Hermann Burte als Deutschnationaler
Bemerkungen im Wiltfeber-Jubiläumsjahr 2012

von Harald Noth


Im Januar 2012 jährt sich zum 100. Mal das Erscheinen des Romans „Wiltfeber, der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers“. Mit ihm erzielte der deutsche und alemannische Dichter Hermann Burte (1879 – 1960) seinen Durchbruch im deutschen Sprachraum. Das Buch erlebte bis 1940 die beachtliche Gesamtauflage von 74.000 Exemplaren.
Der „Wiltfeber“ war stark von Nietzsche inspiriert und enthält Sicht- und Sprechweisen der völkischen Bewegung, wurde aber weit über diese vielfältige Bewegung hinaus beachtet. Der Dichter erhielt für dieses Werk noch 1912 den Kleistpreis. Eines der Gründungsmitglieder der Kleiststiftung, der jüdischstämmige Industrielle und Schriftsteller Walther Rathenau, nahm persönlichen Kontakt mit dem Verfasser auf und nannte das Werk „ein starkes und stolzes Buch“
1. Der „Wiltfeber“ steht an der Wiege einer Freundschaft der beiden Männer.

1923 erschien Burtes alemannischer Gedichtband „Madlee“. Mit diesem Werk revolutionierte Burte die südwestdeutsche Mundartdichtung und wurde zum beliebtesten alemannischen Dichter des 20. Jahrhunderts. Er wurde von namhaften Zeitgenossen als ebenbürtig neben Johann Peter Hebel gestellt. Der 450-seitige Gedichtband erreichte bis 1974 vier Auflagen. Auch Burtes hochdeutsche Lyrik ist bedeutend und fand begeisterte Anerkennung etwa durch Rainer Maria Rilke. Der als Hermann Strübe in Maulburg geborene Dichter war auch Maler und verbrachte die längste Zeit seines Lebens in Lörrach.

Während seine Mundartdichtung unbeanstandet blieb, nahm die Kritik nach 1945 zunehmend Anstoß an den Sprechweisen und Bildern im Roman „Wiltfeber“ und interpretierte das Werk als antisemitisch. Burte selbst ließ sich Ende 1933 aufgrund dieses Romans als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus vereinnahmen und lieferte damit der Kritik nach 1945 eine Steilvorlage. Im Folgenden soll untersucht werden, ob die politische Tätigkeit Burtes vor 1933 geeignet ist, die Sicht der Wegbereiterschaft stützen. Es wird auch auf die Haltung Burtes im Jahr 1933 und danach eingegangen.

Der deutschnationale Herausgeber und Redakteur

Hermann Burte trat bereits vor dem Ersten Weltkrieg der Konservativen Partei Badens bei. Zu seinem politischen Denken gibt ein Brief an Walther Rathenau vom 3. Januar 1915 interessante Einblicke
2, es zeigt sich, dass er keineswegs ein Freund des Krieges ist, wie es moderne Interpreten des „Wiltfeber“ vermutet haben. 1919, wenige Monate nach der Gründung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), trat er dieser bei und blieb ihr Mitglied bis zur Auflösung im Juni 1933. Burte war ein wichtiger regionaler Repräsentant und häufiger Wahlredner der Deutschnationalen. Im April 1924 beteiligteDer Markgräfler, Zeitschrift sich der Lörracher Dichter an der Gründung der Zeitschrift „Der Markgräfler – Freie deutsche Zeitung für das schaffende Volk in Stadt und Land“, die bereits in ihrer ersten Ausgabe einen Wahlaufruf der DNVP brachte. Burte gehörte dann zu den Herausgebern des Halbmonatsblatts, wahrscheinlich hat er die meiste redaktionelle Arbeit geleistet. Der „Markgräfler“ war formal unabhängig, begleitete aber die Politik der DNVP wohlwollend und erklärend bis zu seiner Einstellung nach der Ausgabe vom 13. März 1932. Dabei wurde externen Autoren Raum gegeben; Burte selbst schrieb weniger zur Politik, und wenn, dann manchmal in gereimten Satiren. Er brachte sich vor allem im kulturellen Teil mit Gedichten und Besprechungen ein. Die letzte Nummer enthält Wahlaufrufe zur Reichspräsidentenwahl; darin wird Theodor Duesterberg unterstützt, der für die Deutschnationalen und den DNVP-nahen „Stahlhelm“ gegen die Kandidaten Hindenburg, Hitler und Thälmann ins Rennen ging.

Die Deutschnationalen standen der Weimarer Demokratie kritisch gegenüber. Ihr Ziel war jedoch nicht ihre Ersetzung durch eine nationalsozialistische Diktatur. Etwa im Wahlaufruf der DNVP aus dem Markgräfler vom 16. April 1924 wird gefordert: „Zurück zu den Grundlagen der deutschen Verfassung, wie sie Bismarck einst von Preußen aus schuf: Dem Reiche, was des Reiches ist, aber Eigenleben und Eigenverantwortung für Länder und Gemeinden. Fort mit der Alleinherrschaft des Parlaments.“ Die DNVP stand ein für einen „auf reines deutsches Volkstum gegründeten, christlichen, sozialen und monarchistischen Staat“, eine konstitutionelle Monarchie.

Für Hermann Burte hing das Wohl des Staates und der ganzen Gesellschaft von einer starken und weisen Staatsführung ab. Diese Sicht kommt in verschiedenen dichterischen Werken zum Ausdruck, so im Roman „Wiltfeber“. Engelbert Oeftering bemerkte 1926 zu Burtes Bühnenstücken: „’Der kranke König’, ‚Herzog Utz’, ‚Katte’ und ‚Warbeck’ (...) bilden eine innere Einheit, eine dichterisch vorgetragene Staatslehre vom starken Königtum (...).“
3

1929 und 1931 kam es zu Bündnissen rechtsgerichteter Organisationen, in denen sowohl die Nationalsozialisten als auch die Deutschnationalen vertreten waren. Burte war auch in dieser Zeit treuer Gefolgsmann der DNVP, setzte aber Hoffnung auf Hitler als Bündnispartner. Im zweiten Halbjahr 1929 kam es zu einem Bündnis „Volksbegehren gegen den Youngplan“, das sich gegen die Festlegung der Reparationszahlungen aus dem Versailler Vertrag richtete, die sich bis 1988 auf 115 Milliarden Reichsmark belaufen sollten.

