Bemerkungen zur Ausstellung "Hermann Burte und der Nationalsozialismus"

von Harald Noth

    Die Sonderausstellung "Hermann Burte und der Nationalsozialismus" im Lörracher "Museum am Burghof" wurde am 13. Juli 2007 eröffnet und ist bis 23. September angesetzt. Sie zeigt, so gibt der Ausstellungsprospekt an, Hermann Burtes "politische Einstellung und sein politisches Verhalten". Die Initiatoren und Financiers des Projekts sind Prof. Dr. Martin Kaltenbach, Fritz-Martin Edelmann und Dr. Friedrich Vortisch. Kuratorin ist die Historikerin Kathryn Babeck. Gestaltung: Heike Mages.
    Hermann Burte war einmal der größte zeitgenössische alemannische Dichter des Markgräflerlands gewesen; man hatte ihn diesseits und jenseits des Rheins einhellig neben Johann Peter Hebel gestellt. Er war auch ein von Walther Rathenau, Rainer Maria Rilke und nach ihnen von vielen anderen hochgeschätzter deutscher Dichter - bis in die 1970er Jahre und länger. Zu denen, die Burte als Dichter geschätzt haben, gehören viele, die unter dem NS-Regime Verfolgung oder Schikanen erlitten haben, darunter Reinhold Zumtobel, ehemaliger Chefredakteur der sozialdemokratischen Volkswacht, Rupert Gießler, der erste Chefredakteur der Badischen Zeitung, der deutsche Dichter und Pazifist Franz von Unruh und der elsässische jüdische Dichter Nathan Katz. Erwähnt sei auch der Dichter Georg Thürer aus der Schweizer antitotalitären Widerstandsorganisation Res Publica.
   
Das Thema der Ausstellung stand im Markgräflerland bereits mehrfach im Zentrum öffentlichen Streits. Nach mehreren, zum Teil monatelangen Auseinandersetzungen in der Presse und zum Teil auch in den politischen Gremien - die größten 1978/79 und 1988/89/90 - gibt es hier fast keinen Erwachsenen mehr, der nicht des Öfteren gehört hätte und - falls er Zeitung liest - mit Beweismaterial vorgeführt bekommen hätte: Hermann Burte (1879 - 1960) war von Jugend an Nationalist und ab 1936 aktives Mitglied der NSDAP. Mehr dazu in einem gesonderten Artikel: Zum politischen Streit um Hermann Burte nach 1945.
    In einem Leserbrief am 10. Juli 2007, kurz vor Eröffnung der Ausstellung, erinnerte Conrad Bauer an die öffentlichen Auseinandersetzungen:

"Wie hart die Fronten in der Vergangenheit aufeinanderprallten, habe ich aus eigener Erfahrung erleben müssen, als ich seinerzeit im Kreistag und im Gemeinderat den Antrag stellte, der Landkreis und die Stadt mögen aus der Burte-Gesellschaft austreten. Meine Begründung war, keine einzige D-Mark an öffentlichen Geldern auszugeben für die Pflege des Nachlasses eines ausgewiesenen und eingefleischten NS-Propagandisten." 

    Bauer hat die Erwartung an die Ausstellung, "dass das versteinerte Lagerdenken in Sachen Burte mit einer objektiven Dokumentation aufgebrochen wird." Er wünscht Museumsleiter Markus Moehring, 

"dass nicht nur die Generation 70plus, sondern insbesondere die Schülerinnen und Schüler Lörrachs mit ihren Lehrern sich über die Dokumentation eine objektive Perspektive auf das Leben und Werk Hermann Burtes erarbeiten und auch im Unterricht diskutieren." (1)

    Wenn es der Ausstellung gelingt, diesen Wunsch nach Objektivität zu erfüllen, so kann sie als gelungen bezeichnet werden. Die Aussteller zielen zwar nicht auf "Leben und Werk" Burtes ab, aber schon eine objektive Darstellung "seiner politischen Einstellung und seines politischen Verhaltens" wäre ein riesiger Fortschritt. Mit einem kommentierten Gang durch die Ausstellung soll nachgegangen werden, wie weit sie die Erwartungen erfüllen kann.

Burte, die "Geheimdiensttätigkeit" und Rathenau 

    Nach wenigen Metern der an der Wand aufgereihten Exponate - darunter auch Ölbildern des malenden Dichters - wird die Freundschaft Burtes mit dem jüdischen Industriellen und Politiker Walther Rathenau vor und während des Ersten Weltkriegs angesprochen. In der auf wenige Sätze beschränkten Darstellung wird unter anderem ausgesagt, Rathenau habe Burte eine Stelle beim "Geheimdienst" verschafft. Burte erwähnt die Tätigkeit, um die es hier geht, in seinen unveröffentlichten Memoiren selbst einmal als "eine Art Stelle" am Auswärtigen Amt: 

"Ich schrieb an dem Stück während meines Aufenthalts in Berlin, wo ich am Auswärtigen Amt eine Art Stelle versah, die ich aber aufgeben musste, wegen einer Broschüre, die ich privatim geschrieben hatte und in der die Politik des Reichskanzlers Bethmann Hollweg verurteilt wurde." (2)

    Einen Beleg darüber, dass Rathenau Burte die Stelle beschaffte, gibt es in der Ausstellung nicht. Aus dem - in der Ausstellung nicht dokumentierten oder erwähnten - Brief Rathenaus an Botschafter Freiherr Mumm von Schwarzenstein geht aber hervor, dass er sich vergeblich 1916 dagegen einsetzte, dass Burte entlassen wird.

"Ich weiß, dass die von ihm verfasste Broschüre nicht allseits Billigung gefunden hat, und nehme an, daß hierauf die geänderte Sachlage sich gründet. Wenn ich dennoch mir gestatte, Ihre freundliche Aufmerksamkeit auf den überaus begabten und aussichtsvollen Schriftsteller zu lenken, so bitte ich, darin keine ungehörige Einmischung, sondern den Wunsch zu erblicken, eine so ausgesprochen starke Kraft im Dienst einer geistigen Verteidigungsorganisation wirksam gemacht zu wissen." (3)

    Der in der Ausstellung verwendete Begriff "Geheimdienst" ist heute negativ besetzt; der Zeitgenosse Rathenau sah darin aber etwas Ehrenhaftes ("geistige Verteidigungsorganisation") - doch der Besucher der Ausstellung erfährt es nicht. Die Stelle nannte sich Zentralstelle für Auslandsdienst (Auswärtiges Amt, Nachrichtenabteilung). 
    Es wird auch übergangen, dass Burte zur selben Zeit mit der Obrigkeit aneckt oder keine Billigung findet. Hier wäre es auch angebracht gewesen, über Hermann Burtes Drama "Katte" zu sprechen. Der Dichter wurde 1914 deswegen für den Schiller-Preis nominiert, doch der König von Preußen (= Kaiser Wilhelm II) legte sein Veto dagegen ein.
   
Positiv zu vermerken ist jedoch die Präsentation eines Exemplars von "Kritik der Zeit", einem der Bücher aus eigener Feder, die Rathenau Burte schenkte. Es ist mit einer freundschaftlichen Widmung versehen, in der Rathenau auf den Burte-Roman Wiltfeber anspielt und sich als "ewigen Juden" und Burte als "ewigen Deutschen" bezeichnet.

    Gleich auf zwei Texttäfelchen wird vermeldet, wie die Beziehung Burtes und Rathenaus nach Meinung der Aussteller endete. Es heißt:

 "1918 bricht Rathenau die Beziehung ab, da Burtes antisemitischen Äußerungen lauter werden."

    Auf dem nächsten Täfelchen: 

"1918 bricht Rathenau den Briefkontakt ab, denn Burtes antisemitische Äußerungen häufen sich." 

    Beweise für diese wiederholte Behauptung gibt es im Museum am Burghof keine. Der letzte Brief Rathenaus an Burte ist vom 13. 10. 1918. (4) Hier bedankt sich Rathenau für das "wahrhaft eherne Sonett" Burtes, scheint aber in Eile zu sein: "Für heute kann ich nicht mehr schreiben. Mit herzlichem Gruß der Ihre - Rathenau".  Im Sonett, wofür Rathenau sich bedankt, ruft Burte seinen Freund an: "Die Hand her, Rathenau! das war ein Wort!" Schließlich stellt er ihn als Juden über die Germanen: 

"O peinlich klare reinlich wahre Lehre:
Nun den Germanen  Mut und Wille dorrt,
Wahrt kühn ein Jude jenen deutschen Hort,
Den Bismarck hob, in fleckenloser Ehre ... (...)" (5)

    Dies Gedicht Hermann Burtes bezieht sich darauf, dass Walther Rathenau Anfang September 1918 gegen die oberste deutsche Heeresleitung auftrat, die Waffenstillstandverhandlungen führen wollte. Es vergehen gute vier Monate, bis der Name Strübe (der eigentliche Name des Dichters und Malers Burte) noch einmal in den Briefen Rathenaus auftaucht. In einem Schreiben aus Haagen bei Lörrach werden im Januar 1919 "Mitteilungen" an Rathenau gemacht. Darauf antwortet Rathenau in seinem Brief vom 31. Januar 1919:

 "Sehr geehrte Frau Doktor Dora Nichtenhauser, für Ihre Mitteilungen danke ich ihnen. Ich würde es tief bedauern, wenn Hermann Strübe, dessen Talent und Persönlichkeit ich schätze, sich an antisemitischen Hetzereien beteiligt hätte. Es liegt mir jedoch fern, zu einer politischen Betätigung, auch wenn sie mich kränkt, eine persönliche Stellung zu nehmen." (6)

    Während also die Aussteller behaupten, Rathenau habe 1918 seinen Briefwechsel wegen sich häufender antisemitischer Äußerungen Burtes abgebrochen, weiß Rathenau Anfang 1919 nichts davon und kommentiert die "Mitteilungen" der Nichtenhauser im Konjunktiv, verbunden mit einem Bekenntnis zu Talent und Persönlichkeit Burtes. Er verweist die Sache, wenn es sie gibt, ins Feld der "politischen Betätigung". In der Tat führte der politische Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg Rathenau und Burte auf getrennte politische Wege. Eine objektive Darstellung dieser Sachverhalte würde viel Kenntnis und Raum erfordern.
    Walther Rathenau wurde 1922 - jetzt Außenminister - von politischen Gegnern ermordet. 1925 ließ Hermann Burte unter dem Titel "Mit Rathenau am Oberrhein" Erinnerungen an den Freund drucken, in denen deutlich wird, dass er die aus Rathenaus letztem Brief sprechende Wertschätzung auch 1925 noch erwiderte. Einen dieser bibliophilen Schöndrucke schenkte er auch Mathilde Rathenau, der Mutter des Ermordeten. Die 80-Jährige war von diesem Geschenk, vor allem aber vom Inhalt dieses Buches tief gerührt und schrieb in ihrem Brief vom 30. September 1925 an Burte: 

"Wie gerne würde ich, geehrter Herr Doctor, Ihnen persönlich meinen Dank wiederholen u. da schon so vieles Unverhofftes - Glückliches u. Schreckliches - in mein Leben trat, so gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es doch noch einmal dazu kommt." (7)

Gedicht "Der Führer"; Zeitschrift "Der Markgräfler"

