, wie er von den Nazis selbst dann ab 39 durchgeführt wurde. Während man sich so und ähnlich einige Etiketten mit der Aufschrift Alemannentum fabriziert hat, hat man die real existierende Kultur der Alemannen durchaus ignoriert, wenn nicht bekämpft (1). Die Kultur der Alemannen und der Nationalsozialismus haben nichts miteinander zu tun, und die Alemannen sind auch im Dritten Reich kaum als solche in Erscheinung getreten - sie konnten mit der Vorgabe der Nazis nichts anfangen. Der alemannische Dichter Hermann Burte war, auch wenn er immer wieder als Beweis für alemannische Verstrickung zitiert wird, eine isolierte Erscheinung und durchaus atypisch für die breite alemannische Bevölkerung. Manche geborene Alemannen mögen Nazis gewesen sein, daß aber einer sich dabei auch als Alemanne fühlte und äußerte, gibt es fast nicht. Den Nazis war das Regionale, das Eigenständige zuwieder, sie wollten das Große, das Weite, die Monokultur. Dennoch gefällt es einigen Gegnern der alemannischen Kultur, diese immer wieder in die Nähe des Faschismus zu bringen. (2)

Im Elsaß ist es nicht anders: Dort leben die Alemannen und ihre Sprache zwar schon seit 1500 Jahren, aber den Gegnern der elsässischen Kultur gefällt es, sie in die Nähe des deutschen Faschismus zu bringen. Dies setzte gleich 1945 ein, als man, nicht ohne Erfolg, versuchte, diejenigen, die an ihrer alemannischen Sprache und Kultur festhalten wollten, eine Nähe zum deutschen Faschismus, eine Mitschuld an der Besetzung des Elsaß durch Nazideutschland anzudichten. Die Faschismuskeule ist auch heute noch im Einsatz: So hat der französische Fernsehsender Antenne 2 noch in den Neunziger Jahren ein Bild von Hitler gezeigt, um die Absicht von Elsässern zu kommentieren, traditionsreiche Plätze in Straßburg mit zweisprachigen Schildern zu versehen. Als stünde mit den deutsch untertitelten Straßenschildern eine neue faschistische Besetzung bevor. (3)

 Die Faschismuskeule zu schwingen ist der Versuch, eine mißliebige Meinung zum Schweigen zu bringen. In Frankreich funktioniert das fast noch besser als in Deutschland: wem der Nazivorwurf anhängt, der ist so gut wie erledigt. Diesen Fleck bekommt keiner ganz wieder weg: Wessen Name im Zusammenhang mit KZ-Galgen auftaucht - wie diffus dieser Zusammenhang auch sei - der ist erledigt. Die Jakobiner und ihre Mitläufer sind da unbarmherzig. Pressemeldungen im Badischen haben "die elsässische Autonomisten-Zeitung Rot un Wiss" offen als "Rechtsradikal" bezeichnet (lsw-Meldung, z.B. in: Badische Zeitung, 11. 2. 1997). Das hat im Elsaß kein Presseorgan gewagt, leben doch im Elsaß einige tausend Menschen, wahrscheinlich aber einige zehntausend, die genau wissen, daß Rot un Wiss mitnichten eine faschistische Stimme ist. Die Medien im Elsaß wählten also nicht den Weg der direkten Lüge, sondern den der Suggestion. Zwei Jahrzehnte ein Blatt totschweigen und dann die Geschichte mit dem Blatt und den Galgen ganz groß aufmachen - das heißt eben, die Faschismuskeule zu schwingen. Daß die Keule getroffen hat, wo sie treffen sollte, daß verstanden wurde, was die Schwinger sagen wollten, zeigt die Pressemeldung aus dem Badischen. Es zeigt sich auch an Einzelmeinungen - so hat Huguette Dreikaus, Moderatorin von Dialektsendungen von Radio France Alsace, bei den Freiburger Büchertagen Rot un Wiss als faschistisch bezeichnet (und gleich noch andere Blätter elsässischer Sprachgesellschaften mit). Eine sonst nette Bekannte aus einer eher bürgerlich-konservativen elsässischen Sprachgesellschaft, die mir Rot un Wiss zuvor als kommunistisch denunziert hatte, besteht nun ebenfalls darauf, daß der rotweiße Konkurrent faschistisch sei.

Wenn es nun welche gibt, die klammheimliche Freude empfunden haben, als Andres verurteilt und der Regionalismus öffentlich beworfen wurde, dann muß einer sich gebogen haben vor Lachen: der Front National von Le Pen. Die Medienmacher im Elsaß sind zumeist noch Elsässer, wenn auch viele von ihnen mit den Jakobinern mitlaufen. Daß diese die Vertreter ihrer ureigensten Interessen öffentlich schlachten - besser kann es für Le Pen nicht mehr kommen. 

Ach, beinahe hätte ich es vergessen. Gabriel Andres ist in zweiter Instanz freigesprochen worden. Davon hat die Öffentlichkeit aber keine Notiz mehr genommen. Er wäre aber auch ohne formellen Freispruch durch die jakobinische Justiz ein Ehrenmann.

Harald Noth

(1) siehe auch Harald Noth: „Alemannentum" als nationalsozialistischer Etikettenschwindel. in: ders.: Alemannisches Dialekthandbuch vom Kaiserstuhl und seiner Umgebung. Freiburg 1993. S. 147ff.

(2) Je ein Fall ist geschildert in Harald Noth, a. a. 0., S. 279ff und in D'Deyflsgiger Nr. 14

(3) Badische Zeitung, 23. 5. 1991

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Lesen Sie auch die unter der Chefredaktion von Gabriel Andres erschienenen Artikel

Eine Sprache stirbt aus: das Jiddisch - Ein Artikel von Gabriel Andres (Rot un Wiss Nr. 191, Juli-August 1993)

Zusammen leben! Für eine wohlwollende Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in Elsaß-Lothringen - Ein Kommentar von Th.-Karl Goschescheck (Rot un Wiss Nr. 212, Juni 1995)