In offener Feindschaft zu Hitler

Im Oktober 1931 fand das Treffen der „Harzburger Front“ statt – eine Großveranstaltung von DNVP, NSDAP und anderen Rechtsgruppen gegen die Regierung Brüning. Zur Enttäuschung Burtes kam es, als Hitler bei diesem Treffen am 11. des Monats die Bündnispartner durch selbstherrliches Auftreten brüskierte. Burte schrieb 1947 zur Zeit von 1929 bis 1931 über sich, den Deutschnationalen:
„In diesen Jahren wuchs die Bewegung Hitlers. Vieles an ihr gefiel mir, vieles stiess mich ab. Gut war die Absicht, der fürchterlichen Parteienwirtschaft ein Ende zu machen. Gut, dass man die Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer in eine Front bringen wollte. Gut, dass der Bauer als lebenswichtigster Stand anerkannt wurde; gut der unbedingt nationale Zug der Bewegung! Aber mir missfiel der Hochmut der Jugend, die Eitelkeit bei großer Unwissenheit einzelner Führer; die Unklarheit der äusseren Politik: überall war der entfesselte Dilettant am Ruder!
So konnte ich mich der Partei nicht anschliessen, und als in Folge des Harzburger Treffens ein Gegensatz zwischen Hitler und den Deutschnationalen entstand, schrieb ich ein Flugblatt, in dem ich Hitler mit Daubmann, einem Kriegsschwindler, verglich.
Die Folge war, dass die SA mich aufheben wollte; ich erfuhr es und ging für einige Zeit nach Basel; der Landrat Heussner konnte die Sache beilegen; aber die SA blieb mir feindlich gesinnt.“
4

Der DNVP-Repräsentant in Lörrach forderte nicht nur die Wut der örtlichen SA heraus, sondern auch die von Autoren des „Völkischen Beobachters“, des im München erscheinenden Zentralorgans der NSDAP, vom 18. November 1932. Dort hieß es: „Daß der Dichter des ‚Wiltfeber’ und ‚Katte’ sich heute im Dickicht autoritärer Phraseologie verfangen hat und sich nicht wiederzugebende Beschimpfungen des erwachten Deutschlands leistete (...), das ist eins der traurigsten Kapitel aus der jüngsten Vergangenheit, auf das wir in anderem Zusammenhang noch eingehend zu sprechen kommen müssen.“

Burtes Gegnerschaft zu Hitler wurde also auch auf nationaler Ebene registriert. Noch im Mai 1933 sahen die Männer, die in Berlin mit der Neuausrichtung der Dichterabteilung der Akademie der Künste beschäftigt waren, die Haltung Burtes als Problem an. Sie beschlossen, vor einer Aufnahme Burtes in die neue Akademie der Dichtung abzuklären, ob er seine „heftigen Angriffe gegen Hitler“
5 aufrechterhalte. Sie meinten, ein offen gegen Hitler agierender Mann in ihren Reihen würde ihnen schaden. Eine Aufnahme Burtes in die Akademie ist dann nie erfolgt.

Ein Brief Burtes an den Dichterkollegen Hans Grimm zeigt, dass er auch überregional gegen Hitler agitierte. Im Sommer 1932 war es in Preußen zu Koalitionsverhandlungen zwischen Zentrum und NSDAP gekommen, die allerdings scheiterten. Am 6. November 1932 wurde Hermann Göring mit den Stimmen von NSDAP und Zentrum zum Reichstagspräsident gewählt. Burte fürchtete den Zugang der Nationalsozialisten an die Macht mit Hilfe und an der Seite des Zentrums. Im Brief an Hans Grimm vom 4. November schreibt er:
„Das war ein guter deutscher Tag als ich erfuhr, daß Sie von Hitler sich geschieden haben! Ich habe wie Sie, nur früher, eine Zeit lang auf ihn gehofft, als Beweger und Entflammer. Seit ich ihn gehört habe, weiß ich, daß er zweiten Ranges, ein feindlich Geführter, ein Nachahmer und Mischmaschler ist. Seine Unterwerfung unter das Zentrum ist nicht aus parlamentarischer Taktik, sondern aus geistiger Verwandtschaft geschehen. Wenn der Faschismus die Herrschform des politischen Jesuitismus, der Bolschewismus die des Judaismus ist, so stellt der Hitlerismus eine sentimentale Mischung beider dar und ist als Bastardform lebensunfähig und unzeugerisch. ‚Der Staat bin ich’ des vierzehnten Ludwig war sinnvoll im Vergleich mit dem eiteln Tenorwahn des Hitlerschen ‚Das Volk bin ich!’ (...) Daß die schwarzbraune Liga die größte Gefahr für das evangelische Deutschland seit 1629 ist, weiß ich. Deshalb grüße ich Sie als einen, der frei geworden ist von einer Art Seuche.“
6

Die kraftvoll wachsende nationalsozialistische Bewegung schied die Geister auch im Umkreis der DNVP. Die Deutschnationalen hatten die längste Zeit in den 20er Jahren die Hitlerbewegung als Enfant terrible in den Reihen der Rechten betrachtet und sie ignoriert. Unter den Mitarbeitern des „Markgräfler“ scheint es nun aber zum Streit über die Haltung des Blattes zu Hitler gekommen zu sein und die Einstellung der Zeitschrift nach der Nummer vom 13. März 1932 dürfte damit zu tun haben.
Einer der externen Mitarbeiter war Ludwig Brehm gewesen. Am 2. April 1932 forderte er in einem Brief Burte auf, „bei der zweiten Reichstagswahl
7 für Hitler einzutreten.“ Burte antwortete nicht. In einem Brief am 12. November 19328 äußert Brehm die Vermutung, dass Burtes inzwischen mehrmonatiges Schweigen auf sein Verlangen, für Hitler einzutreten, zurückzuführen sei.

