Schwäbisch-Alemannische Demokratie
60 Jahre Aufruf und Programm von Otto Feger

Ein Staat der Alemannen nur für die Alemannen?

Afang 1946 isch im Otto Feger si "Schwäbisch-Alemannische Demokratie - Aufruf und Programm", e Wärk mit 239 Sitte, rüskumme. In däm Ufruef het dr Feger gforderet, ass mer e autonome alemannische Staat in Südweschte vu Ditschland soll grinde un so d Konsequänze üs Brejßetum un Faschismus soll ziäge. Dr Feger un si Brogramm hän sich nit kenne dursetze. S isch aber drwärt, ass es vu dr Alemanne im Gedächtnis bhalte wird, aü wämmer nit in jedem einzelne Punkt ka zustimme. Dr Harald Noth het im Feger sini Gedanke im AlemannenSpiegel 1996 vorgstellt, was jetz folgt, isch e unveränderete Abdruck vum 3. Deil.

Staatsbürgertum in Fegers Alemannien

 In der Frage des Staatsbürgertums rührte Feger, wie er selbst schreibt, "an ein heikles Kapitel". Die Ausgangslage war diese: "Der Südwesten ist gegenwärtig in hohem Masse Aufenthaltsort von Gästen aus anderen deutschen Stämmen und Landschaften. Schon vor dem Krieg haben sich aus den verschiedensten Gründen zahlreiche Norddeutsche und Ostdeutsche in Alemannien niedergelassen. Beamte kamen unter dem nivellierenden Einfluß des Dritten Reiches in erheblichem Umfang dazu; der Krieg hat große Massen an Evakuierten, später an Ostflüchtlingen gebracht, von denen nur ein Teil den Südwesten nicht als künftige Heimat ansah. Endlich suchten Rückwanderer aus aller Welt im sonnigen Südwesten Unterkunft und Nahrung."

 Feger nennt es eine Ehrenpflicht, diesen Gästen in schwierigen Zeiten Asyl zu bieten. "Aber es müßte zu unbestreitbaren Schwierigkeiten führen, wenn diese nicht aus dem Lande stammenden, vor allem die norddeutschen Gäste, Einfluß auf unsere politische Entwicklung nehmen wollten und würden. (...) Ein Staatsbürgerrecht, ein Stimm- und Mitspracherecht sei im Prinzip nur für diejenigen möglich, die das Bürgerrecht des Landes von Geburt haben oder es erwerben. Der Aufenthalt an einem Ort, ohne sonstige Beziehung zu seiner Kultur und Tradition, kann noch kein Bürgerrecht schaffen. Ein autonomes Alemannien ist nicht nur ein räumliches Gebilde, sondern gleichzeitig der Staat der Alemannen. (...) Einbürgerungen werden immer unter gewissen Kautelen möglich und notwendig werden. Aber es ist zu verhindern, daß Strömungen auf unsere künftige Politik Einfluß nehmen, die nicht unsere sind."

 Nähere Angaben, um welche Kautelen, um welche Sicherheitsklauseln es sich bei der Einbürgerung handeln solle, macht Feger leider nicht.

Wenn das Ansinnen eines autonomen Alemanniens als Hochverrat angesehen wurde, so mußten diese Ansichten Fegers über die Staatsbürgerschaft vom Norden aus gesehen noch als eine Potenzierung des Verrats erscheinen. Im Süden hingegen wird manch einer Feger gut verstanden haben. Nicht so der in Freiburg i. Br. lehrende Historiker Elmar Krautkrämer: er stand offenbar auch 1988 noch so sehr unter dem Schock dieses "Verrats", daß er - falsch - behauptete, nach Feger hätten die Nord- und Ostdeutschen "kein Wohnrecht" erhalten sollen (Wohnrecht und Staatsbürgerrecht sind jedoch zweierlei Paar Stiefel).

Vor einem ähnlichen Problem stehen heute die am Rande liegenden Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Sie haben zum Teil starke russische Minderheiten oder gar Mehrheiten, welche gewillt und in der Lage sind, das Heft in der Hand zu behalten oder es wieder zu erlangen. Die Russen sind es gewohnt und sind befähigt, zu herrschen; Bescheidenheit, Zurückhaltung, Anpassungslust sind Eigenschaften, die sie in ihrer Geschichte im Bezug auf andere Nationen nie lernen mußten. Auf der anderen Seite haben die ehemals abhängigen Nationen gerade die Bescheidenheit, die Selbstbeschränkung verinnerlicht; denkbar schlechte Voraussetzung, um bei Vorhandensein einer starken russischen Minderheit eine eigenständige Entwicklung durchzusetzen. Dessen sind sich zum Beispiel die Letten bewußt, sie verweigern den Russen das Staatsbürgerrecht, wie Feger es den Norddeutschen verweigern wollte.

 Man sieht den Dorn im Auge des anderen leichter als den Balken im eigenen. Daher mag es heute manchem Norddeutschen oder sonstigem Hochdeutschsprecher leichter fallen, die Letten zu verstehen als Feger. Um ihn zu verstehen, muß man die Verhältnisse von 1945 bedenken, nein, die Erfahrungen von 1740 über 1871 bis 1945.