    In einem etwas herausgelagerten Vitrinenkasten findet sich ein Sammelband der Zeitschrift "Der Markgräfler". Aufgeschlagen ist die Titelseite vom 15. 3. 1931 mit dem Burte-Gedicht "Der Führer". Dieses Gedicht ist bisher in zahlreichen Artikeln und Leserbriefen in der Presse des Markgräflerlands und darüber hinaus als Beweis für die frühe Verehrung Hitlers durch Burte gewertet worden. Nur wenige Leser des Gedichts werden aber wissen, dass Burte bis mindestens 1933 den DNVP-Chef Alfred Hugenberg als seinen Führer ansah und nicht Adolf Hitler; nur wenige werden auch die sechsseitige "Entscheidung im politischen Säuberungsverfahren (1949)" (8) gegen Burte, die auf einem Schreibtisch ausliegt, lesen und dort finden, dass Burte noch 1933 in Schopfheim eine "Brandrede" gegen die Hitlerpartei gehalten habe. Eine weitere derartige Rede Burtes gegen Hitler ist unter den Anlagen der Entscheidung der Entnazifizierungskommission als Blatt 47-50 genannt, aber im Burghof weder ausgestellt noch erwähnt. So gibt es auch keinen Hinweis darauf, dass Burtes Gegnerschaft zu Hitler bis in die Nazizeit hinein auch durch verschiedene Zeitgenossen bezeugt ist: Etwa Pfarrer Max Bürck schreibt in seinem Brief vom 21. Februar 1959 an Burte:

"Eines fällt mir noch ein: wie Sie damals um 1932 oder 33 so leidenschaftlich zornig die braune Pest und das Gesindel von München verurteilten vom Geist eines Bismarck und der besten Tradition konservativen und lutherischen Staatsdenkens aus. Ich war damals noch stark verzaubert, narkotisiert durch das, was wir als großdeutsche Jugend vom Wandervogel herkommend in der neuen politischen Bewegung erhofften (...). Mit unerbittlicher Schärfe und echt alemannischer Grobheit setzten Sie mir zu." (9)

    Über den "Markgräfler", ein Halbmonatsblatt mit vielfältigem Inhalt - namentlich auch Beiträgen auf Alemannisch und zur alemannischen Kultur - erfahren wir aus dem Ausstellungstext: "Der Inhalt der Zeitschrift ist antisemitisch und völkisch-national." Letzteres trifft zu, was die Artikel zur Politik anbetrifft. Der Antisemitismus zieht sich jedoch nicht so durch, wie die Formulierung vermuten lässt. Es gibt selten einmal einen Artikel oder eine Bemerkung, die man antisemitisch nennen muss, dann wieder monatelang nichts. In der Ausgabe vom 20. Juli 1930 findet sich eine sehr wohlwollende Besprechung der alemannischen Gedichte des jüdischen elsässischen Dichters Nathan Katz, mit dem Burte damals eng befreundet war. Doch wir erfahren in der Ausstellung nur das andere: "Markgräfler Kunstschaffenden und Gelehrten dient die Zeitschrift als Propagandaforum." Hier wird mit dem markigen Wort "Propaganda", von dem wir gewohnt sind, es im Zusammenhang mit dem Totalitarismus zu hören, ein Blatt bezeichnet, das in der Weimarer Zeit erschien, in der sich die politischen Kontrahenten keineswegs mit Samthandschuhen anfassten - der "Markgräfler" lag hier im Bereich des Normalen. Er vertrat die Linie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). 
    Hätten die Aussteller die erste Seite der ersten Nummer des "Markgräflers" (4. April 1924) aufgeschlagen, hätte der Betrachter ein Gedicht Burtes, "Deutsche Leute", als Geleit gefunden, in dem es unter anderem heißt: 

"Nicht nach außen neue Kriege!
Innen blühn die wahren Siege.
Lieber Deutscher, rauh und zart,
Finde heim zu deiner Art!" 

    Burte sei, so der Ausstellungstext, von 1932 an ihr Herausgeber gewesen, und anfangs der 40er Jahre habe sie 300 Abonnenten gehabt. Tatsache ist, dass die Zeitschrift im März 1932 zum letzten Mal erschien; der Betrachter muss aber meinen, Burte habe sie bis in die 40er Jahre geleitet - das stimmt natürlich nicht; hier herrscht Halbwissen oder ein Versehen.

    Ein weiteres Kapitel widmet sich, wie es heißt, den Themen in der Literatur und Kunst Burtes. Aus seiner alemannischen Dichtung sehen wir - in der ganzen Ausstellung - nur die Titelseite des Manuskripts seines großen alemannischen Gedichtsbands "Madlee" und im untersten Fach der Vitrine zum Hebelpreis findet sich in einem aufgeschlagenen Buch das alemannische Gedicht "Hebel". Und auf einem Schreibtisch liegt ein Ansichtsexemplar der "Madlee" aus. Eingehend behandelt wird von den "Themen in der Literatur und Kunst Burtes" aber nur sein politisch exponiertestes Werk, der Roman Wiltfeber. Von den anderen literarischen Werken Burtes, die auch aus heutiger Sicht nur schwer oder gar nicht politisch zu "beanstanden" sind - elf Gedichtbände, vier Schauspiele, drei Dramen, zwei Übersetzungsbände französischer Gedichte, ein Bühnenstück, ein Operntext und weiteres - findet keines eine inhaltliche Besprechung.

 Burtes Wiltfeber und der Antisemitismus 

    Hermann Burte bekam 1912 den Kleist-Preis für sein Werk "Wiltfeber - der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers." Dieser Roman trug ihm auch die Freundschaft Walther Rathenaus ein, der davon begeistert war. Nicht dass das Buch nicht Inhalte enthielte, die heute, nach der Belehrung durch Auschwitz und 52 Millionen Weltkriegstote, auch dem letzten als bedenklich erscheinen müssen. Bedenklich erscheinende Zitate aus Werken und Reden Burtes, besonders auch aus diesem Roman, wurden zu Zeiten politischen Streits gesammelt und führen seitdem ein isoliertes Eigenleben. Sie wurden von Gegnern Burtes politischen Gremien (10) und Persönlichkeiten wie Golo Mann unterbreitet, um sie von der Unterstützung der Hermann-Burte-Gesellschaft abzubringen. Auch der Kasten mit dem "Markgräfler" ist mit einschlägigen Zitaten aus dem Wiltfeber beklebt.
   Diese Inhalte wollen aber in ihrem Zusammenhang gelesen werden, nicht als Zitatensammlung. Dann wird die Gesamtpersönlichkeit und das eigentliche Wollen des Dichters deutlich und auch seine dichterische und sprachliche Brillianz.
    Unter dem Titel "Manuskript 'Wiltfeber' 1912" meldet uns das Texttäfelchen: "Im Roman finden sich völkische, rassistische und autoritäre Gedanken". Das lässt sich nicht abstreiten. Aber die Wortwahl Burte "hetzt gegen den Kommunismus" ist unverständlich. Das Kapitel über das kommunistische Experiment auf dem Hof Behringers ist keine Hetze, es ist köstlich, könnte aus dem Roman herausgetrennt und an Gymnasien gelesen werden - mit dem gleichen Recht, wie Texte Brechts, die den Kommunismus beschönigen. Weiter heißt es, Wiltfeber sei ein "Pamphlet gegen Juden". Und: "Sie werden als Vertreter des Wirtschaftsliberalismus, als geistige Unterwanderer Deutschlands und als Betrüger dargestellt." Träfe diese Behauptung so zu, hätte Burte sich der Freundschaft Walther Rathenaus und anderer Persönlichkeiten des Geisteslebens nicht erfreuen dürfen. 
    Als einziger Jude kommt im Roman ein Viehhändler vor, doch nicht in einer wirklichen Rolle, sondern im Tratsch zweier Kirchenältester während des Gottesdienstes. Einer erzählt, der Viehjude habe ihm eine Kuh verkauft, die kaum die halbe Milch gebe, die versprochen worden sei. Das ist alles. Daraus machen die Aussteller: "Sie werden (...) als Betrüger dargestellt." Doch Burte nimmt hier evangelische Kirchenleute auf den Arm, nicht die Juden. Der Roman, dessen Handlung sich innerhalb eines Dorfes abspielt, thematisiert keinen "Wirtschaftsliberalismus", auch keinen jüdischen. Der Kapitalist, der schließlich Behringers zugrunde gegangenen Hof kauft, ist ebenfalls nicht als Jude ausgewiesen oder auch nur angedeutet.
    Der Roman Wiltfeber wurde Jahrzehnte später im Dritten Reich zwar als Kritik an den Juden im von den Ausstellungsmachern behaupteten weiten Sinn ausgegeben und Burte sonnte sich in diesem "Ruhm". Das heißt aber nicht, dass der Roman das wirklich hergibt! 
   
Was gibt er bezüglich der Juden her? Der Romanheld Wiltfeber fühlt sich durch die Tatsache brüskiert, dass die Alemannen seines Dorfes den "jüdischen Stammesgott" anbeten. Es geht Wiltfeber (und Burte) nicht primär um die Juden, sondern um die Deutschen und Alemannen. Über sie sagt Wiltfeber: 

"Fremdes Wort, fremder Begriff, fremder Geist! Ich bin, der ich bin, sagt der Gott. Könnte doch dieses Volk auch noch sagen: Wir sind, die wir sind! – Das kann es nicht mehr, es ist entrasst und entgottet, von einer fremden Rasse unterworfen einem fremden Gott." (11)  

    Würden seine Leute "Manitou" oder "Jupiter Ammon" anbeten, würde Wiltfeber sich genauso aufregen. Er tritt für den "Reinen Krist" ein - eine Figur mit allen Eigenschaften von Jesus Christus, jedoch einen, der "das Judentum überwunden hat".
    Zum Vorwurf des Antisemitismus gegen Burte, der in der Ausstellung mehrfach auftaucht, muss gesagt werden: Beim Gebrauch des Begriffs Antisemitismus spielt heute immer das Wissen um die Ermordung von 6 Millionen Juden durch das NS-Regime mit. Dieses Wissen schwingt auch mit, wenn man Burte Antisemitismus etwa im Jahre 1912 vorwirft. Es muss hier aber getrennt werden: Ein Antisemit des Jahres 1912 muss in seiner Zeit beurteilt werden und kann nicht für die Verbrechen der Nazis verantwortlich gemacht werden, so wenig, wie einem Sozialisten des Jahres 1912, der sich gegen die „Bourgeoisie“ und andere "Klassenfeinde" einsetzte, der Terror und die Massenmorde der Stalinära vorgeworfen werden können. Der Burte des Jahres 1912 ist vom Burte des Jahres 1942 zu unterscheiden.
    Der Roman Wiltfeber ist kein politisches Programm, wie man, kennt man ihn nur aus der Zitatenlese, vermuten könnte. Vieles, was der Dichter seinen Heimatsucher sagen lässt, wird durch andere Figuren - etwa Wittich oder Behringer - relativiert und als Überschwang eines jungen Heißsporns gezeigt. Der Romanheld ist zwischen alemannischem und nordischem Einfluss, personifiziert durch Madlee und Ursula, hin und her gerissen. Er entscheidet sich schließlich für die nordische Ursula, scheitert und kommt um. Im Vorwort zur Wiltfeber 1927, abgedruckt auch im "Markgräfler" vom 16. 12. 1928, fasst Burte zusammen, was in seinem Buch steckt: 

"Eine Dichtung sollte es sein in Form eines weitgespannten Gerichtstages. Menschen und Dinge der großen Welt sollten geprüft werden in der engen, aber geliebten deutschen Heimat am Oberrhein. Hebel, der liebliche, war der Lehrer meiner Kindheit gewesen, Gotthelf, der mächtige Alemanne, der Meister meines Denkens und Glaubens. Da schien mir, wenn ich die Heimat, diesen Kern der Welt, an dem Bilde maß, das ich mir im Geiste der beiden Vorbilder von ihr gemacht hatte, viel edles geistiges und dingliches Gut rettungslos unterzugehen, und ich trauerte ihm nach. Was ich als Sohn des Volkes empfand, das sprach ich aus als Kind der Zeit in einer Sprache, die bewusst vom Volksmund Worte und Wendungen sog."