In den zwei Jahren vor dem Machtantritt Hitlers musste Burte erleben, wie rings um ihn „immer mehr Freunde und ehrenwerte Männer sich der Partei anschlossen“
9. Neben „evangelischen Geistlichen meines Heimatlandes“ waren das auch „Bürgermeister, Bauern, Geschäftsleute, Arbeiter, die Alle mit Kopfschütteln mir sagten: Wie kannst du nur so nebenan stehen? Gerade solche Leute brauchen wir.“ An der Parteifrage zerbrach auch die „wahre geistige Freundschaft“ Burtes mit dem oben zitierten Karl Berger, einem namhaften Schiller-Biographen. Berger hatte verschiedentlich im „Markgräfler“ publiziert, trat aber 1931 in die Partei ein. Burte erinnert sich 1945: „Es war für mich schmerzlich, dass ein so verehrter, bedeutender Mann, wie es Berger war, mir mein Fernbleiben von der Partei persönlich übel nahm und in der Parteizeitung schreiben ließ, ich hätte zwar viel Talent, aber keinen Charakter.“ 10

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. DieTagebucheintrag Burtes am 30. 1. 1933 Nationalsozialisten stellten ein Drittel der Reichstagsabgeordneten, Hitler war mithin Chef der größten Fraktion. Die Nationalsozialisten stellten in Hitlers Regierung nur drei Minister, zwei die DNVP, einen der „Stahlhelm“ und fünf weitere waren parteilose Konservative. Man glaubte weithin, den radikalen Führer in dieser Koalition zähmen und demontieren zu können. Die NSDAP sollte in der Regierungsverantwortung abwirtschaften und entzaubert werden, wie es zuvor auch den demokratischen Parteien geschehen war. Die Beteiligung der DNVP an der Hitler-Regierung geschah natürlich nicht mit dem Wunsch, politischen Selbstmord zu begehen. Eine Koalition unter Beteiligung von NSDAP und DNVP bedeutete so wenig Einigkeit über den zu gehenden Weg und das Ziel wie es in einer modernen Regierungskoalition der Fall ist. 
Hermann Burte war über diese Entwicklung nicht glücklich; er vergleicht in einem Tagebucheintrag die Ernennung Hitlers mit der Besiegung Deutschlands im Krieg; die Sieger im Ersten Weltkrieg und Hitler sind ihm dasselbe: „Rom“. Er blieb 1933 noch bis zur Auflösung der DNVP Vorsitzender ihres Kreisvereins Lörrach. Sein Brief an den Lörracher Kreisführer des „Stahlhelm“, Hans Schwärzel, zeigt, dass ihm immer noch der Ruf des Nazigegners vorauseilte, und zwar mehr, als ihm lieb war bzw. als ungefährlich erschien. Er dementierte am 3. März 1933 in diesem Brief
11 nämlich das Gerücht, in einer Ansprache eine Wendung wie „Die Nationalsozialisten sind verkappte Bolschewiken“ gebraucht zu haben. Diese angebliche Wendung Burtes war von einer nichtöffentlichen Versammlung des „Stahlhelm“ nach außen gedrungen. Diente dieses Dementi dazu, Schwärzel zu entlasten? Dieser war „gleich nach der Machtübernahme verhaftet worden“ 12. Nicht dementiert hat Burte den naheliegenden Verdacht, in der Versammlung gegen die Nationalsozialisten gesprochen zu haben.

Innere Vorbehalte im neuen Reich

Nach der Reichstagswahl am 5. März und dem 4. Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 konnte das Regime Hitlers, mithin die nationalsozialistische Diktatur, als endgültig etabliert und gesichert angesehen werden. Dem Ermächtigungsgesetz hatten alle Reichstagsparteien außer der SPD zugestimmt; die KPD-Fraktion war bereits ausgeschaltet. Eine letzte Gefahr drohte Hitler aber noch, sie spitzte sich zum Juni 1934 zu. Der Führer meisterte sie mit unvorstellbarer Brutalität. Seiner Skrupellosigkeit sollte auch ein Mann zum Opfer fallen, der Briefpartner und ein Stück weit Gleichgesinnter Hermann Burtes war.
Anfang Juni 1933 las der Lörracher Dichter und Maler in den "Schweizerischen Monatsheften" den „Bericht aus dem Deutschen Reiche“
13 von Edgar Julius Jung. Der Rechtsanwalt Jung, einer der führenden Köpfe der „Konservativen Revolution“, nahm hier, wie er selbst bemerkt, „für die geistigen Kräfte Stellung (...) gegen den würdelosen Kotau vor dem Nationalsozialismus“ 14. Am 7. Juni 1932 bekundete ihm Burte in einem Brief „begeisterte Zustimmung“ 15. In seiner Antwort an Burte wertet Jung dessen Brief16 als Beweis, „dass die Wahrung der geistigen Position gegenüber der erfolgreichen Massenbewegung ein Unterfangen ist, das noch Resonanz findet“ 17.
In dieser Antwort vom 11. Juni 1932, die er „in Verehrung und Wertschätzung“ an Burte schickte, zeigte sich Jung bereits als der Geist, der zwei Jahre später als Märtyrer des Konservativismus in die Geschichte eingehen sollte. Er schreibt an Burte mit größerer Offenheit, als es in seinen Artikeln in den "Schweizerischen Monatsheften" und in der "Deutschen Rundschau" möglich war: „Mir wird immer klarer, dass das Führerprinzip des Nationalsozialismus, das ich noch vor Jahren fälschlicherweise für die Morgenröte einer neuen Zeit hielt, sein Verhängnis wird.“ Das „Unfehlbarkeitsprinzip Hitlers und seines Kreises“ halte „systematisch die deutsche Geistigkeit von der politischen Entwicklung fern. Es besteht deshalb die Befürchtung, dass die Bewegung keinen organischen, sondern einen katastrophalen Verlauf nehmen wird.“
Im April 1933 wandte sich Burte erneut an Jung.
18 Dieser war inzwischen Privatsekretär des Vizekanzlers Franz von Papen geworden und dankte Burte am 25. April des Monats für seine „liebenswürdige Karte, die einer von hunderten Beweisen dafür ist, dass die geistigen Kräfte im Land in geschlossener Abwehr dessen, was aus der deutschen Revolution zu werden droht, zusammenstehen.“ 19

