In seiner Rede 1940 in Straßburg verteidigte Hermann Burte die elsässische Mundart gegen Bemühungen der Nationalsozialisten, sie zurückzudrängen. Zugleich beschrieb er eine Rollenverteilung zwischen Dialekt und Standardsprache und warb für das Erlernen und den Gebrauch des Hochdeutschen im Elsaß.
Der folgende Artikel erschien erstmals in der Ausgabe 1/2 2013 des "Westen" (Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft "Der Westen", bestehend aus der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Erwin von Steinbachstiftung sowie der Erwin von Steinbach-Stiftung). Es folgt ein ungekürzter Nachdruck:
Hermann Burte (1879 - 1960) war von 1923 an der beliebteste unter den lebenden alemannischen Dichtern, er wurde nicht nur von deutschen, sondern auch von schweizerischen Rezensenten neben Johann Peter Hebel gestellt.
Zu seinen Verehrern gehörte auch der elässische, jüdischstämmige Dichter Nathan Katz. Dieser war Handelsreisender; Burte hatte ihm 1926 in Lörrach Kunden vermittelt, weiter ist überliefert: „... comme Hermann Burte était célibataire, il m’invitait, presque à chacun de mes passages, au Restaurant ‚Zum Hirschen’, où nous passions des soirées à parler de J. P. Hebel, de la langue alémanique ...“[1] Der Jungeselle Burte hat also bei fast jedem Aufenthalt Katzens in Lörrach mit diesem den Hirschen besucht und dort mit ihm über J. P. Hebel und die alemannische Sprache diskutiert. Burte beriet Katz auch dichterisch; der Elsässer gab es ab 1930 unter dem Einfluß von Burte auf, Hochdeutsch zu dichten und konzentrierte sich auf seine Stärke, die sich schon bisher gezeigt hatte: Das Dichten in der alemannischen Mundart des elsässischen Sundgaus.[2] Nathan Katz schrieb noch 1971 über Burte, für den er „immer eine aufrichtige Freundschaft“ hatte: „Er ist seit Hebel der bedeutendste und größte alemannische Dichter überhaupt.“[3] Die Fertigstellung des Manuskripts des bedeutendsten alemannischen Werks von Burte, des Gedichtsbands „Madlee“, jährt sich übrigens in diesem Jahre zum 100. Mal.
Die alemannische Dichtung Hermann Burtes gilt als unpolitisch. In den 1970er und 80er Jahren, wo Burte wegen seiner als reaktionär verschrienen hochdeutschen Dichtung und seiner Rolle im Dritten Reich zum alten und unverbesserlichen Nazi erklärt wurde, klammerten sich seine weniger werdenden Freunde an das alemannische Werk.
Dabei ist auch der größte Teil seines hochdeutschen Werks nach wie vor vorzeigbar. Daß der völkische Roman „Wiltfeber“ (1912) nicht so inquisitorisch interpretiert werden muß, wie es nach 1945 geschah, zeigen die Rezensionen vor 1933. In- und ausländische Medien nahmen den Roman 1912 begeistert auf, darunter die „Basler Nachrichten“[4] und der „Mercure de France“[5]. Andere Werke Burtes waren so offensichtlich neben einer NS-gefälligen Linie, daß sie nach 1933 quasi verboten waren. Dazu zählt das Drama „Simson“ (1917), die Erinnerungsschrift „Mit Rathenau am Oberrhein“, in der Burte seiner Freundschaft mit diesem jüdischen Politiker ein Denkmal gesetzt hatte und das Stück „Krist vor Gericht“. Goebbels verbot die Neuinszenierung dieses religiösen Schauspiels; schon die Uraufführung mußte 1930 in Basel geschehen; Burte hätte sie lieber auf einer Berliner Bühne gesehen, doch der Kulturbetrieb der Reichshauptstadt stellte zu Zeiten der Weimarer Republik für den deutschnationalen und religiösen Dichter einen abweisenden Boden dar. Auch „Das Schloß Dürande“, eine Oper des Schweizer Komponisten Otmar Schoeck, deren Text von Burte stammte und Hermann Göring in die Hände fiel, wurde 1943 nach einem Wutausbruch des Letzteren abgesetzt.[6]