    Zu den politischen Tendenzen des Buches, die die Aussteller teilweise übertrieben und damit unsachlich darstellen, sagt Burte an den selben Stellen 1927/28: 

"Wenn ich heute, nach 15 Jahren, den ‚Wiltfeber’ wieder lese, erkenne ich erschüttert, wie der Mensch, und wäre er noch so guten Willens, in den Meinungen und Irrungen seiner Zeit verstrickt und befangen ist. Aber ich fühle auch, wie das Zeitliche versinkt und das Dichterische hervortritt. Keine Partei hat das Recht, das Ewige meines Buches für ihren Tag auszumünzen: aus dem Vollen will es gesehen sein und als ein Ganzes für jedermann."  

    Leider fand Burte einige Jahre später nicht die Kraft, sich gegen die Ausmünzung dieses Romans durch die Nazis zu stellen. Er spielte mit.
    Wer die geistige Offenheit besitzt, sich auch mit Formen und Inhalten zu befassen, die heute nicht mehr "in" und teilweise abzulehnen sind, wird das Buch möglicherweise mit Gewinn lesen. Wer in seinem Leben selbst nie Suchender war und geirrt hat, wird sich möglicherweise schwer tun. 

"Hakenkreuztisch" und Bücherverbrennung - Burte früher NSDAP-Anhänger? 

    Eines der Exponate ist ein Bild von Burte an seinem legendären Schreibtisch, teilabgebildet auch auf dem Ausstellungsprospekt. Hier werden nun endlich einmal die "Hakenkreuze" sichtbar, die Burte 1925 in den Tisch einarbeiten ließ und die verschiedenen Burte-Gegnern, etwa in Leserbriefen, als Beweis für seine frühe Verbundenheit mit der Bewegung Hitlers dienen mussten. Doch das eine Hakenkreuz in der Mitte ist nur schwer aus der Gesamtheit des Ornaments heraus zu erkennen, das "nach dem Motiv einer alemannischen Brosche" geschaffen ist. Das andere ist ebenfalls Teil eines Ornaments, doch leichter zu erkennen. Aber beide können nicht mit dem Symbol, das die Nazis schon seit 1920 auf ihrer Fahne hatten, verwechselt oder gar gleichgesetzt werden. Hakenkreuze waren in vielerlei und auch gegensätzlichen Gruppen der völkischen Bewegung in Gebrauch. Das Hakenkreuz wird in der Ausstellung richtig als "Zeichen der völkischen Bewegung" bezeichnet. Die Aussteller bemerken, dass Burte 1943 dieses Bild verschenkte. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass es auf eine frühe Beziehung zur NSDAP hindeutet.

    Wenig über Burte sagt die Bemerkung im Ausstellungsprospekt aus, er habe "seit den 1920er-Jahren Kontakt zu Männern des Stahlhelms und der SA". Im Kapitel 2.2 der Ausstellung erfahren wir, dass Burte ab 1930 beim "Stahlhelm" Mitglied war. Dort ist - falsch - dargestellt, der Stahlhelm stünde "der DNVP und der NSDAP" nahe. Zwar hat es zweimal ein Zusammengehen der drei genannten Organisationen gegeben - beim Volksentscheid gegen den Young-Plan und in der Harzburger Front. Aber der Wehrverband mit dem Namen "Stahlhelm" stand nicht den Nazis, sondern der DNVP nahe, der Partei, in der Burte 1919 bis zu ihrer Auflösung 1933 Mitglied war. Die Nazis hatten ihren eigenen Wehrverband: die SA.
    Mit der Meldung dieser Kontakte wird Burte nur von einer Seite - der rechten - beschienen. Doch Burte hatte auch Kontakt mit Juden (eine Freundschaft mit Nathan Katz) oder zu Männern und Frauen anderer Parteien und Verbände; er wurde zum Beispiel 1929 unter dem SPD-Bürgermeister Emil Kuttler Ehrenbürger in Maulburg. Wir erfahren in der Ausstellung leider nichts über all das.

    Das nächste Kapitel dreht sich um die Bücherverbrennungen durch die Nationalsozialisten 1933. Blickfang ist eine ganze Titelseite der Parteizeitung "Der Alemanne" und eine große Reproduktion einer Fotografie, auf der Burte zwischen einigen Uniformierten steht. Wer nicht genau nachliest, muss meinen, Burte im Kreis der Uniformierten habe etwas mit der Bücherverbrennung zu tun. Hat er aber nicht. Es ist ein Bild von einem anderen Anlass. Der Besucher bekommt also den Aufruf des Alemannen zur Bücherverbrennung in Karlsruhe und Erklärungen zur Bücherverbrennung sowie zur Gleichschaltung der Kultur zu lesen. Dass Burte nicht an der Verbrennung teilnahm und dagegen Bedenken hatte, kann man bei der genauen Lektüre herausfinden. Auf einem großen Tuchstreifen ist ein Brief Burtes an seinen Freund Nohl gesetzt, in dem er sagt - ja, was eigentlich? (12)
    Ein Täfelchen liefert die Interpretation der Ausstellungsmacher mit. Dieser Brief sei "vielschichtig" - das trifft zu. Aber sie lesen aus dem Text heraus: "Burte begrüßt an sich die Vernichtung von nichtarischer Literatur", die "Auswahl der zu vernichtenden Bücher" gehe ihm nicht weit genug und er fordere "die Vernichtung der Bibel als Symbol des Alten Testaments". Eine überaus kühne Interpretation. Immerhin gestehen die Aussteller ein: "Eine Bücherverbrennung hält er für ungeeignet ..."
    Dass die Ausstellung die Bedenken Burtes gegen die Bücherverbrennung eher zurückhält als in den Vordergrund rückt, hat zur Folge, dass eilige und voreingenommene Betrachter meinen können, Burte habe die Bücherverbrennung begrüßt. Etwa im Ausstellungsbericht von Christian K. Polit in der "Oberbadischen" ist zu lesen:

"Im Zuge der kulturellen Kampfwoche brennen in Karlsruhe am 17. Juni 1933 zahlreiche Bücher, angekündigt in der Freiburger Zeitung Der Alemanne am 12. Juni 1933 und von Burte als nationale Revolution begrüßt." (13)

    Doch wie stand Burte wirklich zur Bücherverbrennung? Burtes Brief an Nohl lässt bezüglich seiner Ablehnung der Bücherverbrennung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: 

"An den sechstausend Jahren, gemessen, in deren Lauf Gottes Wort sich als wahr erwies, ist die jetzige Bewegung in Deutschland eine Episode. Die Deutschen haben völlig die Kampfmethoden ihrer Todfeinde - Todfeinde im Wesen! - angenommen!"

Kernaussage der Ausstellung: Burte NS-Propagandist

    Wir kommen nun ins Zentrum der Ausstellung. Dieses fällt schon beim Betreten des Raumes ins Gesicht - ein altarartiger Kasten vor einer in braun gehaltenen Bühne, über der ein ausgestopfter Adler schwebt. Hinter dem Altar als weiterer Aufbau ein Volksempfänger, ein entscheidendes Propagandamittel im Dritten Reich. Der Raum davor ist bestuhlt; auf den Stühlen sind ausgefüllte Rückantwortkarten der Einladung zur Burte-Feier am 15. 2. 1939 in Lörrach aufgeklebt und damit Namen der Teilnehmer. Aus einem Lautsprecher kommen "deutsche und englische Propagandasendungen 1942 - 1944". Durch dieses Arrangement weisen die Ausstellungsmacher mit dem Finger der Symbolik darauf hin, dass Burte ein Propagandist des Naziregimes war - ein Fakt, der nicht abgestritten werden kann.  Aber auch hier liegt, wie immer, der Teufel im Detail.
   
In der Vitrine des "Altars" ausgestellt sind Auszeichnungen, die Burte im Nationalsozialismus erhalten hat. In der Mitte die Urkunde zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Lörrach, links ein Haufen Briefe und Urkunden und rechts ein Buchgeschenk des badischen Gauleiters Wagner zu Burtes 65. Geburtstag. Auf der Texttafel wird vermeldet, dass Burte zu seinem 60. Geburtstag in Karlsruhe gefeiert wurde. 

"Bedeutende Politiker des Deutschen Reiches nehmen daran teil. Hitler gratuliert persönlich per Telegramm und verleiht die Goethemedaille."

    Wir erfahren nicht, wer die "bedeutenden Politiker des Deutschen Reiches" sind, die in Karlsruhe zugegen waren. Wer war wirklich da? In der Festschrift zum 60. Geburtstag Burtes wird von draußen aus dem Reich niemand namentlich genannt; der mächtigste Mann Badens, Gauleiter Wagner, war "verhindert". An seiner Stelle trat der badische Ministerpräsident Köhler an, um die Medaille zu überreichen. Ferner waren zugegen der badische Kultusminister Dr. Wacker und Oberbürgermeister Dr. Hüssy von Karlsruhe. Die Hauptrede hielt ein Kreisleiter, ein Dr. Fritsch aus Freiburg. (14) Die "Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft" wurde vom jeweiligen Reichspräsidenten verliehen, erstmals von Paul von Hindenburg.
    Der Ausstellungsbesucher kann sich danach, wie die Aussteller die Sache aufbereiten, durchaus höhere "Politiker des Deutschen Reiches" vorstellen, die da gewesen sein könnten, wenn Hitler sogar "persönlich" per Telegramm gratulierte. Er könnte jetzt meinen, Hitler habe einen persönlichen Draht zum Dichter des Markgräflerlands gehabt.
    Der suggerierte "persönliche" Draht Hitlers zu Burte wird noch unterstrichen, wenn es im Zusammenhang mit seinem 65. Geburtstag heißt: "Aus der Privatkasse des Führers erhält er zudem 15.000 RM, was aber nicht öffentlich erwähnt wird." Auch diese Behauptung der Ausstellung wird durch nichts belegt. (Doch siehe Nachtrag)
    Irgend einen Beweis für die "persönliche" Förderung Burtes durch Hitler gibt es in der Sonderausstellung also nicht. Zu vermuten ist, dass Hitler mit dem Telegramm (15), der Goethe-Medaille und dem Geldbetrag (falls es diesen je gab) so wenig zu tun hatte wie Stalin mit der Verleihung des internationalen Stalin-Friedenspreises 1954 an Bertolt Brecht.
    Hier wäre es interessant gewesen, zu erfahren, wer sonst noch zum 60. gratuliert hat. Im Hermann-Burte-Archiv hätten sich zum Beispiel die Glückwunschschreiben verschiedener Geistlicher gefunden, darunter des Evangelischen Landesbischofs, mit dem Dank dafür, dass Burte unbeirrt ein treues Glied der Kirche geblieben sei. Rupert Gießler, ehemaliger Zentrumsmann und Schriftleiter der Tagespost bis zu ihrer erzwungenen Schließung 1940, gedachte in seinem Schreiben Burtes "tiefer Verbundenheit mit der alemannischen Heimat" und "so manchen anregenden Gesprächs" mit ihm. Der Landesverein Badische Heimat veranstaltete in Freiburg ebenfalls eine Feier im Beisein des Jubilars; im Brief vom 19. Februar 39 beklagt sich der Verein aber über das regionale NSDAP-Blatt:

"Unsere Freiburger Mitglieder waren von dem Abend ganz ergriffen, und wenn uns der 'Alemanne' nicht im Stich gelassen hätte, indem er im Gegensatz zu den übrigen Zeitungen keinen redaktionellen Hinweis aufnahm und sogar im Tagesanzeiger die Veranstaltung überging, dann hätten wir sogar einen überfüllten Kuppelsaal gehabt." (16)

    Der weitere Gang führt den Besucher an zwei ganzen Titelseiten des "Oberbadischen Volksblatts" vorbei. Auf der einen, im Artikel "Mit dem Führer in das Kampfjahr 1940", ein Kriegsdurchhaltegedicht Burtes, auf der anderen anlässlich des Hitler-Geburtstags 1943 das Gedicht "Dem Führer", vom Inhalt her ähnlich. Es sieht nach Auftragsarbeit aus und erinnert in seinem Duktus wenig an die genialen Werke Burtes. 
    Diese zwei kompromittierenden Titelseiten waren interessanterweise zuvor schon im Hermann-Burte-Archiv in Maulburg unter weitern Schriftstücken hauptsächlich aus der NS-Zeit aufgehängt und stellten an den Schieberegalen den Hauptblickfang dar. (17)

    Einen weiteren, ganz anderen Aspekt von Burte hätten die Aussteller in Lörrach zeigen können, wenn sie das Gedicht "Hebel rassisch!" von Burte aufgehängt hätten. Dieses große alemannische Gedicht trug die in dieser Ausstellung behandelte Person am 25. März 1939 in Maulburg öffentlich vor und veröffentlichte es in der 1940/41er Ausgabe des "Markgräfler Jahrbuchs" (18). Er setzt sich darin kritisch mit der Rassenlehre des Nationalsozialismus auseinander. Es handelt sich zwar nicht um eine fundamentale Kritik - doch die Kritisierten dürften trotzdem rot gesehen haben. Der Dichter lehnte sich damit weit aus dem Fenster. Dieses Schlüsseldokument über den "anderen" Burte fehlt leider in der Ausstellung. In diesem Gedicht beklagt sich Burte: 

"Bis hüt hets gulte wie ne Gsetz:
Der Hebel isch as Dichter: klassisch!
Jo, mustergültig! - Aber jetz,
Do muschtere sie dä Hebel: rassisch!" 

    Burte bescheinigt denen, die Hebel mit rassetheoretischem Hokuspokus herabsetzen wollen, einen "Verstand zum Schalbretter bohren": 

"Gar sunderbari Geischter gits,
Grad unter däne Professore,
Wo Auge hän wie gchochti Schnitz
Un e Verstand zum Flecklig bohre."

    Es geht Burte nicht nur um die Verteidigung Hebels - sie ist eher Vorwand - sondern er stichelt in diesen 252 Verszeilen gegen die Rassenlehre Hitlers und der Partei: 

"Es stigt der goldig edel Wy
Am End jo au us dunkle Schübel:
Und gstöhndets numme ehrlig ii:
S git leider Gott au blondi Dübel!"

    ("Schübel" sind Grasschollen, "Dübel" sind Blödiane.)

 "Im Auftrag von Partei und Staat"

    Doch der Besucher erfährt von dieser Seite des Dichters nichts. Das nächste Kapitel trägt den Titel "Im Auftrag von Partei und Staat". Hier erfährt er (wie schon im Prospekt angekündigt), dass Burte im "Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) und der Auslandsorganisation der Schweiz (AO) unterwegs" gewesen sei. Es soll nicht bezweifelt werden, dass Burte Aufträge von Stellen bekommen und angenommen hat, die im Dritten Reich das Sagen oder wohlwollende Duldung hatten - andere Möglichkeiten, öffentlich aufzutreten und davon zu leben, gab es für den Dichter nicht. Das soll keine Entschuldigung sein, sondern eine Erklärung. Aber mit Formulierungen wie "im Auftrag des Reichministeriums für Volksaufklärung (...) unterwegs" oder "Burte ist als Schulungsreferent für die SS tätig" wird erneut eine Bedeutung Burtes behauptet, die nicht nachgewiesen ist.
    Eine solche Aussage erschlägt. Man muss meinen, er habe dies per Anstellungsvertrag und ständig getan. Burte hätte dann die SS "geschult", mit inhaltlichen Zielen und eventuell Erfolgskontrollen, vielleicht hätte er sogar Schulungen organisiert - auch das gibt der Begriff her. Doch für eine solche Tätigkeit bieten die Aussteller keinerlei Beleg. Was als einziges geliefert wird, sind Listen
des Fahrtverlaufs von zwei Dichterfahrten, die Burte im Kreis von jeweils 14 oder 15 Kollegen im westlichen Kriegsgebiet unternahm. Die zwei Fahrten seien von einigen Funktionären des Staats und der Wehrmacht begleitet gewesen, eine Fahrt auch von Rudolf Erckmann, einem "Oberregierungsrat" aus dem "Reichspropagandaministerium".
    Hätte die Ausstellung statt des plakativen Vorwurfs eine konkrete Darstellung gewählt und diese korrekt ausgeführt, hätte sich eine komplizierte Wirklichkeit aufgetan. Meine Durchsicht der Korrespondenz Burtes zu Kultur und Politik der Jahrgänge 1939 und 1942-45 (19) ergab: Burte hat zahlreiche Anfragen aus ganz Deutschland, in denen er um Dichterlesungen, Reden, Artikel, Gedichte und Abdruckerlaubnis aus seinen Werken gebeten wird. Häufig wird er mehrfach angeschrieben, weil er nicht antwortet - das betrifft auch Anfragen aus der Partei und ihrem Umkreis. Er erteilt Absagen und begründet sie terminlich oder: "(...) bin aber leider gesundheitlich zur Zeit nicht in der Lage (...) hoffe im Herbst 1939 wieder fähig zu sein (...)", schreibt er am 23. Januar 1939 an die Reichsschrifttumsstelle beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Doch auch er bekommt Absagen. Beispiel: Am gleichen Tag schreibt die Organisationsleitung der Reichsparteitage der NSDAP: 

"Mit gleicher Post reiche ich Ihnen das uns seinerzeit überlassene Manuskript zurück. Der Reichsorganisationsleiter Dr. Ley hat sich für eine andere Arbeit entschieden (...)."

    Die Absender der Anfragen an Burte sind breit gestreut: Sie gehen vom der Zeitschrift "Deutsche Frömmigkeit" und dem "Bauernkalender der Bayerischen Ostmark" über Gemeinden, Städte, den Scheffel-Bund, die Deutsche Arbeitsfront und viele andere bis zum Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
     Zu den - unbelegten - Vorwürfen der Aussteller gehört auch, Burte sei "auf Ordensburgen, den Ausbildungsstätten der NSDAP" aufgetreten. Doch in der
Anklageschrift von Rudolf Blaschek (20) gegen Hermann Burte von 1945 findet sich ein Nachweis - freilich ist dieser falsch. Blaschek - wir kommen unten auf seine Schrift zurück - gibt bereits an, Burte sei "als überzeugter Nationalsozialist auch Schulungsreferent und Propagandist" gewesen. Wir fanden die Wortwahl "Schulungsreferent" in der Ausstellung wieder. Burte habe - gemäß dem Schreiben des Werbe- und Beratungsamts vom 3. Juli 1939 "die Verpflichtung von Vortrag und Vorlesung auf der nationalsozialistischen Ordensburg Vogelsang" übernommen. "Solche Vorträge und Vorlesungen sind von ihm auch auf anderen Ordensburgen durchgeführt worden."
    Die Anklageschrift belegt nicht, wann und auf welchen. Wie steht es mit dem Vortrag auf dem Vogelsang in der Eifel, der konkret benannt ist?
    Am 25. Mai 1939 ging ein Schreiben an Burte, ausgestellt vom Dr. Henning vom Beratungsamt, der "die Durchführung von Dichterlesungen auf der Ordensburg" betreut. Er bittet - mit Terminvorschlägen - Burte um eine Lesung auf dem Vogelsang und stellt eine lächerliche Vergütung in Aussicht: "Ersatz Ihrer Reiskosten und freien Aufenthalt". Burte muss von den Einkünften aus seinen Werken und von Vorlesungen leben. Der Dichter antwortet nicht. Am 12. Juni mahnt Dr. Henning eine Antwort an. Da endlich, am 23. Juni, also nach fünf Wochen, antwortet Burte wenig begeistert:

"Ihrer freundlichen Aufforderung entsprechend, will ich gerne auf der Ordensburg Vogelsang am 14. Juli sprechen, bitte dann aber, in Rudolstadt, nicht sprechen zu müssen. Reisen strengt mich leider sehr an und ich brauche gerade jetzt jede Stunde meiner Zeit zur Arbeit."

    Mit Eilbrief vom 3. Juli 1939 meldet sich die Ordensburg selbst bei Burte und teilt ihm mit, dass "durch ein Missverständnis" das Datum 14. Juli ausgemacht worden sei, dort sei aber seit langem eine andere Veranstaltung festgelegt. Burte wird also ausgeladen und bekommt als Ersatz den kurz bevorstehenden 7. Juli angeboten. Er wird um umgehende telegrafische Antwort gebeten. Auf der Rückseite dieses Eilbriefs entwirft Burte handschriftlich sein Antworttelegramm: "Siebter Juli unmöglich (...)"
    Von den von Blaschek behaupteten Ordensburgauftritten Burtes fand der einzige, der konkret benannt ist, nicht statt.

    Burte ging es bei seinen Vorträgen und Dichterlesungen um das Ganze, um Deutschland. Im Detail wich er durchaus von dem ab, was die Menschen von der Partei zu hören gewohnt waren. In seiner Verteidigungsschrift 1947 (21) schreibt er dazu: 

"Ich zog nicht das Dichterische in die Arena der Partei, sondern ich suchte durch das Dichterische die Partei aus ihrer Enge und Befangenheit in eine höhere Sphäre zu heben. Gelungen ist es mir freilich nicht." 