Jung erwähnt in diesem Brief, dass die Reden von Papens aus seiner Feder stammen. Ein gutes Jahr später sollte er auch die epochale „Marburger Rede“ schreiben, die Papen am 17. Juni 1934 in der Universität hielt. Sie kritisierte u.a. „das Gewaltregime und den ungezügelten Radikalismus der nationalsozialistischen Revolution, wandte sich mit Schärfe gegen den unwürdigen Byzantinismus und (...) den ‚widernatürlichen Totalitätsanspruch’“
20.
Diese Rede „sollte wie ein Zeitzünder wirken“
21, der Kreis um Jung erhoffte sich, dass der Reichpräsident von Hindenburg die Reichswehr veranlassen würde, die SS zu entmachten22 und die nationalsozialistische Revolution zu zügeln. Doch dem Regime gelang es, die Verbreitung der Rede in den Medien weitgehend zu verhindern. Hitler war außer sich; am 26. Juni 1934 befahl er die Verhaftung Jungs23, vier Tage später fiel der Redenschreiber einer „Mordaktion“ zum Opfer, die zunächst der SA-Führung galt, die aber von Göring und Himmler „weit über den Kreis der ‚Röhmputschisten’ hinaus erweitert wurde“ 24. Es wurden auch Konservative – unter ihnen Edgar Julius Jung – und andere missliebige Personen des politischen Lebens umgebracht. Die Reaktion Burtes auf diesen Mord ist nicht bekannt. Sicher ist, dass Jung und Burte sich im April 1933 noch gegenseitig als geistig nahestehend betrachteten.

Dass Hermann Burte Mitte 1933 noch in geistiger Abwehr zu dieser Revolution stand, zeigt auch sein Brief an Nohl vom 12. Juni. Hier übt der Verfasser des "Wiltfeber", über die Bücherverbrennung in Karlsruhe sinnierend, bezüglich der „sog. nationalen Revolution“ die vernichtende Kritik: „Was aus der Materie kommt ist Dreck und geht zum Dreck zurück.“ Aber er hält die nationalsozialistische Revolution nicht nur für „Dreck“, sondern sagt auch ihr Ende voraus: „An den sechstausend Jahren gemessen, in deren Lauf Gottes Wort sich als wahr erwies, ist die jetzige Bewegung in Deutschland nur eine Episode. Die Deutschen haben völlig die Kampfmethoden ihrer Todfeinde – Todfeinde im Wesen – angenommen.“
25
Der Adressat dieser Worte, Hermann Nohl, war ein ehemaliger deutschnationalen Parteifreund.

Magdalena Neff, die Lebensgefährtin des älteren Burte, vertrat in einem Brief an den Literaturkritiker Manfred Bosch am 30. Juni 1988 die Meinung, Burte habe seine „kritische Haltung“ zu Hitler „sicher bis 1935 beibehalten, denn er schrieb z.B. noch am 15. 9. 1935 einem Lörracher Freund, der als Angehöriger des ‚Stahlhelm’ gleich nach der Machtübernahme verhaftet worden war, folgendes Gedicht:

In diesen bösen Tagen,
mein deutscher Kamerad!
Was willst du machen?

Ich will die Wahrheit sagen,
die Wahrheit fadengrad –
und hell des Teufels lachen!

Für Hans Schwärzel, den nationalen Kämpfer und Kameraden,
Hermann Burte
am 15. September 1935.“
26

„Wir Jungen und Burte“ – der Dichter wird zur Rede gestellt

Die Nationalsozialisten waren klug genug, um zu versuchen, den beliebten deutschen und alemannischen Dichter auf ihre Seite zu ziehen. Hier tat sich die nationalsozialistische Tageszeitung „Der Führer“ in Karlsruhe besonders hervor. Sie stellte am 16. November 1933 Burte öffentlich zur Rede. Die Feder führte Max Dufner-Greif, der einige Jahre lang Burtes „Markgräfler“ mit eigenen Gedichten und Artikeln beliefert hatte, die teilweise politisch gewesen waren, aber keine Bekenntnisse zur nationalsozialistischen Bewegung enthalten hatten.