 Fegers Angst war, daß es so ähnlich kommen würde, wie es tatsächlich kam: Heute haben wir im Südwesten halbwegs demokratische Verhältnisse; mit Baden-Württemberg haben wir ein Land, in dem die Alemannen und Schwaben den größten Volksteil stellen. Dennoch besteht, kulturell gesehen, in manchen Teilen Alemanniens eine Fremdherrschaft; die gebildete Schicht ist namentlich in Südbaden norddeutsch oder allgemeindeutsch; soweit ihr Alemannen angehören, sind sie meist verhochdeutscht, assimiliert. Es herrscht ein sehr tiefer kultureller Bruch; die anglisierte Medienkultur, die städtische Hochkultur, auch die Alternativszenenkultur hat kaum Ähnlichkeiten, Beziehungen und Überschneidungen mit der Kultur der Leute, die bodenständig sind und sich so fühlen; letzteres sind z. B. handwerkliche Schichten in der Stadt und natürlich ländliche Schichten. Wenn man deren Kultur "alemannische Kultur" nennen will, so muß man sagen, daß sie in ihrer Anziehungskraft auf die junge, moderne Generation hoffnungslos unterlegen ist, auch, weil sie kopflos ist. Die alemannischen Intellektuellen sagen sich nämlich in der Regel von der bodenständigen Kultur los und assimilieren sich in der Herrschaftsschicht - Voraussetzung, um an der Herrschaft teilhaben zu dürfen. Ein solches Problem existiert tendenziell auch in anderen Regionen Deutschlands; im badisch-alemannischen Gebiet tritt das Problem mit besonderer Schärfe hervor, weil das Alemannische aus dem öffentlichen Leben namentlich in Ballungsgebieten schon weitgehend verdrängt ist und weil der sprachliche Unterschied des Alemannischen zum Hochdeutschen größer ist als bei den meisten anderen Dialekten.

 Ausschluß der Fremden?

 Um eine solche Entwicklung in Alemannien zu verhindern, bedurfte es aber wohl keines rigiden Ausschlusses der Fremden, ein Verlangen, das man bei Feger wohl herauslesen muß.

 Es wäre kaum möglich und wünschenswert gewesen, einem beträchtlichen Bevölkerungsteil über Jahrzehnte die Möglichkeit der vollen Integration zu verwehren. Das war nicht vertretbar bei den Menschen, die schon länger zugewandert waren; es war auch nicht vertretbar bei Heimatvertriebenen, die nicht mehr zurückkehren durften. (Daß den Vertriebenen die Möglichkeit, zurückzukehren, für Jahrzehnte oder lebenslänglich verwehrt sein würde, war damals freilich noch nicht absehbar.)

 Was hätte es für Möglichkeiten gegeben? Es hätte ein "Jahr Null" bestimmt werden können, sagen wir 1933. Wer vorher eingewandert ist, hätte automatisch das Staatsbürgerrecht erhalten. Wer später zuwanderte, wäre als "Gast" zu betrachten gewesen. Die Kinder der "Gäste" hätten ohne Umschweife eingebürgert werden können; ihre kulturelle Integration hätte man der Schule und der Gesellschaft anvertrauen können. Die erwachsenen "Gäste", also meist Flüchtlinge, hätten nach einer bestimmten Zahl von Jahren eingebürgert werden können. Der neue Staat durfte und sollte zwar vor Unterwanderung durch zugewanderte (und einheimische) Nazis geschützt werden, dies wäre aber auch durch Berufsverbote und Vorenthaltung von Wahlrecht für Nazis erreichbar gewesen.

 Die Alemannen hätten so wenigstens ein paar Jahre Zeit gehabt, die Weichen ohne die Mitsprache des Hauptteils der Zuwanderer zu stellen. Die Zuwanderer hätten ein paar Jahre Zeit gehabt, sich mit den Verhältnissen vertraut zu machen und heimisch zu werden, bevor sie hätten mitentscheiden können. Diese Wartezeit wäre mancherorts mit Sicherheit als Zumutung, als Unverschämtheit seitens der Alemannen aufgefaßt worden. Die Alemannen sind hier anders, sie sind das veni, vidi, vici nicht gewohnt: Wenn ein Alemanne ins Ruhrgebiet oder nach Brandenburg gezogen wäre und fünf oder zehn Jahre lang nicht Vollbürger mit Wahlrecht und Beamtenstelle hätte sein können, hätte er das total normal gefunden.

Zusätzliche Sicherheit hätte durch die Zulassungsbedingungen für öffentliche Ämter geschaffen werden können. So hätte man von einem Politiker, einem Richter, einem hohen Beamten den Nachweis verlangen können, daß er sich mit der alemannischen Sprache und Kultur befaßt hat und sie versteht. Ein Rundfunksprecher oder ein Deutschlehrer hätte nicht nur die Mundarten Alemanniens verstehen sollen, er hätte neben dem Hochdeutschen auch selbst eine beherrschen sollen. Das ist das Natürlichste auf der Welt, hierzulande aber leider nicht selbstverständlich.