    Dieses Bemühen Burtes lässt sich - etwa anhand von "Sieben Reden von Burte" (22) - nachweisen, wenn es auch nicht in jeder Rede gleich deutlich ist. Etwa die Reden auf Goethe und Schiller weisen deutlichere Widerhaken auf als die auf Barthels. Um das zu erkennen, muss man die Reden freilich ganz lesen, nicht nur die Stellen, in denen Burte zum Führerlob ansetzt. Doch die Ausstellung zeigt ausschließlich den Burte, der (wie er es selbst in seiner Verteidigungsschrift etwas beschönigend formuliert hat) "ab und zu (...) auch den Kanzler und Führer des Reiches, der gesetz- und rechtsmässig erste Mann des Volkes" nannte, und zwar "im idealen Lichte gesehen". Burte hatte die Wahl, auch Hitler "im idealen Lichte" darzustellen oder auf öffentliches Auftreten zu verzichten. Leider entschied er sich für ersteres.

    Seine Auftritte scheinen nicht immer ganz freiwillig gewesen zu sein. Ab und zu war es dem Dichter zumute, den Bettel hinzuwerfen. In seinem Tagebucheintrag vom 26. 5. 1942 schreibt er: 

"Es ist verderblich, wenn alle paar Wochen ein Vortrag von mir verlangt wird, dessen Thema ich nicht besitze, sondern mir erst durch die Lese von Vorträgen meiner Vorgänger notdürftig erwerben muss - mich in Ruhe zu lassen, wäre die beste Politik des Dritten Reiches, aber viel zu gescheit, um geübt zu werden!" (23) 

    Doch aus einer solchen Stimmung Konsequenzen zu ziehen, war schwer möglich. Nach dem Dichtertreffen 1942 in Weimar, wo Burte einer Rede von Goebbels beigewohnt hatte, erhält er vom Sicherheitsdienst (Außenstelle Lörrach) die freundliche Auforderung, seine "persönlichen Ansichten" zum Inhalt der Rede des Propagandaministers mitzuteilen. (24) Der an sich reichsweit anerkannte und beliebte Dichter muss also dem Sicherheitsdienst seine Gesinnung darlegen. Im Antwortschreiben zeigt Burte, dass er die Rede verstanden hat und weiß, was von ihm erwartet wird:

"In einem Kampf um Sein oder Nichtsein, wie ihn Deutschland in diesem Krieg ausficht, müssen alle Stände und Schichten des Volkes Kriegsdienst tun. (...) Zu den Schichten, deren Haltung mit entscheidend ist, gehören auch die Schriftsteller und ihre Besten die Dichter." (25) 

Burte ein Spitzel 

    Eine weitere Aussage der Ausstellung ist: Burte sei Teil eines "Spitzel- und Informationsnetzes" gewesen und habe Personen verraten. Der Vorwurf gründet sich auf Durchschläge dreier Briefe, die dem Schriftsteller und Publizisten Manfred Bosch zufolge an die Lörracher Stelle des Sicherheitsdiensts (SD) und von da nach Berlin an das Reichssicherheitshauptamt gegangen seinen. Bosch veröffentlichte bereits im Jahr 2000 den ersten Brief. Er spricht von einem "Berichtssystem", dessen Ziel gewesen sei, "die Stimmung im Bereich kultureller Institutionen und literarischer Organisationen in der Schweiz richtig einschätzen zu können". Bosch vermeidet aber das Wort "Spitzel", welches Heimtücke und Käuflichkeit impliziert, und spricht von "Vertrauensleuten, Zubringern und Agenten". Doch diese Differenziertheit wird draußen nicht überall verstanden. So verbreitet die deutsche Wikipedia noch in der Version vom 6. 8. 2007 (mit Bosch als Quellenangabe): "Selbst vor Spitzelberichten an die Gestapo schreckte Burte nicht zurück." Hier zeigt sich, dass die betreffenden Autoren - im besten Fall - den Unterschied zwischen Gestapo und SD nicht kennen, sich aber dennoch berufen fühlen, Burte als Spitzel zu denunzieren.
    Die Präsentation in der Ausstellung ist nicht geeignet, wieder Sachlichkeit in das Thema zu bringen. Schon zu Anfang der Ausstellung war - ohne Beleg - vermeldet worden, dass Burte beim "Geheimdienst" gearbeitet habe. Die drei Briefe mit zusammen ca. 11 Seiten zu lesen, die Burte laut Aussteller im Frühjahr 1940 an den SD geschickt hat, ist sehr schwer; sie sind an einem Drahtseil zu hoch aufgehängt. Würde man sie lesen, würden man erfahren, dass Burte im P.E.N.-Club in Basel offen die Interessen der deutschen Außenpolitik vertrat. Im Brief vom 12. Februar 1940 (26) schreibt Burte über seine Stellung im P.E.N.-Club:

"Wer sich, wie ich es selbstverständlich tue, als überzeugter und treuer Anhänger Hitlers bekennt, der ist zunächst verdächtig."

    Es gab im P.E.N.-Club also niemanden, der sich über Burte täuschen konnte, der nicht damit rechnen musste, dass der Dichter aus der alemannischen Nachbarschaft Informationen weitergibt. Und das tut er auch in diesem Brief - es wird etwa über die Dichterin Annette Kolb gesprochen, die als Referentin in den Club eingeladen werden soll, wogegen sich Burte in der betreffenden Sitzung aber vehement ausspricht. Sie sei, so will er dort gesagt haben, "niemals als Vertreterin des wahren Deutschland anzusehen". Kolb war Emigrantin und hatte 1936 die französische Staatsbürgerschaft angenommen.
   
Im zweiten Brief des Dichters (12. März 1940) wird deutlich, dass ein Dr. Maag aus Heidelberg, seit drei Jahren Schweizerbürger, versucht hat, Burte im P.E.N.-Club als Nazi zu überführen. Dr. Maag verlangt den Ausschluss Burtes aus dem Club; Emanuel Stickelberger, Präsident der Basler Sektion, informiert alle Mitglieder. Etliche von ihnen hätten dann dem Präsident brieflich oder per Anruf zu verstehen gegeben, dass "es eine Blamage für den P.E.N.-Club wäre, wegen politischer Einstellung einen Dichter auszuschließen". Bei einer Abstimmung unter allen 23 Mitgliedern sei der Rauswurf des Hitleranhängers mit einer Enthaltung und ohne Gegenstimme abgelehnt worden.
    Die Aussteller fragen nun auf dem Texttäfelchen, das die meisten Besucher - anders als die elf Briefseiten - lesen werden, ob regimekritische Personen, deren Namen und Aufenthaltsort Burte genannt habe, verfolgt worden sind und geben zu, es sei nicht bekannt. (Die von Burte neben Annette Kolb genannten Leute sind alle gebürtige oder eingebürgerte Schweizer.) Weitere stellbare Fragen werden nicht gestellt: Etwa, ob die Quelle Burte vom SD vielleicht wegen Unergiebigkeit abgestellt wurde oder ob er sich selbst herauswand. Die Briefe haben etwas Prahlerisches an sich, Burte nutzt sie zur Selbstdarstellung als aufrechten Nazi. Warum hat ein  Dichter von nationalem Rang das nötig? Zweifelte man an ihm?

    An diese Stelle der Ausstellung hätte der Bericht von Willi Ferdinand Fischer gepasst, der während des Krieges in Lörrach als "Kriegsergänzungskraft im SD" gezwungen war, mit Burte Gespräche zu führen. Als Fischer sich Burte eröffnete, sagte dieser: "

"Es ist mir lieber, Sie kommen als Schwiegersohn des Hausvaters Binder, den ich als einen bescheidenen Mann und aufrechten Christen verehre, als im Auftrag dieser Organisation!"

    Beim Gespräch kam auch die Erschießung einiger Polen auf dem Hotzenwald zur Sprache und Burte habe, auf die Führenden gemünzt, erregt gerufen: "Diese Unteroffiziersgehirne wissen ja nicht, was sie tun!" (27) Fischer, der Schwiegersohn des Kinderheimleiters in Tullingen, konnte sich später dem SD entziehen.

Der Schreibtisch 

    Unweit vom Täfelchen über das "Spitzel- und Informationsnetz" steht ein großer Schreibtisch. Darauf liegen Ansichtsexemplare der vier einzigen noch erhältlichen Bücher Burtes, darunter der Madlee. Sie können an der Museumsrezeption gekauft werden. Dies sind weiter die zehn Schreibmaschinenseiten umfassende Schrift Burtes von 1945, "Der Geist und die nationalsozialistische Bewegung. Ein Entwurf." und eine zehnseitige Schrift von 1947 "Erwiderung auf Vorwürfe und Beschuldigungen". Hier spricht der in der Ausstellung Dargestellte über seine Gründe, warum er im Nationalsozialismus mitmachte. Damit hat die Ausstellungskuratorin dem Besucher die Möglichkeit eröffnet, sich mit Seiten und Sichten Burtes zu beschäftigen, die im bisherigen Gang der Ausstellung nicht dargestellt sind. Doch wer wird diese 20 Seiten bei seinem Ausstellungsbesuch lesen? Und ist es überhaupt opportun, sie zu lesen?
    In der Podiumsdiskussion am 20. Juli im Ausstellungsraum wurde das Zitieren aus diesen Schriften als "absolut untunlich" bezeichnet. Die Badische Zeitung (Lörrach) und suedkurier.de schreiben am 23. 7. 2007 gleichlautend: 

"Georg Diehl, der den Umstrittenen noch persönlich kannte, zitierte eingangs ausführlich aus der Selbstrechtfertigung, mit der Burte nach dem Krieg sein Verhalten zu erklären versucht hatte. Dies wies Manfred Bosch, Autor, Kenner der südwestdeutschen Literaturgeschichte und Burte-Kritiker seit langem, energisch als vollkommen untaugliche Grundlage für eine Bewertung zurück."

    Ganz ähnlich äußerte sich Professor Kaltenbach von den Initiatoren der Ausstellung.
    Eine weitere ausliegende Rarität ist die sechsseitige "Entscheidung im politischen Säuberungsverfahren" vom 4. November 1949, getroffen durch das "Badische Staatskommissariat für politische Säuberung - Spruchkammer Freiburg". Die Richter dieser Spruchkammer - das Vertrauen der französischen Besatzungsmacht genießende Zeitzeugen - kommen zu einer völlig anderen Einschätzung Burtes als die Macher der Ausstellung von 2007.
    Daran konnte auch der - ebenfalls auf dem Schreibtisch liegende - 44-seitige "Bericht über den Schriftsteller Hermann Burte aus Lörrach" nichts ändern, der 1945 vom Schriftsteller Rudolf Blaschek aus Lörrach der örtlichen Polizei und der französischen Militärbehörde des Landkreises übergeben worden war. Blaschek forderte darin u.a. lebenslängliche Haft (!) für Burte. Die Aussteller fassen den 44-seitigen Text zusammen: "Blaschek kommt zum Ergebnis, dass Burte ein überzeugter Nationalsozialist mit unehrlichem und unlauterem Charakter ist. Seine inneren Werte seien von äußerlichem Schein überdeckt und überlagert." Hier bringen die Aussteller Ausgewogenheit hinein, indem sie eine Stellungnahme von Joseph Pfeffer, dem ersten Lörracher Nachkriegsbürgermeister, vom 6. Mai 1947 zur "Anklageschrift" Blascheks zeigen, in der Pfeffer die Meinung äußert, dass "es sich hier vielfach um Angaben handelt, die absichtlich aus dem Zusammenhang herausgenommen" seien. Pfeffer schreibt weiter:

"Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Blascheck, der selbst Schriftsteller ist, durch diese Schrift Burte beseitigen und sich selbst an seine Stelle setzen wollte."