In den „offenen Worten“ Dufner-Greifs wird Burtes Roman „Wiltfeber“ von 1912 als eine seherische Tat gewürdigt. Er behauptet über Burte und den Wiltfeber-Ausgabe von 1912 „Wiltfeber“, er stelle gegen „die liberale Demokratie und ihre Drahtzieher“ sein „unbedingtes Herrenmenschentum aus nordischem Geblüt, das nichts Heiligeres kennt als den Befehl, womit er gleich einem Fanfarenstoß die Ankunft des völkischen Führers voraussagt.“
Burte verband mit den von ihm 1912 verwendeten Bildern und Begriffen jedoch andere Inhalte, als sie von Dufner-Greif nun suggeriert wurden. Er hatte zwar den Satz: „Das Beste auf der Welt ist der Befehl!“ seinem Romanhelden in den Mund gelegt. Seinen Kritikern antwortete Burte aber noch 1959, im Jahr vor seinem Tod: „Natürlich ist hier unter dem Wort: Befehl der geistige Impuls verstanden, den Denker und geistige Führer in die Menschheit rufen: Plato, Bacon, Kant, Schopenhauer. Mit dem militärischen Befehle haben diese geistigen Offenbarungen nichts zu tun. Es ist also unsinnig und bösartig, diesen Satz mit irgendeiner militärischen Aktion des Krieges zu verbinden.“
27
Auch dass Burte seinen Romanhelden einen „völkischen Führer“ ersehnen ließ, trifft zu, doch hatte ein „Führer“ in Burtes Gedankenwelt 1911 nichts mit dem frustrierten Kunstmaler zu tun, den er 20 Jahre später für einen Schwindler und Dilettanten hielt, als er die zweitstärkste und bald stärkste Reichstagspartei führte und legal die Macht eroberte. Karl Berger schrieb 1929 in einer Besprechung von Burtes Werk: „In Bismarck, mit dem sich Burte lebenslang gründlich beschäftigt hat, offenbarte sich ihm das Wesen des Führertums (...).“
28
Dufner-Greif verlangte von Burte im „Führer“ jedenfalls ein „unbedingtes und offenes Bekenntnis“ zum „Wollen“ der [nationalsozialistischen] Jugend, „... lieber sollen die Schwerter der Entscheidung klirren, als daß es bei der gegenwärtigen Dumpfheit bleibt.“ Den Drohungen und Schmeicheleien in diesen „offenen Worten“ wurde noch durch Briefe Nachdruck verliehen, so von Helmut Hammer, Schriftleiter des „Führer“ und Kulturreferent an der Landesstelle Südwest des Reichsminsteriums für Volksaufklärung und Propaganda. Hammer schreibt an Burte, dass „wir Jungen (...) durch Ihren ‚Wiltfeber’ zu Nationalsozialisten geworden waren“. Auf Burtes Hitlergegnerschaft eingehend, fährt er fort: „Wir wissen aber, dass es nicht immer ein schlechter Beweggrund war, der die Geistigen in Deutschland von unserer Machtübernahme Schlimmes fürchten liess. Heute aber da das ganze deutsche Volk sich aufgrund der realen Entwicklung von der Berufenheit unseres Führers überzeugen liess, so hoffen auch wir noch einmal, dass gerade auch ein Burte sich dem nicht verschließen wird. (...) Wir Jungen können es wirklich nicht ertragen, den, der uns einst auf diesen Weg lenkte, vielleicht noch abseits stehend vermuten zu müssen. Wir wollen ihn wieder ganz lieben oder ganz hassen.“
29

Zumindest der 42jährige badische Dichter Dufner-Greif dürfte den „Wiltfeber“ schon vor vielen Jahren gelesen haben und müsste daraufhin Nationalsozialist geworden sein. Es fragt sich dann, warum er sich im „Markgräfler“ nie als Nationalsozialist bekannte. Durfte er nicht? Oder ist es vielleicht so, dass erst Hitlers aktuelle Propaganda, sein Charisma, seine siegreiche Bewegung und weitere Einflüsse ihn, Hammer und die anderen „Jungen“ zum Nationalsozialisten gemacht haben?

In seiner Antwort an den „Führer“, abgedrukt am 26. November 1933, erklärt sich Burte mit der Zuschreibung einverstanden, die Max Dufner-Greif der Wirkung des Romans „Wiltfeber“ macht: „Unzählige Menschen haben mir gesagt und geschrieben
30, daß der „Wiltfeber“ sie zu Kämpfern des Dritten Reiches gemacht hat. Auch Sie bestätigen es.“
Abschließend erklärt Burte: „Ich bekenne mich aus dem selben Grund zur Jugend unter dem Hakenkreuz, aus dem ich einst das zeitgemäße Wesen verwarf: aus der bedachten und beseelten Anschauung heraus. Wie sie aussehen, ist so wichtig, als wie sie aussagen. Und gut sehen sie aus!“
Ob er neben dem Aussehen auch die Aussagen der jungen Nationalsozialisten gut findet, schreibt Burte nicht. Doch „Der Führer“ gab sich mit der Erklärung zufrieden. Am 1. Dezember 1933 schrieb Max Dufner-Greif im „Führer“ in einer abschließenden Notitz zu „Burtes Bekenntnis“: „Burtes Stellung war bei vielen Nationalsozialisten eine fast unmögliche geworden; jetzt ist der Handschlag der Versöhnung getauscht.“

Dass Hermann Burte sich nun öffentlich mit seinen einstigen Gegnern einigte, ist wenig überraschend. Niemand wusste und nur wenige ahnten damals,Friedenspropaganda 1933. Fotomontage: Albärt (= Harald Noth) dass Hitler Deutschland in einen mörderischen und selbstmörderischen Weltkrieg führen und Millionen Juden umbringen lassen würde. Die nationalsozialistische Presse war gerade 1933 voll mit Friedenspropaganda. Bevor Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, war Deutschland wirtschaftlich am Ende gewesen, in politische Kämpfe bis aufs Messer zerrissen und unregierbar geworden. Das Regime war nun, im November 1933, gefestigt, das Land für die Masse befriedet (was für eine kleine Minderheit jedoch den „Frieden“ der „Schutzhaft“ und des KZs bedeutete), Wirtschaft und Broterwerb liefen wieder an. Jeder Dichter stand vor der Wahl, ins Private oder ins Exil zu gehen oder aber zu versuchen, öffentlich zu bleiben und die Weichen mitzustellen. Es schien damals noch keineswegs sicher, in welche Richtung genau die Titanic sich bewegen würde und welches Schicksal ihrer harrte.
Burte wollte mit dabei sein. In seiner Antwort an das Kampfblatt „Der Führer“ schrieb er: „Niemals habe ich mich in den Grundanschauungen geändert. Ich habe nach der großen Umwälzung geschwiegen, das ist alles. Ich erkannte, daß nun, nachdem die ungeheure Tat gelungen war, nachdem die Macht in die Hände des Führers kam, und das außerordentlichste Vertrauen ihn trägt, das Werk beginnen müsse: der Bau des Dritten Reiches als eines Kunstwerkes. Jetzt gilt es, vom Tun zum Sein, von der Geste zum Wesen, von Gewaltsamen zum Gewaltigen fortzuschreiten!“
Er wird versuchen, weiterhin deutschnationale Akzente zu setzen – nur so konnte nach seiner Auffassung das Reich ein „Kunstwerk“ werden. Dass Burte Hitler und seine Bewegung als proletenhaft ansah, ist sicher und dass ohne Korrektur und Wendung kein „Kunstwerk“ entstehen würde, war klar – er wie andere versuchten daher, positiv mitzugestalten. Dass Burte der Vereinnahmung seines „Wiltfeber“ durch Nationalsozialisten zustimmte, war taktisch klug, wenn er weiterhin wirksam bleiben wollte. In totalitären Systemen gehört es zum Einmaleins wirksamer und langfristiger oppositioneller Arbeit oder, wie im Fall Burtes, auch nur gradueller und partieller Widersetzlichkeit, dass man nicht durch demonstratives Dagegenhalten auffallen darf. Man muss seine Einwände in die Worte des Systems kleiden. Und es wäre da auch falsch, Meriten, die man zugeschrieben bekommt, auszuschlagen.

