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7. April 2019
Ein elsässischer Gottesdienst in den Vogesen

    Heute fand in Linthal - wissen Sie, wo das ist? - eine "Elsasser-Mass" statt,  also eine katholische Messe auf Elsässisch, so  zumindest die Ankündigung. Linthal (Elsässisch: Lentel) liegt in einem abgelegenen Vogesental hinter Guebwiller, wir brauchten eine Stunde Fahrt, um es von Kaiserstuhl über Breisach zu erreichen. Das Dorf hat heute etwas über 600 Einwohner. Die große Kirche war fast voll von Gläubigen und Freunden der alemannischen Sprache des Elsass nicht nur aus dem Oberelsass, sondern auch, wie die 67er Autonummern zeigten, noch von weiter hinunter. Père Albert [Ketterer], ein betagter geistlicher Herr, erklärte auf Dialekt, dass das seine erste elsässische Messe sei. Leider fuhr er danach gleich wieder auf Französisch fort - vielleicht auch besser so, denn sein und das Elsässische einzelner anderer Vorleser war durch die hallende Lautsprecheranlage noch schwerer zu verstehen als die Gebete in genormtem Französisch, die fast allen sehr geläufig sind. Wieder andere Redner, besonders Männer, waren erfahrener oder stimmgewaltiger; ihnen gelang es, die Lautsprecheranlage zu überlisten. Pfarrer Ketterer hätte gerade in der Predigt den alemannischen Dialekt seiner Heimat mehr einsetzen sollen. Er erzählte en français offenbar davon, wie er als Elsässerbub mühsam Französisch lernen musste, wie das Elsässische verboten war und er schlug dann, ich weiß nicht wie, den Bogen zum Evangelium, das von der Sünderin handelte, der Jesus verzieh und auf die nur derjenige den ersten Stein werfen sollte, der ohne Sünde ist.
    Begleitet wurde die Messe von der "Chorale de Linthal", dem örtlichen gemischten Chor, in dem sogar einige jüngere mitsangen - die Besucher der Messe waren sonst in aller Regel Ältere. Der Chor sang durchweg elsässisch, wobei dem Zuhörer das ausliegende Textblatt hilfreich war. Eine große Leistung auch in diesem Vogesental - über das noch größere Opus im nicht so fernen Vogesenort Masevaux berichtete ich vor einem Jahr.
    Wer den Zustand sowohl der Kirche als auch der Sprache auf einem Blick erkennen wollte, musste nur auf die Ministranten schauen - es waren drei Farbige unter ihnen. Ja, natürlich, der Noth mal wieder, werden jetzt einige sagen. Aber nein, wenn es neun Elsässer und drei farbige Kinder gewesen wären, wäre alles beim Bestem. Es waren aber nur zwei Weiße. Dass sich der Pfarrer in seinem hohen Alter erst auf die elsässische Sprache besinnt, nun, wo sie fast ausgelöscht ist, könnte einen traurig stimmen - jedoch bei der Denkweise von Jesus löst der verlorene Sohn, der, der spät, sehr spät erst zurückkehrt, die größte Freude aus. Und der elsässische Klerus, das sind echt verlorene Söhne. Nach der Rückeroberung der Elsass im Zweiten Weltkrieg, in den 1920er und 30er Jahren, als die Franzosen das Deutsche mit Zwang auszumerzen versuchten, war der Katholizismus das Bollwerk der standarddeutschen und elsässischen Kultur und Sprache gewesen; einer der Namen, die dafür stehen, war Joseph Rossé. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Kirche sprachlich gesehen mit den neuen, blau-weiß-roten Machthabern.
    In einem Jahr will Père Albert erneut eine Elsasser Mass machen. Ich bi gspanne un frai mi druf.