"Weder Einsicht noch Reue" 

    In ihrem letzten Kapitel behandelt die Ausstellung die Einstellung, die Burte nach dem Kriege an den Tag legte. Seine komplexe Verteidigung wird in wenigen Sätzen wiedergegeben. Ihm wird vorgeworfen, er zeige keine Reue und: "Eine geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und seiner Rolle im Dritten Reich finden nicht statt." Doch diese Auseinandersetzung fand sehr wohl statt, wie die zwei Verteidigungsschriften auf dem Schreibtisch zeigen.
    In der Verteidigungssituation stellt Hermann Burte sich jedoch etwas beschönigend dar. Dennoch sollte er das Recht auf Gehör erhalten. Seine Verteidigungsschriften sind keineswegs eine "vollkommen untaugliche Grundlage für eine Bewertung", wie es auf der Podiumsdiskussion geheißen hatte. Zumindest gehören in jedem rechtsstaatlichen Prozess die Einlassungen des Angeklagten zu den Grundlagen der Beurteilung.
    Es standen Burte zwei Möglichkeiten offen, sich zu offenbaren.

    Die erste: Er konnte sagen, ich war ein Schwein, ich sehe alles ein und bereue zutiefst. So einfach hätte er das Hemd wechseln können. Reue ist aber nur möglich, wenn man eine eigene Handlung als falsch und verwerflich erkennt. Diese Reue war Hermann Burte, der beim Kriegsende 66 Jahre alt war, nur bedingt möglich, weil er aus guter Überzeugung gehandelt hatte.
     Es ist vielleicht leichter, sich dieser Sache unbefangen anzunähern, wenn man sie in ein anderes Lager verlegt: Ein junger Mann oder eine junge Frau schließt sich 1910 einem Zweig einer Bewegung an, die die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung verspricht. Der Weg zur Befreiung der Menschheit soll über die Befreiung der Arbeiterklasse gehen, sie ist im Klassenkampf gegen die Bourgeoisie zu erlangen. Irgend ein anderer Zweig der Befreiungsbewegung siegt schließlich. Die Person wird mitgezogen und kommt jetzt erstmals oben zu schwimmen. Bald wird deutlich, dass das System nicht funktioniert, wie erhofft und Fehler macht, die nicht erwartet worden sind. Es produziert Arbeitslager, Massenmorde und lässt Panzer in andere Länder einmarschieren ... Für alles finden sich Erklärungen im Namen der großen Sache. Man hofft, dass die "Revolution sich mäßigen und menschlicher werden" (28) würde. Jetzt abspringen, wo das Ziel fast erreicht und zugleich wegen "Fehlern" der Führer in Gefahr ist?
    Das System bricht schließlich zusammen. Was soll die Person bereuen? Die eigene Verblendung, gewiss. Aber soll sie bereuen, dass sie für die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung eingetreten ist? Oder soll sie Dinge bereuen, die nicht in ihrer Hand lagen?
     Die Anhänger linksradikaler Ideologien zu dämonisieren ist heute aus der Mode gekommen, die Gelassenheit ihnen gegenüber sollte auch für Hermann Burte an den Tag gelegt werden, der auf der anderen Seite antrat. Für ihn ging es nicht um die Befreiung allein oder vorrangig der Arbeiterklasse, sondern um die Befreiung Deutschlands, der Deutschen. Das Proletariat war hier inbegriffen. Damit sollte auch eine Befreiung der Welt verbunden sein: Der Spruch Emanuel Geibels "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" hatte auch für Burte Bedeutung. Diese Befreiung sollte nach seiner Meinung durch den Geist geschehen: "Der Geist soll Meister werden in der Welt."

    Der zweite Weg, sich zu offenbaren, ist, die Wahrheit zu sagen. Burte wählte 1945 diesen Weg und verriet damit Charakter: Er steht vor der Entnazifizierungskammer zu seiner Weltanschauung, wie sie sich bis 1933 herausgebildet hatte. Er wiederholt in seiner Verteidigung seine anfänglichen kritischen Einwände gegen Hitler. Aus seiner Verteidigung spricht auch: In den Jahren 1936 bis zum Ende des Krieges wurde er zum Rad in einem verwerflichen System, das er nicht in allen Konsequenzen durchschaute.
     Ein rechter Freund der NSDAP war Burte - er war dort einfaches Mitglied ohne Funktionen - nie gewesen, sondern ihm ging es um die Größe von Deutschland; von 1935 bis in die letzten Kriegsjahre verehrte er Hitler. Dabei wurde ihm seine Treue und sein grundsätzlicher Führerglaube zum Verhängnis, der nicht von Namen wie Hitler abhängig ist. Die Qualität "Führer" hatten für ihn auch Reichskanzler Bismarck, Reichspräsident Hindenburg, und in der DNVP, der Burte bis zum Schluss treu blieb, galt Alfred Hugenberg als Führer.
     Zu den Menschen, die er sich einmal als Reichskanzler vorstellte und wünschte, gehört auch der Jude Walther Rathenau. Auf einer Wanderung zum Schloss Bürgeln 1913 schlug Burte dem mächtigen Industriellen und politischen Schriftsteller Rathenau vor, "den Weg Disraelis" zu gehen. (Der jüdischstämmige Schriftsteller Benjamin Disraeli war zwei Mal englischer Premierminister gewesen.)  Er wiederholt im Brief vom 14. Juli 1913 gegenüber Rathenau, dieser sei "befähigt, und mir erwünscht, unser Volk zu regieren, als Kanzler". (29) Zu diesem (längst überholten) Vorschlag auf der Wanderung bekannte sich Burte auch gegenüber einer ausgewählten Öffentlichkeit, nämlich 1925, als er seine Erinnerungsschrift "Mit Rathenau am Oberrhein" publizierte. 1948 ließ er sie erneut auflegen. (30) 
    Dieser Führerglaube bringt mit sich, dass man auch bei Mannschaft und Passagieren bleibt, wenn das Schiff auf Schlingerkurs gerät. Führerlos geht die ganze Sache verloren, so die Vorstellung von Menschen wie Burte. Er schreibt 1947 in seiner Verteidigung: 

"Ich musste einsehen lernen, dass neben Hitler oder gar gegen ihn eine deutsche Regierung nicht möglich war; er war tatsächlich so mit dem Reich verbunden, dass seine Niederlage auch den Zusammenbruch des Reiches bedeutete; das aber konnte ich als Deutscher, dessen Parole war: Zuerst das Vaterland! nicht wollen oder zulassen: also suchte ich das Beste von Hitler zu sagen, meinem Ideale entsprechend - und das durfte und musste ich, denn es waren mir keine Tatsachen oder Behauptungen bekannt, die mich damals an Hitler hätten zweifeln lassen können!"  

    So äußert Burte im Dritten Reich Kritik an Hitler nur versteckt in Reden, wo er bessere Männer als Hitler darstellt und ehrt (Goethe, Schiller, Hölderlin, Hebel und andere). Er äußert Kritik in Momenten der Erregung, wo er sich nicht kontrolliert, oder im stillen Kämmerlein, wo er am 14. Oktober 1943 seinem Tagebuch anvertraut:

„Ich überlege mir heute, ob es nicht für mich das einzig Richtige wäre, mich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, weder zu sprechen als Redner, noch im Rundfunk, sondern nur zu schreiben, zu schreiben, zu schreiben mit dem Ziel: Sieg des deutschen Geistes ohne Waffen nach der Art der Schweiz: Deutschland die grössere Schweiz Europas, ohne Aggression: Das ewige Misslingen der Deutschen in der Politik, dieser Kunst, Erfolg zu haben, muss auf angeborenen Fehlern, Mängeln, Eigenschaften beruhen. Denn einmal müsste die Überlegenheit, falls sie vorhanden wäre, sich offenbaren. Tausend Jahre lang, von Karl dem Grossen zu Franz dem Kleinen ist unsere Geschichte von einer erstickenden Talentlosigkeit. Fast alle Fehler aller verflossenen Fürsten haben sich in wenigen Jahren unter zusammengeballt: Es wird in der Tat genau das Gegenteil dessen erreicht, was man als Ziel angegeben hatte." (31)

    Die Reflexion über den Antisemitismus nimmt heute - anders als in den ersten Nachkriegsjahren - breiten Raum ein und dies nicht zu Unrecht. Dass Burte im Dritten Reich antisemitische Positionen vertrat – namentlich in seiner Rede „Worte an Bartels“ (32)  - steht außer Frage. Bereits 1945 nimmt er zu seinen Positionen zum Judentum Stellung; er gibt dort an:

"Vom Judentum dachte und denke ich wie Goethe, Shakespeare, Chaucer, Voltaire, Luther, Schopenhauer - aber die Methoden des deutschen Reiches gegen die Juden, vor allem das Verbrennen ihrer Synagogen und die rechtlose Vertreibung vermochte ich nicht zu billigen (...)." (33)

    Der Frage, warum er sich dann nicht dagegen wehrte, kommt Burte mit der Bemerkung zuvor:

"Es war aber unmöglich, hier hemmend einzuwirken, da bei geringstem Widerspruch der Vorwurf 'Judengenosse' und entsprechende Massnahmen drohten. Ich wollte aber leben und schaffen können, nicht zum Genuss des Lebens, sondern um es im Werke zu verewigen, es zu vollenden und abzurunden."

    Diese Erklärung kann auch Burtes Freunde nicht befriedigen. Denn er hatte sich ja nicht passiv verhalten, sondern hatte in einigen seiner Reden Seitenhiebe gegen die Juden verteilt. Doch Burte hier zu verdammen ist leicht; schwerer ist es, die Lehren zu ziehen, ähnliche Herausforderungen in der heutigen Zeit zu erkennen und sie zu bestehen. Burte gelang es nach 1945 wahrscheinlich nicht, zu einem vorurteilsfreien Verhältnis zu den Juden zu kommen. Doch er arbeitete daran. Die Neuherausgabe seiner Erinnerungsschrift "Mit Rathenau am Oberrhein" 1948 stellt einen Kontrast zu dem dar, was er unter Hitler schließlich vertreten hatte, sie ist Zeichen einer unausgesprochenen Selbstkritik und zugleich ein öffentliches Bekenntnis. In einer unveröffentlichten Aufzeichnung 1948 schreibt er, dass er, wenn er ein (weiteres) Buch über Rathenau schreiben müsste, sagen würde,

"dass ein Gedanke, eine Meinung, ein Vorschlag entweder richtig oder falsch ist; dass es absolut gleichgültig ist, ob der Erzeuger des Gedankens Germane, Jude, Slawe, ob er Protestant, Katholik, Israelite ist - dass die (leider Gottes vielgeübte!) deutsche Manie, einen Gedanken von vorneherein abzulehnen, weil sein Urheber Jude ist, einfach irrig und idiotisch ist." 

    Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg, die Unterwerfung des Landes im Versailler Vertrag und die erzwungene Akzeptierung dieser Unterwerfung durch die Erfüllungspolitik sind das Schlüsselerlebnis der Generation, die Hitler in die Arme lief. Doch Burte nimmt 1948 Außenminister Rathenau, den Hauptrepräsentant der Erfüllungspolitik, in Schutz, wenn er über seine Mörder sagt:

"Sie trafen am 24. Juli 1922 den Unrechten: Seine Unternehmung war im Beginne. Darf man den Sämann ermorden, weil die Ernte Zeit braucht, bis sie erscheint?" (34)

    Burte hat seine Verblendung im Dritten Reich 1945/46 mit neun Monaten Haft bei der französischen Besatzung gesühnt; die Spruchkammer Freiburg des Badischen Staatskommissariats für politische Säuberung hat ihn ferner 1949 dazu verurteilt, keine politischen Reden halten und Werke politischen und sozialpolitischen Inhalts veröffentlichen zu dürfen. Seine bisherigen Werke wurden ausdrücklich von diesem Verbot ausgenommen. Daran hat sich Burte gehalten, er trat nicht mehr in den Dienst von Parteien.

    Die Ausstellung erhebt hier ihren nächsten und letzten Vorwurf: "Sein politisches Schreiben stellt er nicht ein: In einigen seiner Werke vertritt er weiterhin wenig demokratische Gedanken." Um das zu beweisen, veröffentlicht (!) die Ausstellungskuratorin das bisher unveröffentlichte (!) Gedicht "Im Exil", es hängt als Schreibmaschinentext aus. Burte leckt darin seine Wunden; es geht um seine Verbannung aus Lörrach und dass ihm vom Schicksal gesetzt sei, als "ungebrochener Deutscher" zu sterben. Das Gedicht ist schon vor dem Spruchkammerverfahren geschrieben und geht politisch-inhaltlich nicht über das hinaus, was der Verfasser freimütig auch gegenüber der Kammer bekannte. Burte beklagt außerdem, dass "die Besten meines Volkes verbannt, in Lagern liegend und in Kerkern siechend" sind. Damit dürften die Kriegsgefangenen gemeint sein, vielleicht auch inhaftierte Freunde, Nazis. Burte, der sich selbst für einen gutmeinenden, aber getäuschten Menschen hielt, nahm das auch von verschiedenen anderen an. Das Gedicht ruhte in seiner Schublade.
    Hier ist eine wichtige Anmerkung zu seinem Werk zu machen: Burte hat zu allen Zeiten politische Gelegenheitsgedichte gemacht und zum Teil publiziert. Die wenigsten davon hat er aber in den Lyrikbänden gesammelt, auf denen sich sein guter Ruf als Dichter gründete. In seinem Brief vom 3. Januar 1915 an Walther Rathenau, der damals Leiter der Kriegsrohstoffabteilung des preußischen Kriegsministeriums war, schreibt er: 

"Eigentlich froh geworden bin ich des Krieges noch nie; auch bin ich nie in die zeit- und landesübliche Kritiklosigkeit verfallen, auf welche die Deutschen jetzt auf einmal stolz sind. (...) Ich selber, verdammen Sie mich nicht, gehe des letzten Zieles willen bedingungslos mit. (...) Ist es Ihre Aufgabe, Rohstoffe zu beschaffen, so ist es meine, Mut und Willen der Leute in Spannung zu erhalten durch Reden und Gedichte. Es gelingt mir gut. Da diese Sachen alle einen Zweck haben, so kommen sie als Kunstwerke natürlich nicht in Betracht." (35)

    Der Vorwurf, in Nachkriegsgedichten "wenig demokratische Gedanken" zu äußern, ist im Markgräflerland und darüber hinaus verschiedentlich erhoben worden. Am weitesten ging die stark beachtete Südwestfunksendung "Der Burte - Neuvermessung" (36) 1978 und 79. Der Eifer eines Rundfunkredakteurs ging damals soweit, dass in ein satirisches Gedicht Burtes ein Aufruf zum Massenmord hineininterpretiert wurde. Mehr dazu siehe im gesonderten Artikel: Hermann Burtes "Neuvermessung" durch den Südwestfunk 1978
     Die Ausstellung hätte hier mehr Objektivität hineinbringen können, wenn sie neben dem unveröffentlichten "Das Exil" eines der zahlreichen friedfertigen und mitfühlenden Geist verratenden Gedichte Burtes gezeigt hätte, wie etwa das veröffentlichte Gedicht "Deutsches Schicksal". Es lautet: 

"Der Vater ging in den Krieg hinein;
Er fiel. Wir Kinder waren allein.

Im zweiten Kriege fielen dann
Zwei Brüder und mein lieber Mann.

Nun droht der dritte! Es dient mein Sohn
In Tonking bei der Legion.

Der Vater, die Brüder, der Mann dahin:
Nur einer lebt - wann trifft es ihn?" (37)

Schluss

    Der Sonderausstellung "Hermann Burte und der Nationalsozialismus" ist es leider nicht gelungen, "eine objektive Perspektive auf Leben und Werk Burtes" zu bieten; die Forderung des eingangs zitierten Leserbriefes konnte nicht erfüllt werden. Diesen umfassenden Anspruch erhoben die Aussteller freilich auch gar nicht. Doch auch die versprochene Darstellung "seiner politischen Einstellung und seines politisches Verhaltens" ist nicht objektiv. Das genaue Hinsehen zeigte: Vieles ist nicht belegt; einiges falsch; Entlastendes aus dem Leben Burtes fehlt in der Ausstellung weitgehend. Manches ist aufgebauscht und stellt die subjektive Sicht der Aussteller dar.
    In der Presse (38) wurde in Reaktion auf die Ausstellung bereits die Frage nach Konsequenzen gestellt: Soll die Ehrenbürgerschaft Burtes in Lörrach aufgehoben werden, sollen im Markgräflerland Straßen und Gebäude mit dem Namen Burtes umbenannt werden? Diese Ausstellung könnte einen weiteren Meilenstein bei der Ausschaltung der großen alemannischen und deutschen Dichtung dieses Mannes aus der Öffentlichkeit darstellen, wenn sie unkritisch aufgefasst wird. Beim Thema Nationalsozialismus tun sich viele Menschen schwer mit eigenem Denken: Wer hier nach korrekter Beweisführung fragt und Differenzierungen einfordert, sieht sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, ein Nazifreund zu sein. Doch der Angst vor diesem Vorwurf nachzugeben, hieße, eine wichtige Lehre aus jener Zeit nicht zu ziehen.

    Möge die Sonderausstellung, trotz ihrer Einseitigkeit, dennoch zu wertvollen Erkenntnissen führen. Burte schwamm einmal zehn seiner über 60 Schaffensjahre oben. Wir sehen es im Museum am Burghof dokumentiert. Andere Schriftsteller, Redner, Journalisten und Personen des kulturellen Lebens schwimmen heute oben. Hermann Burte wusste um den schwankenden Boden, auf dem der Erfolg steht. Wissen sie es auch? Im Juli 1941 sagte er in der Rede auf den Dichter Grabbe:

"Wem die Götter die Gabe des Gesangs schenken, der scheint gefährdet, alles Große und Edle lebt am Rande des Abgrundes, und es ist - ganz groß und gesamt betrachtet! - gut so. (...) Der Dichter ist und bleibt immer ein Wagender und ein Gewagtes!" 

    Mit diesen Worten trifft Hermann Burte nicht zuletzt sich selbst. Auch diese seine Rede enthält peinliche Irrtümer. Dann fährt er fort:

"Sagen wir’s ehrlich:
Dichten und schreiben
Muß lebensgefährlich
Und lohnlos bleiben!"
(39)

    Dieses Gedicht, aus dem Burte 14 Strophen zitiert, hatte er schon 1930, in Zeiten der Weimarer Demokratie, geschrieben. Doch seine Zuhörer erfahren es nicht, er stellt die alte Mahnung einfach in die neue Zeit hinein. Die Aussage ist - wie so oft in Burtes dichterischen Werken - zeitlos und allgemeingültig. (40)

13. August 2007
leicht korrigiert am 25. Oktober 2007

Was meine ner do drzue? Was meinen Sie dazu? Schriibe an meinung@noth.net
Diesen und weitere Artikel über Burte finden Sie auf www.noth.net/hermann-burte/anfang.htm

Zu der obigen Ausstellungskritik erreichte mich am 23. 12. 2007 das Schreiben (E-Mail) der Kuratorin Kathryn Babeck, das auf ihren Wunsch im Folgenden dokumentiert wird. 

Antwort von Kathryn Babeck auf obige Ausstellungskritik
kommentierend beantwortet von Harald Noth


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Nachtrag vom 3. 2. 2008: Das sogenannte "Geschenk aus der Privatkasse des Führers"

    In ihrem Brief am 23. 12. 2007 lieferte Kuratorin Kathryn Babeck dankenswerterweise einen Beleg für das von ihr behauptete Geschenk aus der "Privatkasse des Führers" an Burte nach. Sie nannte die Standnummer des im Bundesarchiv abgelegten Vorgangs (41); inzwischen liegen mir Kopien dieser Unterlagen vor. Danach zeigt sich: Der Begriff "Privatkasse des Führers" scheint von Frau Babeck erfunden zu sein, Ueberschär und Vogel, die sie als zusätzliche Quelle angibt (42), benutzen ihn nicht; bei Google gibt es bis heute (3. 2. 2008) nur ein Dokument, in dem er belegt ist - den obenstehenden Artikel.
    Aus den Unterlagen geht weiter hervor, dass die "Ehrengabe" aus dem Kulturfilm-Förderungsfonds entnommen wurde, der im Propagandaministerium angesiedelt gewesen sein dürfte. Ministerialdirigent Dr. Naumann aus dem Propagandaministerium hat unter Berufung auf seinen Chef Goebbels bei der Reichskanzlei, der Behörde Hitlers, "die Genehmigung zur Erteilung dieses steuerfreien Betrags" beantragt. In der Antwort aus der Reichskanzlei heißt es, der Führer habe "die Steuerfreiheit" bewilligt. Nach diesen zwei Schreiben erhielt Burte aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda zu seinem 65. Geburtstag am 15. 2. 1944 eine geheime "Ehrengabe" von 15.000 Reichsmark. 
    Solche geheimen Geschenke besonders durch Hitler, aber auch durch andere Nazigrößen an alle möglichen Personen waren gang und gäbe. Man wollte den Beschenkten für Verdienste danken, sie für Härten entschädigen und/oder sie zum zukünftigem Dank und Wohlverhalten verpflichten. Diese Verpflichtung wurde aber nicht ausgesprochen oder niedergeschrieben. Die Dotationen kamen insbesondere aus Verfügungsmitteln der Reichskanzlei Hitlers, im Fall von Burte jedoch aus dem Kulturfilm-Förderungs-Fonds. Empfänger waren hohe und niedere Funktionäre von Staat, Partei und Wehrmacht, Architekten, Künstler, Schriftsteller, darunter solche, die bedürftig waren. Schließlich waren auch einfache Leute unter den Beschenkten - wie eine Familie, die innerhalb von 16 Monaten fünf Kinder bekam (43). Selbst ehemalige politische Gegner, darunter SPD-Größen der Weimarer Zeit, wurden betraut (44). Vor allem aber bereicherten sich die Partei- und Staatsführer durch Schenkungen, Sondergehälter und Vergabe von Landgütern in schamloser Weise selbst.
    Die Dotationen waren reine "Launen- und Willkürhandlungen", sie waren an keine festgeschriebenen Bedingungen geknüpft (45).  Ablehnungen kamen praktisch nicht vor. Eine Ablehnung solch einer "Ehrengabe" wäre eine offene Brüskierung des Gebers gewesen (46). Möglicherweise glaubte Burte, eine "Ehrengabe" verdient zu haben. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens ein Dasein in finanziell ungesicherten Verhältnissen geführt. Aus seinem Tagebuch geht hervor, dass Dr. Otto Henning (der Stellvertreter von Dr. Rudolf Erckmann im Propagandaministerium) ihm in Lörrach einen "sehr netten Brief des Reichsministers und eine Ehrengabe in Form eines Schecks auf die Bank der Arbeit" überreichte (47). Die Höhe des Schecks ist nicht angegeben.
    In meinem Artikel Hermann Burtes "Neuvermessung" durch den Südwestfunk 1978 habe ich einiges zur Beziehung Burtes in das Propagandaministerium dargestellt. Nach der Vorgeschichte darf man vermuten, dass die Idee zu dieser "Ehrengabe" aus dem Büro von Dr. Erckmann kam. Erckmann und Henning kannten Burte persönlich von Dichterfahrten, die durch das Propagandaministerium organisiert und von Erckmann bzw. Henning begleitet worden waren. Goebbels wird deren Vorschlag aufgenommen und damit die Chance wahrgenommen haben, Burte sich und seinem Haus zum Dank zu verpflichten - in einer Zeit, wo das Ende des Dritten Reichs nicht mehr schwer zu erahnen war. Burte nahm das Geschenk an.
    Doch der schenkende Danaer hat Burte nicht besonders gemocht. Zumindest in seinem Tagebucheintrag vom 1. Dezember 1936 schreibt Goebbels anlässlich einer Aufführung des Burte-Dramas "Katte":