Der „alemannische Spießer“ marschiert mit

Weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik war es um die Lebenssicherung des Dichters und Malers gut gestanden, er reflektiert dies in seinem „Bekenntnis“ wie folgt: „Das Behagen im Alltag eines Dichters, dessen Stücke in seinem Heimatlande nicht aufgeführt werden, dessen Bücher keine Marktware sind, dessen unbekümmertes und unverbindliches Wesen ihn leicht der Verleumdung ausliefert, ist verdammt gering, und von jenem Genießen, das gemein macht, durch Sorge und Trauer gefeit.“ Der Friedensschluss mit dem Karlsruher „Führer“ eröffnete ihm die Möglichkeit, auch im nationalsozialistischen Staat öffentlich aufzutreten, seine Werke zu verkaufen und in Reden und Ausstellungen zu bewerben.
Tatsächlich verkaufte sich der Roman „Wiltfeber“, der schon zuvor beliebt gewesen war, im Dritten Reich bestens, seine älteren Stücke „Katte“ (1914) und „Herzog Utz“ (1914; jetzt überarbeitet und unbenannt in „Herzog und Henker“) kamen häufig auf die Bühne.

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels besuchte beide Stücke, doch es zeigte sich, dass er „keinen Geschmack“ an Burtes konservativer Ethik fand, die diese Bühnenwerke durchdringt. Am 1. Dezember 1936, nach dem Besuch des „Katte“, notierte Goebbels in sein Tagebuch: "Abends Deutsches Theater 'Katte' von Burte. Das Stück ist ein Attentat auf die Tränendrüsen. Zu sentimental. (...) Ich lerne Burte kennen. Keine Leuchte. Ein alemannischer Spießer."
31
Auch sein Urteil über Burtes „Herzog und Henker“ ein Dreivierteljahr später fiel vernichtend aus: „Das Stück ein unerträgliches Vers- und Wortgeklingel ohne Substanz in Problem und Haltung. Das Ganze uns weltenweit fern.“
32
Burtes religiöses Stück „Krist vor Gericht“ (1930) wurde von Goebbels verboten.
33
Sein Drama „Simson“ (1917) spielt in der Welt des Alten Testaments und hatte von vorneherein keine Chance, aufgeführt zu werden. Der Protagonist Simson war Jude und positiv dargestellt.
Reichsmarschall Hermann Göring, der Präsident des Preußischen Staatstheaters, geriet völlig aus dem Häuschen, als er den Text Burtes zur neuen Oper des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck las: "Habe soeben das Textbuch der zur Zeit aufgeführten Oper Schloß Durande gelesen es ist mir unfaßbar wie die Staatsoper diesen aufgelegten Bockmist aufführen konnte. Der Textdichter muß ein absolut Wahnsinniger sein. Jeder einzige, dem ich nur einige Zeilen vorgelesen habe verbittet sich das Weitere selbst zum Lachen, als absoluter Schwank ist es noch zu blöde.“
34
Der Schweizer Botschafter in Berlin, Hans Fröhlicher, notierte am 1. April 1943, wie die Premiere auf ihn gewirkt hatte; das Libretto dürfte auf Göring einen ähnlichen Eindruck gemacht haben: „Das Stück mit dem tragischen Ausgang, der Zerstörung des Alten, der Angehörigen, des vermeintlichen Gegners, aus totalem Ehrgefühl, aus krankhafter Übersteigerung an sich guter Eigenschaften, also die Katastrophe der Totalität, sie ist ein Spiegel von dem, was heute in Deutschland geschieht.“
35
„Das Schloß Dürande“ wurde bald nach Görings Wutausbruch abgesetzt.

Hochrangige Nationalsozialisten ließen sich also durch die neue braune Hülle Burtes nicht täuschen und hielten ihn für das, was er im Kern war: einen alten Deutschnationalen.

Dennoch versuchte man nicht ohne Erfolg, den beliebten Schriftsteller aus Baden in den Dienst des Regimes zu stellen. Das begann schon nach seiner „Erklärung“ und setzte sich unter anderem 1935 fort, als Reichsdramaturg Rainer Schlösser in Lörrach den Dichter zur Aufnahme in die Partei vorschlug und er 1936 tatsächlich beitrat. Burte wurde zu einem gefragten Redner, der nicht nur eigene Werke vortrug, sondern auch andere Dichter wie Hebel, Goethe, Schiller, Scheffel, Hölderlin, Adolf Bartels und Börries von Münchhausen würdigte und zu Themen von Literatur und Kunst sprach. Seine Vorträge zeichneten sich durch zwei Eigenheiten aus: Sie zollten Hilter (nicht aber der Partei!) verbalen Tribut. Aber sie stellten die Dinge in der eigenen Sicht dar, die oft nicht auf, sondern neben der Linie der Partei lag. Fast unverkappten Widerspruch Burtes wie in seinem Gedicht „Hebel rassisch!“
36 finden wir jedoch selten – in diesen 252 alemannischen Verszeilen nahm Burte die nationalsozialistische Rassenlehre auf den Arm.