Daß Teile von Burtes Werk im Nationalsozialismus auf Ablehnung stießen, kann niemanden überraschen, der weiß, daß Burte eben kein originärer Nazi, sondern Konservativer und Deutschnationaler war. Vor der Machtergreifung Hitlers spitzte sich nicht nur die politische Lage im Allgemeinen extrem zu, sondern auch die Widersprüche zwischen deutschen Patrioten, die sich der Kultur und dem Geist verpflichtet sahen auf der einen Seite und der proletenhaften nationalsozialistischen Bewegung auf der anderen Seite. Etliche der „Geistigen“ liefen zwar schon ins NS-Lager über, doch Burte polemisierte 1932 noch derart gegen die Nazis, daß ihm im Völkischen Beobachter gedroht wurde und er in Lörrach Nachstellungen seitens der SA ausgesetzt war.[7]
Freilich hielt Burte seine Reserve und zeitweise Widersetzlichkeit gegenüber den Nationalsozialisten im Dritten Reich nicht für jeden Nachgeborenen sichtbar durch. Er trat 1936 der Partei bei und betätigte sich im Krieg auch als Redner im Auftrag von Parteistellen; er glaubte, für sein Vaterland, das er im Überlebenskampf stehend sah, durch konstruktive Mitarbeit einstehen zu müssen. In diesen Reden sparte er meist nicht mit Lob auf Hitler, aber das war aufgesetzte oder eingewobene Panegyrik. Im eigentlichen Inhaltsteil der Reden lag er oft neben der Linie der Partei. Fast unverhohlenen Widerspruch, wie in seinem 63-strophigen alemannischen Gedicht „Hebel rassisch!“ (1939), finden wir bei Burte selten. Hier nimmt er die damaligen Rassekundler auf den Arm.[8] Wie war es bei seiner Rede in Straßburg?
Die von den Franzosen evakuierte, menschenleere Stadt wurde am 19. Juni 1940 von der Wehrmacht besetzt. Im November fanden dort bereits die „Oberrheinischen Kulturtage“ statt. Burte wurde von der „Abteilung Volksaufklärung und Propaganda“ der deutschen Zivilverwaltung im Elsaß zu einem Redebeitrag beauftragt. Sein Konzept scheint aber in der Propagandaabteilung keinen Gefallen gefunden zu haben, denn der Schrifttumsbeauftragte Schirpf schrieb an den Dichter:
„Sie hatten bereits die Freundlichkeit uns das Thema ‚Die alemannische Mundart’ vorzuschlagen. Da sich gerade in jüngerer Zeit im Elsaß Strömungen bemerkbar machen, die Mundart gegen das angestrebte Hochdeutsch unliebsam absetzen zu wollen, ist im Augenblick eine Zurückdämmung der unter anderen Blickpunkten berechtigten Betonung des Mundartlichen geboten. Der stellvertretende Gauleiter Pg. Röhn hat in diesem Zusammenhang vor wenigen Tagen sogar ein Rundschreiben erlassen, das die Tendenz der allzustarken Betonung des Mundartlichen parteiamtlich und sehr entschieden zurückweist. Pg. Schmid würde es daher begrüßen, wenn Sie sich, im Hinblick auf das Dargelegte, zu einem anderen Thema entschließen würden.“[9]
Das Vorhaben der „Zurückdämmung der ... Betonung des Mundartlichen“, mit dem der alemannische Dichter hier konfrontiert wurde, war keine Eintagsfliege in der turbulenten Zeit unmittelbar nach der Besetzung; in einem späteren Erlaß an das Unterrichtsministerium erklärt Gauleiter Wagner: „Der Entwicklung unseres Volkes zur einheitlichen Nation stehen zweifellos die Mundarten (Dialekte) im Wege. Es kann deshalb nur das Ziel des Reiches sein, die Einheit auch in der Sprache anzustreben.“ In einem Zusatz schreibt Wagner, die Hochsprache sei mit Geduld und Takt zu pflegen; es sei „so zu verfahren, daß jede Förderung der Mundarten unterbleibt.“[10]