"Das Stück ist ein Attentat auf die Tränendrüsen. Zu sentimental. (...) Ich lerne Burte kennen. Keine Leuchte. Ein alemannischer Spießer." (48)

    Hermann Burte hat diese Dotation nach dem Krieg - etwa vor dem Entnazifizierungsausschuss - verschwiegen. Das brachte ihm den Vorwurf der Lüge ein (Frau Babeck im Brief vom 23. 12. 2007). Seine heutigen Richter mögen bedenken, dass auch etliche Exponenten der Nach-Hitler-Ära NSDAP-Mitgliedschaften und anderes verschwiegen haben, unter ihnen der Moralpapst Walter Jens. Auch Günter Grass, einer unserer größten Antifaschisten, verschwieg seinen Dienst in der Waffen-SS über 60 Jahre.

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(1) Badische Zeitung, Lörracher Ausgabe, 10. 7. 2007
(2) Zitiert nach: Ulrike Falconer: Hermann Strübe (Dichtername ab 1905: Hermann Burte). Biografische Stoffsammlung in Bearbeitung ... (Word-Dokument im Hermann-Burte-Archiv, Maulburg)
(3) Brief vom 10. 2. 1916, in: Walter Rathenau: Briefe. Teilband II: 1914 - 1922. Düsseldorf 2006, S. 1515
(4) Walter Rathenau: Briefe. Teilband II: 1914 - 1922. Düsseldorf 2006, S. 1995
(5) Das ganze Gedicht zitiert ebenda, S. 1995
(6) ebenda, S. 2098f
(7) Briefkopie im Hermann-Burte-Archiv, Maulburg, Schachtel Rathenau
(8) Badisches Staatskomisariat für politische Säuberung - Spruchkammer Freiburg: Entscheidung im politischen Säuberungsverfahren gegen Dr. Hermann Strübe (= Burte) vom 4. 11. 49, S. 3 (liegt in der Ausstellung aus)
(9) Hermann-Burte-Archiv, Maulburg, Brief-Schachtel B.
(10) Im November 1988 stellten die Grünen im Lörracher Kreistag den Antrag, der Landkreis solle aus der Hermann-Burte-Gesellschaft austreten. Zur Begründung des Antrags wurde unter anderem "eine Sammlung aus Zitaten aus den Werken Burtes zusammengestellt, die Nachweisen sollten, daß Hermann Burte 'nicht nur ein Schreibtischtäter' gewesen sei, sondern 'auch eine militant antidemokratische Tradition' verkörpere. (...)" ("Oberbadisches Volksblatt", 9. 11. 1988)  Eine solche Sammlung ging zum selben Zweck auch an den Kreistag von Breisgau-Hochschwarzwald (eingereicht von Peter Philippen, Fraktion der Grünen; sieben Seiten), siehe auch Badische Zeitung, Breisgau-Hochschwarzwald, 27. 7. 1988
(11) Hermann Burte: Wiltfeber - der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers. Leipzig 1918 (= 12. - 16. Auflage), S. 127
(12) Der Wortlaut des Briefs an Nohl ist: „Dinge, wie die sog. nationale Revolution muss man, um wahr zu sein, religiös bewerten. Was aus der Materie kommt, ist Dreck und geht zum Dreck zurück. Unter den jüdischen Büchern, die man am kommenden Sonntag in Karlsruhe fast amtlich verbrennt, fehlt - die Bibel! Diese Tatsache, dass man nicht folgerichtig sein darf, wiegt ungeheuer schwer zu Gunsten der Anderen. Wir geraten als Volk in den Fluch, den galuth, wie die Juden, wenn wir nicht im Geiste bleiben! An den sechstausend Jahren, gemessen, in deren Lauf Gottes Wort sich als wahr erwies, ist die jetzige Bewegung in Deutschland eine Episode. Die Deutschen haben völlig die Kampfmethoden ihrer Todfeinde - Todfeinde im Wesen! - angenommen!“
(13) Christian K. Polit: Von den Nationalsozialisten umworben. Kuratorin Kathryn Babeck über Stationen in Hermann Burtes Leben. die-oberbadische.de, 1. 8. 2007)
(14) Hermann Burte. Zum 60. Geburtstag des Dichters am 15. Februar 1939. Lörrach 1939, S. 80ff
(15) Das Telegramm war für mich im Burte-Archiv nicht auffindbar - ich hielt es in der Version vom 13. 8. 07 für möglich, dass es nicht existiert. Doch ist ein mit "Adolf Hitler" unterzeichnetes Telegramm oder eine Verleihungsurkunde zitiert bei
Ulrike Falconer: Hermann Strübe (Dichtername ab 1905: Hermann Burte). Biografische Stoffsammlung in Bearbeitung ... (Word-Dokument im Hermann-Burte-Archiv, Maulburg)
(16) Hermann-Burte-Archiv, Ordner Korrespondenz Kultur Politik Januar - April 1939
(17) Spätjahr 2006
(18) Das Gedicht ist leicht gekürzt auch veröffentlicht in: Hermann Burte: Die Seele des Maien. Gedichte um Hebel. (1950 und 1982)
(19) Hermann-Burte-Archiv Maulburg, Ordner Korrespondenz Kultur Politik
(20) "Bericht über den Schriftsteller Hermann Burte aus Lörrach. Zu Händen der Deutschen Polizei des Landkreises Lörrach; Der Französischen Militärbehörde des Landkreises Lörrach - von Rudolf Blaschek, Lörrach (...) (13. 8. 1945)", S. 14f (liegt in der Ausstellung aus).
(21) Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen (1947) (liegt in der Ausstellung aus)
(22) Sieben Reden von Burte. Straßburg 1943
(23) Hermann-Burte-Archiv Maulburg, Tagebücher, Eintrag am 26. 5. 42
(24) Hermann-Burte-Archiv, Korrespondenz Kultur und Politik, Juni bis Dezember 1942
(25) Zitiert nach: Blaschek, a.a.O., S. 19. Blaschek kennt die Aufforderung zu diesem Schreiben durch den Sicherheitsdienst nicht oder verschweigt sie.
(26) Allmende Nr. 64/65 Jahrgang 2000, S. 271ff
(27) Willi Ferdinand Fischer, A propos Hermann Burte. Erinnerungen und Gedanken, Lörrach 1979 (Broschüre, ohne Seitenzahlen), pag. 12ff
(28) Die Formulierung folgt Burte (1945), S. 3; er äußerte dort, dass er die Hoffnung gehabt hatte, dass die nationalsozialistische Revolution sich mäßigen und menschlicher werden möge.
(29) Walther Rathenau: Briefe. Teilband I: 1871 - 1913, S. 1196
(30) Hermann Burte: Mit Rathenau am Oberrhein. Heidelberg 1948
(31) Hermann-Burte-Archiv Maulburg. Tagebucheintrag am Eintrag am 14. 10. 1943
(32) Sieben Reden von Burte. Strassburg 1943, S. 173ff
(33) Der Geist und die nationalsozialistische Bewegung. Ein Versuch. (1945) (liegt in der Ausstellung aus.)
(34) Aufzeichnung Burtes von 1948 über W. Rathenau, Hermann-Burte-Archiv, Briefschachtel Rathenau
(35) Zitiert in: Walter Rathenau: Briefe. Teilband II: 1914 - 1922. Düsseldorf 2006, S. 1414f , verglichen mit der Kopie des Originals im Hermann Burte-Archiv, Briefschachten Rathenau
(36) Heidenreich: Der Burte – Neuvermessung des alemannischen Dichters, Redners und Malers Hermann Burte – Texte, Analysen, Gespräche. (Manuskript einer SWF-Radiosendung am 19. 11. 1978, wiederholt am 10. 2. 1979)
(37) Hermann Burte: Stirn unter Sternen. Gedichte. Offenburg 1957, S. 82
(38) Christian K. Polit: Burte: Ehrenbürgerschaft überdenken? Umfrage zur Haltung von Stadtoberhäuptern und Kommunalpolitikern in Landkreis. die-oberbadische.de, 30. 7. 2007
(39) Sieben Reden von Burte. Strassburg 1943, S. 89
(40) Das Dichter-Haltungs-Amt, 40 Strophen, in: "Der Markgräfler", 30. 9. 1930; leicht geändert abgedruckt in Hermann Burte: Anker am Rhein. Eine Auswahl neuer Gedichte. Leipzig 1938; 14 Strophen diese Fassung wiedergegeben in der Rede "Wesen und Wert des Dichters Grabbe"

(41) Bundesarchiv Berlin R 43 II/986/Fiche Nr. 4
(42) Gerd R. Ueberschär/Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt 1999
(43) Ueberschär/Vogel, S. 112 
(44) Ueberschär/Vogel, S. 75f
(45) Ueberschär/Vogel, S. 192
(46) Ueberschär und Vogel streiten S. 198f ab, dass eine Ablehnung eine Brüskierung bedeutet hätte. Sie schreiben zwar S. 88, es sei "kein Fall von Ablehnung einer Donation Hitlers zweifelsfrei dokumentiert". Andererseits schreiben sie S. 190, es sei "kein Fall bekannt, in dem die Ablehnung etwa zu Nachteilen für den Betroffenen geführt hat."  Wie kann es, wenn keine Ablehnung sicher belegt ist, die Aussage geben, dass Ablehnungen nicht zu Nachteilen führten? 
(47) Hermann-Burte-Archiv Maulburg, Tagebuch, Eintrag vom 15. 2. 1944
(48) Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Herausgegeben von Elke Fröhlich. 31 Bände, München 1993 - 2006, Teil I, Band 3/II, München 1966, S. 271f