 Mit solchen Regelungen hätten die "Gäste" in den neuen Staat integriert werden können, ohne daß die Gefahr bestanden hätte, daß sie ihn übernehmen oder in die falsche Richtung drängen. Denn auch das Selbstbewußtsein der Alemannen wäre durch die Existenz des Staats als solcher und durch das Verlangen der Fremden, sich anzupassen, gestärkt gewesen. Das Selbstbewußtsein wäre die entscheidende Voraussetzung für die Alemannen gewesen, um Herr im eigenen Land zu sein. Ist auf der anderen Seite das Selbstvertrauen und die tatsächliche Leistung der Alemannen nicht da, dann nützen alle Regelungen nichts.

 "Wer von euch ohne Schuld ist ..."

 Mit seinen Vorschlägen zur Staatsbürgerschaft ist Otto Feger meines Erachtens weit über das Ziel geschossen. Programme sind eine Sache, ihre Realisierung eine andere. Der Ausschluß der Norddeutschen wäre wohl nicht zustande gekommen. Wenn es eine Entwicklung zu einem autonomen Alemannien gegeben hätte, hätte Feger sie nicht allein bestimmt. Andere alemannische Politiker und natürlich die Besatzungsmächte hätten mitgeredet. Feger hätte sich auch, wäre das Boot erst in Richtung Alemannien gefahren, humanistische Erwägungen gewiß nicht verschlossen, hat der Humanismus in Alemannien doch tiefe Wurzeln; Feger ist ihnen stark verbunden. Doch zunächst einmal stellt Feger seine Maximalforderung: "Man wird vielfach an unser mildes Herz appellieren. Wollen wir wirklich die armen Ausgewiesenen, die Flüchtlinge, die Heimatlosen, die Ausgebombten, die sich bei uns eine neue Heimat suchen, als Landesfremde betrachten? (...) Zunächst dürfen wir eines nicht vergessen: wir verdanken alles Leiden der Vergangenheit und der Gegenwart (...) ausschließlich und allein dem deutschen Norden und Osten. Sie haben uns mit ihren gewaltigen Mehrheiten den Hitlerismus aufgezwungen, gegen unseren Willen und gegen unseren Widerstand."

Die Worte "ausschließlich und allein" machen diese Aussage falsch, zumindest einseitig. Es stimmt zwar, daß die Mehrheiten des Nordens und Ostens den Hitlerismus gebracht haben. Es gab aber auch im Süden und Westen mehr oder weniger starke Minderheiten für Hitler. Für die Herausbildung einer Anhängerschaft Hitlers im Süden sind sicher die Verpreußung des Denkens und die Not mitverantwortlich. Wenn man die Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankens auch im Süden aber damit entschuldigt, muß man diese Entschuldigung auch im Norden und Osten gelten lassen. Dort war das Denken zehnmal verpreußt und es herrschte ebenfalls Not.

 Der Mensch ist an jedem Ort mit menschlichen Schwächen behaftet, sie wohnen in ihm innen. Sie werden begünstigt, verstärkt oder aber gemildert durch die Kultur des Systems. Das gilt für die Preußen wie für die Alemannen. Wohin einer geboren wird, was für Einflüsse ihn fördern oder hemmen, dafür kann keiner. Um aber sich unter einem bestimmten Einfluß gut verhalten zu können, muß man sittliche Werte verinnerlicht haben. Diese Werte müssen von der Gesellschaft gefördert und gefordert werden.

 Die sittlichen Werte, die von den Nazis zerstampft waren, neu zu verbreiten, stand ganz oben in Fegers Erziehungsprogramm. Den preußischen Untertanengeist zu werten, zu ächten, die preußische Überheblichkeit zu ächten, wäre in einem autonomen Alemannien tatsächlich nötig gewesen, in Worten und in Taten. Zugleich wäre es aber auch nötig gewesen, den Preußen als Mensch zu sehen. Der Witz ist, daß auch ein Preuße die Anlagen zum Guten besitzt; ein Alemanne auch die Anlagen zum Bösen. Wenn man das eine nicht sieht, kann man leicht auch das andere übersehen. Daraus kann dann alemannische Selbstgefälligkeit entstehen, geistiger Stillstand, Ersticken. Ein schlechtes Klima in einem neuen Staat.

 Fegers Programm hätte also einen Weg aufzeigen müssen, wie die "Gäste" Alemanniens integriert werden können, ohne daß Alemannien damit verpreußt wäre. Da eine Mitschuld des Südens am Krieg - und sei es nur die Schuld des gezwungenen Mitläufers - nicht zu leugnen ist, war es auch erforderlich, die Folgen mitzutragen, und dazu gehören auch die Flüchtlinge.

Erste Folge: "Schwäbisch-Alemannische Demokratie"

Zweite Folge: "Schwäbisch-Alemannische Demokratie und Europa"

Vierte Folge: "Fegers Alemannien-Plan - Widerstände und Scheitern".