Schirpf jedenfalls schlägt im Brief vom 1. November 1940 auch gleich ein Ersatzthema vor: „Tüllinger Höhe“ - das ist ein Hügel bei Lörrach in Sichtweite von Basel und Saint Louis. Doch Burte beharrte in seiner Antwort an Schirpf darauf, zum geplanten Thema zu sprechen und führte ins Feld, daß er vor wenigen Tagen in Weimar zu den deutschen Dichtern über „Die europäische Sendung der deutschen Dichtung“ gesprochen habe, ein „viel schwierigeres Thema“, und der Erfolg sei „ganz außerordentlich“ gewesen. Damit signalisierte Burte dem Schrifttumsbeauftragten in Straßburg wohl, daß er an wichtigeren Orten im Auftrag wichtigerer Auftraggeber zu wichtigeren Themen referiert und Beifall gefunden habe.[11]
Die Rede, die Burte schließlich am 16. November in Straßburg hielt, hatte den Titel „Volk und Sprache am Oberrhein“.[12] Er begann mit der Darstellung der alemannischen Landnahme am Oberrhein, eines Ereignisses, das nicht frei erfunden war, auch wenn jede Zeit es in ihrem Sinne ausmalt. Die Nationalsozialisten wollten mit einer penetranten Berieselung mit der gleichen Stammesherkunft den Elsässern das Gefühl einbleuen, das Gleiche wie die Alemannen jenseits des Rheins zu sein - nämlich Deutsche.
Das beabsichtigt auch Burte - freilich mit anderen Mitteln und Zielen. Er umreist dann die fast 800-jährige Kulturgeschichte des Elsaß im Deutschen Reich und stellt die Elsäßer als „durch und durch (...) deutsch“ dar, sie seien „geradezu das reichste und regste Volk“, das anderen im Reich „als Vorbild und Mahnbild dienen kann“. Mit dem Westfälischen Frieden und der Eingliederung in Frankreich ende aber die „höhere deutsche Dichtung“ im Elsaß. Der Schweiz dagegen habe die Loslösung vom Reich kulturell keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Weil sie „ihre staatliche Form, ihrem Wesen gemäß, gefunden hatte“, habe sie eine solche „dichterische und denkerische Höhe, im edelsten Hochdeutsch“ erreicht, „daß ihre Werke neben denen des Bruders im Reiche ebenbürtig dastehen.“
Im Elsaß habe sich aber immerhin „die lebendige eingeborene Sprache des gemeinen Mannes“ erhalten und auch die „deutsche Art“, sodaß Goethe „im Elsaß lernte, was deutsche und was welsche Art ist“.
Bis hierhin gab es nichts, was Burte von der „Abteilung Volksaufklärung und Propaganda“ ernsthaft angekreidet werden konnte. Seine Ausführungen dürften auch vielen Deutschen gefallen haben, die nichts mit dem Nationalsozialismus am Hut hatten. Doch nun kommt er zu Johann Peter Hebel; dessen „Alemannische Gedichte“ hätten in der Schweiz und im Elsaß wie eine Offenbarung gewirkt: „... alle Alemannen am Oberrhein empfanden in der Sprache dieser Lieder, daß sie eines Blutes, eines Geistes und einer Sprache waren“. Und nun gibt Burte dieser Sprache im besetzten Straßburg vor der oberrhreinischen Kulturprominenz Raum: Er trägt, anfangend mit Hebel, acht längere alemannische Gedichte aus dem Elsaß, der Schweiz und Baden vor. Von besonderer Brisanz ist dabei der Vortrag eines Gedichts von Gustav Stoskopf. Dieser galt, wie Burte später berichtete, „bei der Partei als untragbar“. Er hatte sehr erfolgreiche elsässische Theaterstücke verfaßt, die in der Reichslandzeit spielen und in denen alle Beteiligten des politischen Geschehens, darunter auch „preußische“ Offizielle, auf den Arm genommen wurden; er zeigte, daß das Elsaß eigene Bräuche, eine eigene Art, eine eigene Seele hat. Burte berichtete[13], Stoskopf habe ihm nach dem Vortrag mit Tränen in den Augen für seinen Mut gedankt.