Wenn auch nicht immer im Tritt marschierte Hermann Burte doch mit und gab sich auch selbst als Nationalsozialist. Namentlich während des Krieges erschien ihm das Mitmarschieren als vaterländische Pflicht. In der Stunde der Not verlässt ein Burte nicht das schlingernde, ja, nicht einmal das sinkende Schiff. Dennoch scheint es bei ihm auch Momente der Katerstimmung gegeben zu haben, so am 26. Mai 1942, als er in sein Tagebuch eintrug: "Es ist verderblich, wenn alle paar Wochen ein Vortrag von mir verlangt wird, dessen Thema ich nicht besitze, sondern mir erst durch die Lese von Vorträgen meiner Vorgänger notdürftig erwerben muss - mich in Ruhe zu lassen, wäre die beste Politik des Dritten Reiches, aber viel zu gescheit, um geübt zu werden!“
37
Am 14. Oktober 1943 vertraute er seinem Tagebuch an: „Ich überlege mir heute, ob es nicht für mich das einzig Richtige wäre, mich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, weder zu sprechen als Redner, noch im Rundfunk, sondern nur zu schreiben, zu schreiben, zu schreiben mit dem Ziel: Sieg des deutschen Geistes ohne Waffen nach der Art der Schweiz: Deutschland die grössere Schweiz Europas, ohne Aggression: Das ewige Misslingen der Deutschen in der Politik, dieser Kunst, Erfolg zu haben, muss auf angeborenen Fehlern, Mängeln, Eigenschaften beruhen. Denn einmal müsste die Überlegenheit, falls sie vorhanden wäre, sich offenbaren. Tausend Jahre lang, von Karl dem Grossen zu Franz dem Kleinen ist unsere Geschichte von einer erstickenden Talentlosigkeit. Fast alle Fehler aller verflossenen Fürsten haben sich in wenigen Jahren unter – zusammengeballt: Es wird in der Tat genau das Gegenteil dessen erreicht, was man als Ziel angegeben hatte.“
38

Anlässlich seines 60. Geburtstags 1939 schenkten ihm auch Parteikreise viel Aufmerksamkeit; jener Max Dufner-Greif, der ihn 1933 drohend zur Rede gestellt hatte, brachte eine Monographie mit dem Titel „Der Wiltfeberdeutsche Hermann Burte“ heraus. Jetzt sieht Dufner-Greif Burte sehr wohlwollend: Wie es die politische Korrektheit erforderte, wird etwa seine 13-jährige Mitgliedschaft und Betätigung in der DNVP und seine scharfe Gegnerschaft zu Hitler in den entscheidenden Monaten vor der Machtergreifung verschwiegen und in seine Freundschaft mit Walther Rathenau wird jetzt eine untergründige Feindschaft hineininterpretiert. Doch im großen Ganzen gibt Dufner-Greif die Werke Burtes, auch die, die Goebbels nachweislich missfallen haben, erkennbar wieder. Was nicht passt, wird passend gemacht. Etwa bezüglich des Schauspiels „Simson“ spielt Dufner-Greif den Fakt des positiv dargestellten jüdischen Protagonisten herunter.

Max Dufner-Greif und Helmut Hammer hatten im November 1933 noch lobend behauptet, Burtes „Wiltfeber“ habe sie zu Nationalsozialisten gemacht; nach 1945 wurde solcherart Lob von der Kritik als Beweis ihrer Anklage herangezogen.
1933 war Dufner-Greif dem unbotmäßigen völkischen Dichter Burte als medialer Vertreter des zum Sieg gelangten Nationalsozialismus mit der Peitsche in der Hand gegenüber gestanden und hatte ihm eine Brücke aus Zucker gebaut. 1939 hatte sich der renitente Deutschnationale längst gefügt und sein Widersacher hatte sich zu seinem Hagiographen gewandelt. Die Frage, ob Hermann Burte mit seinem „Wiltfeber“ ein „geistiger Wegbereiter des Dritten Reiches“ war, kann jedoch nicht aus einer Polemik im Jahr 1933 und einer Hagiographie von 1939 beantwortet werden. Ein Nachweis müsste anhand von Quellen vor 1933 über die Reflexion und Wirkung des Buches in der entstehenden und wachsenden nationalsozialistischen Bewegung geführt werden. Und der Roman selbst müsste einer umfassenden inhaltlichen Betrachtung unterzogen werden, die über eine Skandalierung einzelner Zitate hinausgeht.

Hatte Hermann Burte sich Ende 1933 umbiegen und schließlich zu einem geachteten Mitläufer und Unterstützer des Systems machen lassen, so gab es 1945 keinen demonstrativen Umschwung des 66-jährigen Dichters, der alle Verfechter der neuen demokratischen Ordnung befriedigt hätte. Sein ehemaliger Herausforderer Max-Dufner-Greif zählte nach dem Krieg zu seinen Freunden. Feinfühligen Betrachtern wie Walter Franke entging die Weiterentwicklung des Dichters nach dem Krieg jedoch nicht. Er schrieb 1954 in der „Badischen Heimat“: „Die religiös-dramatische Spannung: Gott und Mensch, von Anbeginn in ihm angelegt und früh in seinem Werk zu ahnen und zu spüren, im Schicksal Simsons schon vorausgestaltet, sie wird im letzten der drei großen Gedichtbände Burtes
39 die eigentlich bewegende Mitte, zur ergreifenden und erschütternden Aussage des Menschen vor Gott.“ 40 Rupert Gießler, seinerzeit Chefredakteur der "Badischen Zeitung" und intimer Burte-Kenner, schloss 1960  seinen Nachruf auf den Dichter mit den Worten: „Schließlich war Burtes, des Heimatsuchers, Ziel im tiefsten immer die ewige Heimat.41 


Anmerkungen:

[1] Brief Rathenaus an Burte, 22. 3. 1912 in: Walther Rathenau - Briefe. 1871-1913 / 1914-1922 (2 Bände), hrsg. von Alexander Jaser, Clemens Picht und Ernst Schulin. Düsseldorf 2006, S. 1073
[2] Siehe dazu Harald Noth: Zu Burtes politischem Denken 1914/15 – Ein bemerkenswerten Brief von Hermann Burte an Walther Rathenau (http://www.noth.net/hermann-burte/burte-an-rathenau-kommentar.htm)
[3] W. Engelbert Oeftering: Hermann Burte, in: Die Schöne Literatur, Nr. 7, Juli 1926, 27. Jahrg., S. 291
[4] Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen. Schreibmaschinensatz (1947) S. 4, Hermann-Burte-Archiv (HBA) Maulburg
[5] Börries Freiherr von Münchhausen: Protokollniederschrift der Sitzung 14. Mai 1933, zit. nach Werner Mittenzwei, a. a. O., S. 253
[6] Brief Burte an H. Grimm, 4. 11. 1932, A: Grimm, Deutsches Literaturarchiv Marbach
[7] Gemeint ist: der zweite Wahlgang; der von der DNVP unterstützte Duesterberg schied aus.
[8] Briefkopie Brehm an Burte im Ordner Korrespondenz Kultur-Politik 1932, HBA, Maulburg. Brehm betont im Brief, dass er sich inzwischen von Hitler wieder abgewendet habe.
[9] Hermann Burte: Der Geist und die nationalsozialistische Partei. Ein Versuch. Schreibmaschinensatz, 1945, S. 5, HBA
[10] Ebenda
[11] Durchschlag des Briefs Burte an Schwärzel im Ordner Korrespondenz Kultur-Politik 1933, HBA
[12] Kopie des Briefs Magdalena Neff an Manfred Bosch, 30. 6. 1988, im HBA
[13] in: Schweizerische Monatshefte, 12. Jahrgang, Juni 1932, Heft 3, S. 158ff
[14] Brief Edgar Julius Jung an Rudolf Pechel, Bundesarchiv BArch N 1169 / 78
[15] Jung an Pechel über Burtes Brief, ebenda
[16] Die Schreiben Burtes an Edgar Julius Jung befinden sich nach Auskunft des Bayerischen Hauptstaatsarchivs vom 6. 10. 2011 nicht im Jung-Nachlass. Sie gehen aus den zwei Briefen Jungs an Burte und dem einen Brief an Pechel hervor.
[17] Brief Jung an Burte, 11. 6. 1932, HBA
[18] siehe Anmerkung 16
[19] Brief Jung an Burte, 25. 4. 1933, HBA
[20] Joachim C. Fest: Hitler. Eine Biographie. Frankfurt 1973, S. 631
[21] Edmund Forschbach: Edgar J. Jung. Ein konservativer Revolutionär - 30. Juli 1934, Pfullingen 1984, S. 113
[22] o.a.O., S. 122
[23] Joachim C. Fest, a.a.O., S. 632
[24] Joachim C. Fest, a.a.O., S. 638
[25] Briefkonzept Burte an Nohl, 12. 6. 1933, Ordner Korrespondenz Kultur-Politik 1933, HBA
[26] Kopie des Briefs Neff an Bosch, 30. 6. 1988, im HBA
[27] Hermann Burte: Antwort auf Schmähschriften, Schreibmaschinensatz 1959, (http://www.noth.net/hermann-burte/antwort-auf-schmaehschriften.htm)
[28] Karl Berger: Hermann Burtes Wesen und Werk, in: Die schöne Literatur, Heft 3, März 1929, 30. Jahrg., S. 99
[29] Brief Hammer an Burte, 18. 11 1933; dieser und die weiteren Briefe Hammers im Ordner Korrespondenz Kultur-Politik 1933, Hermann-Burte-Archiv Maulburg
[30] Die Jahrgänge 1932 und 33 der Ordner Korrespondenz Kultur und Politik im HBA weisen keine Schreiben dieses Inhalts auf.
[31] Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 3/II, München 1966, S. 271f
[32] Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 4, München 2000, S. 320
[33] Barbara Panse: Zeitgenössische Dramatik 1933-44. Autoren, Themen, Zensurpraxis. In: Theater im „Dritten Reich“: Theaterpolitik, Spielplanstruktur, NS-Dramatik. Henning Rischbieter (Hg.), Seelze-Velber 2000, S 544
[34] zit. nach Werner Vogel: Othmar Schoeck, Leben und Schaffen im Spiegel von Selbstzeugnissen und Zeitgenossenberichten. Zürich 1976, S. 257
[35] zit. nach Werner Vogel, a.a.O., S. 256
[36] Markgräfler Jahrbuch 1940/41. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft zur Pflege der Geschichte des Markgräflerlandes, Schopfheim, S. 168ff
[37] Tagebücher 1942, HBA
[38] Tagebücher 1943, HBA
[39] Gemeint ist „Das Heil im Geiste“ (1953), neben „Madlee“ (1923) und „Ursula“ (1930). Ein vierter großer Band folgte noch 1957: „Stirn unter Sternen“, in dem die von Franke festgestellte Tendenz weiter sichtbar ist.
[40] Walter Franke: Hermann Burte zum 75. Geburtstag. in: Badische Heimat, 34. Jahrgang. 1954. Heft 1, S. 3.

[41] Rupert Gießler: Hermann Burtes Werk. Zum Tode des alemannischen Dichters. Badische Zeitung, 24. 3. 1960; Auszüge hier.