Nachdem der deutsche und alemannische Dichter das Elsässische und überhaupt das Alemannische, mithin die elsässische Eigenart, durch lebendigen Vortrag gewürdigt und aufgewertet hatte, führte er aus, „welcher Rang ... der Mundart und ihrer Dichtung in der geistigen Lebensordnung zusteht“.
Hier fiel ihm ein Ausspruch von Hebel ein:
„Un `s Chäppli lüpfe z’
rechter Zyt
Suscht het me Schimpf un chunnt
nit wyt ...“
Will heißen: Bei entsprechenden Gelegenheiten solle die Hochsprache benutzt werden; die Mundart sei „nur selten stark genug, um die letzte Tiefe und die freieste Höhe zu erreichen“. Dann polemisiert er gegen den „Versuch, die alemannische Mundart als Waffe gegen die deutsche Sprache zu benützen“. Der „wahre wesentliche Dichter“ müsse „den Weg zum Herzen sowohl der Magd als auch der Herrin wissen und muß mit jeder in ihrer Sprache reden: Er wird der Heimat geben, was der Heimat ist, in der Mundart, und dem Vaterlande, dem ganzen Volk, was des Reiches ist in der Sprache Luthers, Goethes, Bismarcks und Hitlers!“ Er versichert den Elsässern, als hätte er es in der Hand: „Es wird nichts verdammt und nichts verboten, was des Volkes ist, im Gegenteil!“ Und die Elsässer im Publikum, gewiß aber auch die anwesenden Parteifunktionare, erinnert er daran, daß es im „Großdeutschen Reich“ jedes Jahr einen Mundartwettbewerb gibt. „Es wäre schön, wenn bald ein Elsässer ihn gewänne mit seiner herrlichen Mundart -, es ist nur eine Bedingung dabei: deutsch, hochdeutsch muß er können, auch können.“
Anmerkungen:
[1] Victor Hell: Nathan Katz. Itinéraire spirituel d’un poète alsacien. Colmar 1978, S. 36
[2] Raymond Matzen: Der Markgräfler Hermann Burte und der Sundgauer Nathan Katz. Die langjährige, sprach- und heimatbedingte, Spannungen und Spaltungen überwindende Freundschaft zweier großer Sänger Alemanniens. Sonderdruck aus "Das Markgräflerland", Band 2/1999, S. 120 - 133, S. 2f
[3] Brief vom 9. Juni 1971 an Magdalena Neff, zitiert ebenda, S. 13
[4] http://www.noth.net/hermann-burte/wiltfeber/basler-nachrichten.htm
[5] http://www.noth.net/hermann-burte/wiltfeber/mercure-de-france.htm
[6] Unterdrückung von „Krist vor Gericht“ und „Das Schloß Dürande“ hier besprochen und belegt: http://www.noth.net/hermann-burte/politisch-korrekte-rezeption.htm
[7] Informationen über Burte vor und im Dritten Reich hier belegt: http://www.noth.net/hermann-burte/deutschnationaler.htm
[8] Gedicht „Hebel rassisch!“ abgedruckt in: Markgräfler Jahrbuch 1949/41, hg. von der Arbeitsgemeinschaft zur Pflege der Geschichte des Markgräflerlandes, S. 168 - 174
[9] Brief von Schirpf an Burte, 1. November 1940, Hermann Burte Archiv Maulburg
[10] Rundschreiben von Gauleiter Wagner zur Mundart: Zitiert nach Friedrich Hünenburg: Tausend Brücken, Heilbronn 1972, S. 875ff; der Erlass ist, laut Quellenangabe bei Kettenacker, vom 18. 4. 1944 datiert (Lothar Kettenacker: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsass, Stuttgart 1973, S. 338)
[11] Antwort Burtes an Schirpf: Briefentwurf auf der Rückseite des Briefs von Schirpf
[12] Hermann Burte: Volk und Sprache am Oberrhein, in: Sieben Reden von Hermann Burte, Straßburg 1943, S. 83 - 131
[13] Erwiderung von Hermann Burte Strübe auf Anklagen, Vorwürfe und Beschuldigungen. [Schreibmaschinensatz] 1974, S. 7, Hermann Burte Archiv Maulburg